Endzeit - das ist heute

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"Sofi" '99 ist längst Vergangenheit, aber erst der Anfang: Apokalypse hat noch eine Weile Konjunktur.

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"Sofi" '99 ist längst Vergangenheit, aber erst der Anfang: Apokalypse hat noch eine Weile Konjunktur.

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Riesenhetz statt Weltuntergang!" Mit dieser Schlagzeile empfing die Abendausgabe der Kronenzeitung alle, die - im Jahrtausend-Stau genervt - vom Sofi-Schauen*) nach Wien zurückkehrten: Nach dem nicht eingetretenen Weltenende ist gut scherzen ...

Trotzdem das aufregende Naturereignis hierzulande nun für die nächsten 82 Jahre aus und vorbei ist, scheint die rundherum verbreitete Stimmung nach wie vor nicht zu verschwinden: Endzeittheorien aller Art wurden - nicht zuletzt von den Medien - am Köcheln gehalten, und weiter bleibt zu konstatieren, daß der gegenwärtige Zeitgeist auch von Untergangsstimmung geprägt ist. Selbst die Tatsache, daß der Geologe Alexander Tollmann, Österreichs prominentester Schwarzseher, bis dato nur Falsches prophezeite (der Dritte Weltkrieg etwa hat nicht begonnen), oder daß Modeschöpfer Paco Rabanne in Paris verschwand und sein Geschäft bis 24. August zusperrt, weil der von ihm prognostizierte Absturz der Raumstation Mir auf Paris nicht stattfand, bedeutet keinesfalls das Ende der Diskussion: Mit Apokalyptik ist nach wie vor Staat zu machen.

Was sich rund um die heurige Sofi diesbezüglich abspielte, war erst der Anfang dessen, was in nächster Zeit noch alles zu erwarten ist. Im Oktober kommt der Komet (Alexander Tollmann hält dafür schon das nächste Katastrophenszenario bereit), dann folgt das (falsche) Millennium per 1. Jänner 2000, und ein Jahr später der eigentliche Jahrtausendwechsel.

Die in Wirklichkeit gar nicht existierende Zahlensymbolik (für Christen: das kommende Jahr ist nicht historisch genau das zweitausendste nach Christi Geburt; für den nichtchristlichen Großteil der Menschheit hat die christliche Jahreszählung erst recht keine - religiöse - Relevanz) trifft sich aber mit dem Lebensgefühl vieler Zeitgenossen; die Medien verstärken das noch.

Die Welt wird immer unübersichtlicher, Zusammenhänge - politisch, wirtschaftlich, sozial - sind so komplex, daß sich mehr und mehr Menschen bedroht fühlen. Zumindest gilt das in den Industriestaaten, wo die "Weltmeinung" gemacht wird. Apokalyptik und die dazugehörige Literatur - seriöse wie abstruse, religiöse wie esoterische - sind en vogue.

Auch die ganz reale, nüchterne Technik paßt sich dem apokalyptischen Szenario an. Der Y2K, jenes Problem, nach dem viele Computer die Datums-Umstellung von 1999 auf 2000 nicht schaffen werden, könnte von einem Weltuntergangspropheten erfunden worden sein: Flugzeugabstürze, Stromausfälle, Geldprobleme der Banken, ja sogar AKW- und Kernwaffen-Unfälle werden prognostiziert.

Jeder vierte Christ in den USA soll nach einer Umfrage, die kürzlich in der TV-Sendung "Report International" zitiert wurde, das Jahr 2000 für den Auftakt zur Apokalypse halten.

Auch was den Weltuntergang betrifft, gilt: Jenseits des Atlantik scheint hier mehr los zu sein als in Europa. Jerry Falwell, Star unter den US-Fernsehpredigern und einst mit seiner "Moral Majority" Vorreiter der konservativen Revolution Ronald Reagans, hat mittlerweile das Jahr 2000 als Purgatorium entdeckt. Falwell predigt heute angesichts des Y2K davon, daß anno 2000 Wasser, Lebensmittel, Benzin, Öl, Strom, Geld, knapp sein könnten; und er nützt dieses Szenario für seine Botschaft: "Ist das Gottes Wille, damit Amerika erweckt wird?" fragt er.

Angesichts solch konkreter Endzeiterwartung geht es hierzulande richtig nüchtern zu. Das sollte - trotz aller (Computer-)Gefahren - auch so bleiben. Gerade Christen hätten dabei Anlaß, sich auf die eigene Geschichte zu besinnen: Haben nicht auch viele der frühen Christen den Weltuntergang konkret erwartet? Doch bis zum heutigen Tag steht diese Welt. Und selbst nach einem wahrhaft apokalyptischen Jahrhundert, in das Auschwitz, der Gulag, Hiroshima, Kambodscha, Ruanda und so weiter fielen, gilt: Wir leben noch ...

Heinz Zahrnt, der große alte Mann des deutschen Protestantismus, pflegt diese - notwendige - christliche Nüchternheit mit einer Anekdote zu beschreiben, die ihm der spätere deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann erzählt hat: "In einem amerikanischen Bundesstaat", so Zahrnt, "trat um die Mitte des vorigen Jahrhunderts während einer Parlamentssitzung eine Sonnenfinsternis ein, und es drohte Panik auszubrechen. Da gab der Abgeordnete, der gerade am Wort war, zu bedenken: ,Es gibt jetzt zwei Fragen mit dem gleichen Resultat: Entweder der Herr kommt; dann soll er uns bei der Arbeit finden. Oder der Herr kommt nicht; dann haben wir keinen Grund, unsere Arbeit zu unterbrechen.'"

Endzeit - das ist heute: In diesem Sinn wäre nüchternes Leben auf den Augenblick hin gefragt. Nichts anderes drückt Heinz Zahrnt mit seiner Geschichte aus. Zumindest die Christen - so sie nach solcher Devise leben - hätten also kaum einen Grund, sich vor Weltuntergängen zu fürchten.

*) Impressionen zur Sofi '99 siehe auch auf Seite

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