Entschlüsselter Bauplan?

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Nun ist es also soweit: im Wettlauf bzw. Wettstreit der internationalen Genom-Forschung gibt es einen Sieger. Dem amerikanischen Genforscher Venter ist es nach eigenen Angaben gelungen, alle - d.h. nach seinen Angaben 99% - der kleinsten Bausteine der menschlichen Erbsubstanz zu identifizieren. Noch nicht ganz klar ist, wie die ca. drei Milliarden (!) Basenpaare der DNA genau angeordnet sind. Trotzdem erwartet sich die Forschung weitere Aufschlüsse innerhalb weniger Wochen - und darauf warten vor allem Medizin und Pharmazie - anhand des Gen-Profils wird man Krankeitsursachen differenzierter erkennen und Medikamente gezielter einsetzen können.

Denn so umstritten die Gentechnik in Bezug auf manche ihrer Anwendungsgebiete sein mag: sowohl die Gendiagnose als Instrument zur Früherkennung von Krankheiten wie auch die gentechnische Herstellung von Impfstoffen und Medikamenten oder auch der gerichtsmedizinische Einsatz der DNA-Analyse stehen außer Diskussion.

Der Auflösung des Rätsels Mensch sind wir dadurch dennoch nur ansatzweise nahegekommen. Niemand wird - auch wenn alle menschlichen "Einzelteile" decodiert sind, eine Antwort darauf haben, warum etwa zwei intelligente junge Menschen aus sogenanntem guten Haus einen brutalen Raubüberfall begehen und dabei haarscharf am Mord vorbeischrammen. Keiner kann sagen, was dazu führt, daß eine zumindest nach außen unproblematisch wirkende 16-Jährige eine Schwangerschaft im Wortsinn "mit sich allein austrägt" und - vermutlich im Schock - das lebensfähige Baby tötet. Auch der Mord an Ehefrau und Stieftochter durch den "scheidungsbedrohten" Mann entzieht sich einer Erklärung.

Alle diese Fälle aus der letzten Zeit zeigen aber eine Gemeinsamkeit: ein tief liegendes Kommunikationsproblem, eine Situation, die Vertrauensbildung erschwert und zwischenmenschliche Unterstützung verunmöglicht hat. Daher ist es mit der Entschlüsselung des Bauplans eines Menschen nicht getan - und die Frage bleibt offen, ob es je gelingt, die komplizierten menschlichen Beziehungen prophylaktisch und therapeutisch in den Griff zu bekommen.

Die Autorin ist Professorin für Gesellschaftspolitik an der Universität Linz.

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