"Er hat mexikanisches Gewissen erreicht"

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Papst Franziskus hat seine fünftägige Visite in Mexiko hinter sich gebracht. Die Begegnungen auf dieser Reise waren "voll von Licht", sagte der Pontifex nach seiner Rückkehr in Rom. Was aber hat der Besuch in dem von vielen Problemen gebeutelten Land bewirkt?

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Papst Franziskus hat seine fünftägige Visite in Mexiko hinter sich gebracht. Die Begegnungen auf dieser Reise waren "voll von Licht", sagte der Pontifex nach seiner Rückkehr in Rom. Was aber hat der Besuch in dem von vielen Problemen gebeutelten Land bewirkt?

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Gleich bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Mexiko-Stadt brach Papst Franziskus das vorgesehene Protokoll. Von Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto mit allem Pomp, der mexikanischen Staatsakten eigen ist, willkommen geheißen, mied Franziskus den roten Teppich und damit die domestizierende Folklore, die solche Empfänge ausmacht. Stattdessen tat er etwas, was sein Gastgeber nie zu tun pflegt: er näherte sich dem Volk. Der vorgesehene Ablauf war durcheinandergebracht. Und der Kirchenvater zeigte einmal mehr, dass er das Symbolische beherrscht wie kein zweiter. Als wollte er der mexikanischen Regierung zu verstehen geben: Ich lasse mich nicht für Eure Zwecke vereinnahmen. Was als religiöse Reise in das Land mit den zweitmeisten katholischen Gläubigen weltweit nach Brasilien gedacht war, wurde von Beginn an bestimmt durch das Politische und das Soziale.

Politikern und Bischöfen Leviten gelesen

Erst wenige Stunden im Land, richtete der Papst bereits scharfe Worte an die politische Elite Mexikos: "Immer, wenn wir nach einem Weg der Privilegien oder Vorteile für einige Wenige zum Schaden des Wohls Aller suchen, wird früher oder später das Leben in der Gesellschaft zu einem fruchtbaren Boden für Korruption, Rauschgifthandel, Exklusion, Gewalt einschließlich Menschenhandel, Entführung und Tod." Die Politik müsse Sorge tragen, dass alle Bürger Chancen auf ein würdevolles Leben hätten. Die klare und firme Zurechtweisung der Politikerkaste im Nationalpalast setzte den Ton und Inhalt für die gesamte Reise.

Noch härter kritisierte Franziskus Mexikos Bischöfe. Von ihnen forderte er mehr Demut und "ärmliche Bescheidenheit":"Es werden keine Fürsten benötigt, sondern eine Gemeinschaft von Zeugen der Botschaft des Herrn." Der Papst sprach sich für eine transparente Kirche aus; der Klerus dürfe keine Zeit "mit bloßem Gerede und Intrigen" verlieren und sich von "trivialem Materialismus korrumpieren" lassen. Auch forderte Franziskus die Geistlichen zu einem stärkeren Kampf gegen den Drogenhandel auf. Dies verlange nicht nur allgemeine Verurteilungen, sondern "prophetischen Mut" und soziale Projekte. Der vom damaligen Präsidenten Felipe Calderón 2006 losgetretene "Krieg gegen die Drogen" hat bislang 100.000 Menschenleben gefordert, Zehntausende gelten als "verschwunden". Die Priester müssten sich stärker um die Familien kümmern, vor allem in den trostlosen Vorstadtbezirken.

Kein Wort zur Missbrauchs-Causa Maciel

Einen solchen besuchte Franziskus mit Ecatepec im Bundesstaat Estado de México (kurz: Edomex) nördlich von Mexiko-Stadt. Edomex ist der Heimatstaat des heutigen Präsidenten Peña Nieto und wurde von diesem als Gouverneur regiert. Vor allem aber ist Edomex berühmt-berüchtigt für die vielen Frauenmorde, die in der Regel nicht aufgeklärt werden. Viele Frauen hier fühlen sich von der Regierung und der Kirche im Stich gelassen. Bei seiner Messe in Ecatepec ging der Papst allerdings nicht auf das Thema ein. Ebensowenig Erwähnung fand das Thema sexueller Missbrauch durch die Kirche. Dabei reiste der Papst auch in den Bundesstaat Michoacán, Geburtsort des 2008 verstorbenen Marcial Maciel. Der umstrittene Gründer der "Legionäre Christi" hatte jahrelang junge Seminaristen missbraucht.

Der Geistliche Alejandro Solalinde ("Priester der Migranten"), bemängelte gegenüber der Tageszeitung La Jornada, der Papst habe die Gelegenheit verstreichen lassen, schmerzhafte Themen anzusprechen, wie den sexuellen Missbrauch, die Frauenmorde oder das Schicksal der 43 Studenten aus Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero. Die waren mutmaßlich von der Polizei einem Drogenkartell übergeben und ermordet worden; der Fall wühlt Mexiko bis heute auf.

Stattdessen ging der Papst auf die Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen durch das organisierte Verbrechen ein. Er nannte die Jugendlichen den Reichtum Mexikos, aber es sei "schwierig, sich als der Reichtum einer Nation zu fühlen, wenn Gelegenheiten für würdige Arbeit, Studium und Ausbildung fehlen, wenn die Nicht-Anerkennung bestimmter Rechte sie in Grenzsituationen treibt. Lasst Euch nicht ausgrenzen, lasst Euch nicht entwerten, lasst Euch nicht wie Waren behandeln."

In Chiapas im Südosten des Landes, das als ärmste Region Mexikos gilt, mit einem hohen Anteil indigener Bevölkerung, verlangte der Papst mehr Einsatz für die Rechte der mexikanischen Ureinwohner: "Noch immer warten die Indigenen darauf, dass ihr Beitrag zum Reichtum des Landes erkannt wird." Franziskus besuchte das Grab des indigenen Bischofs Samuel Ruiz (1924-2011), der der Befreiungstheologie nahestand und von Regierung wie Vatikan verfolgt wurde. Zuvor hatte der Pontifex bereits die Verwendung indigener Insignien und Sprachen für katholische Liturgien autorisiert, etwas was Ruiz praktiziert hatte. Der Papst bat die indigenen Gemeinden um Vergebung. Sie seien auf "systematische und strukturelle Weise" nicht verstanden und ausgeschlossen worden. "Einige haben ihre Werte, ihre Kultur und ihre Tradition als minderwertig angesehen. Andere, krank vor Macht, Geld und den Gesetzen des Marktes haben ihr Land geraubt oder Aktionen verübt, die es verseucht haben. Wie gut würde es uns allen tun, eine Gewissensprüfung abzulegen und zu lernen, um Vergebung zu bitten." Für diese Bitte um Vergebung mussten fünf Jahrhunderte vergehen und ein Lateinamerikaner Papst werden. Die Entschuldigung der katholischen Kirche mag zu spät erfolgt sein; von der mexikanischen und der chiapanekischen Regierung steht sie bis heute noch aus.

Drogenkrieg, Indigene, Migration

In Ciudad Juárez an der Grenze zu den USA besuchte Franziskus ein Gefängnis und beklagte, dass Wegsperren oft als einzige Lösung angesichts von Delikten angesehen wird. In der Messe vor mehr als 250.000 Gläubigen sprach der Papst über die "humanitäre Krise der Migration"."Es sind Brüder und Schwestern, die weggehen, vertrieben durch Gewalt und Armut, durch Drogenhandel und organisiertes Verbrechen." Zudem erinnerte er an die Ausbeutung in den Maquiladoras, jenen an der Grenze zu den USA angesiedelten Billig-Fabriken, in den vor allem Frauen von Kleidung über Fernseher bis hin zu Möbel für den Export produzieren.

Der Pontifex hat in Mexiko zu Hunderttausenden in einer offenen und direkten Art und Weise gesprochen, wie sie es von ihrer politischen Elite nie gehört haben. Auf jeder Station seiner Reise hat Franziskus die Finger in die Wunde der vornehmlichsten Probleme gelegt: die Ausgrenzung der Indigenen, die Armut, die Drogenbanden, die Migration. Der Papst hat Ciudad Juárez, Michoacán, Ecatepec und Chiapas nicht aus touristischen Gründen gewählt, sondern weil diese Orte das Versagen der mexikanischen Politik symbolisieren, wie der Journalist Emilio Lezama schreibt. Der angesehene Historiker Enrique Krauze hält den Papstbesuch denn auch für einen Erfolg: "Er hat zwei Themen aus seiner öffentlichen Agenda ausgelassen: das der Verschwundenen -nicht nur derer von Ayotzinapa, sondern die mehr als 20.000 Verschwundenen in diesen Jahren -und die klerikale Päderastie. Aber das Ergebnis ist sehr gut. Wenn er das mexikanische Gewissen erreichen wollte, ist ihm das gelungen."

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