"Er liebte mich von Anfang an"

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"Liebe verband sie im Leben. Möge die Erde sie nach ihrer Bestattung vereinen." So und ähnlich lauten britische Grabinschriften zwischen dem 14. und dem 19. Jahrhundert. Es sind letzte Ruhestätten zweier Menschen - allerdings gleichen Geschlechts. Die Kirche anerkannte solche innigen Beziehungen, meint der Londoner Historiker Alan Bray im Gespräch mit der furche. Eine Lehre für die Gegenwart?

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, im Grab von Bruder Ambrosius Johannes bestattet zu werden - und ich äußere dies als meine letzte, testamentarische Verfügung", erklärte Kardinal John Henry Newman, einer der bedeutendsten Intellektuellen innerhalb der katholischen Kirche des 19. Jahrhunderts, in einem Schreiben vom 23. Juli 1876. Über Ambrosius, den er 35 Jahre zuvor kennen gelernt hatte, sagte Newman: "Er liebte mich von Anfang an mit einer Intensität, die nicht zu erklären ist. In dieser Welt war ich sein Ein und Alles." Entsprechend tief war Newmans Schmerz über den Tod seines Freundes. "Kein Verlust, hatte ich gedacht, könnte größer sein als der eines Ehemannes oder einer Ehefrau", betonte Newman, "doch nun kann ich nicht glauben, dass ein Verlust oder ein Schmerz größer sein könnte als der meine". Über sein letztes Zusammensein mit Ambrosius unmittelbar vor dessen Tod berichtet Newman, dass sein Freund "seinen Arm zärtlich um meinen Hals legte, mich ganz nah an sich zog und so für lange Zeit fest hielt".

Mutige Kirche

Trotz aller Worte der Liebe und der erwähnten körperlichen Kontakte geht der Historiker Alan Bray davon aus, dass es sich bei Newman und Ambrosius um eine freundschaftliche - "spirituelle" - Beziehung handelte. Denn der Kardinal erzählt auch, wie Ambrosius in seinen letzten Tagen noch die Hoffnung äußerte, "in meinem gesamten priesterlichen Leben keine einzige Todsünde begangen" zu haben.

Diese Absenz von Sexualität lässt sich freilich in vielen anderen Fällen, wo die enge Beziehung zweier Personen gleichen Geschlechts von der Kirche gesegnet und diese Partner oder Partnerinnen später zusammen bestattet wurden, weder belegen noch auf Grund vorhandener Texte mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließen. "Liebe verband sie im Leben. Möge die Erde sie nach ihrer Bestattung vereinen". "Im Leben verbunden, im Tode nicht getrennt" - so oder ähnlich lauten zahlreiche Grabinschriften für zwei Personen gleichen Geschlechts aus dem 14. bis 19. Jahrhundert, die Alan Bray untersucht hat. Den Anstoß für seine Forschung erhielt der Historiker, der am Birkbeck College in London arbeitet, von Lesern seines Buches "Homosexualität im England der Renaissance". Kurz nach dessen Veröffentlichung vor 20 Jahren "wurde ich in die Kapelle des Christ's College in Cambridge eingeladen. Dort wurde mir ein Grabmal aus dem Jahre 1684 für John Finch und Thomas Baines gezeigt. Über jeder Hälfte des Monuments befindet sich das Porträt eines der beiden Freunde; verbunden sind sie durch ein geknüpftes Tuch, einer visuellen Anspielung also auf die Verbundenheit in Liebe oder die eheliche Verknüpfung. In den Archiven entdeckte ich später, dass Finch seine Freundschaft mit Baines als connubium - Ehe - bezeichnete", schreibt Bray nun in einem langen Artikel in der britischen katholischen Wochenzeitung "The Tablet" (Ausgabe vom 4. August 2001).

Während die ältesten von Bray untersuchten Inschriften jeweils für männliche Partner sind, finden sich ab dem 17. Jahrhundert immer häufiger auch gemeinsame Grabstätten für Frauenpaare. In der Johanneskapelle in der Westminster Abbey bezeugt eine Inschrift für Mary Kendall und Lady Catherine Jones "die enge Verbindung und Freundschaft", in der die beiden lebten und die auch nach ihrem Tode nicht getrennt werden sollte. Von einem Frauenpaar steht auch fest, dass es sich zweifelsohne um eine sexuelle Beziehung handelte: Anne Lister, deren Freundschaft respektive - wie sie selbst es verstand - Hochzeit mit Ann Walker durch den Empfang der Heiligen Kommunion 1834 in der Dreifaltigkeitskirche in York besiegelt wurde, hat nämlich ein Tagebuch hinterlassen. Dieses Werk mit dem Titel "I Know My Own Heart: The Diaries of Anne Lister" zeigt unmissverständlich, welche Art von Freundschaft die beiden Frauen lebten.

"Was das Thema Sexualität betrifft", erklärt Bray gegenüber der furche, "möchte ich sagen, dass das sexuelle Potential, das in diesen Freundschaften immer da war, die Kirche nicht davon abhielt, diesen Freundschaften ihre Anerkennung zu geben. Die Kirche segnete eine Freundschaft, nicht die Sexualität, die Einstellung der Kirche zur Keuschheit war damals nicht anders als heute, aber der Unterschied war, dass die Kirche damals bereit war, das Risiko einzugehen", betont der Historiker.

Ihre Eide legten gleichgeschlechtliche Freunde laut Brays Forschungen in der Regel vor der Kirche ab, danach erhielten sie in der Kirche die Heilige Kommunion - eine Regelung, in der der Historiker, wie er in The Tablet schreibt, doch auch "eine gewisse Reserviertheit gegenüber den ausgetauschten Versprechen" erkennt. Diese Versprechen gingen sehr weit, galten für das ganze Leben und waren unauflösbar. Die beiden Partner würden demnach zusammen leben, einander unterstützen und gegebenenfalls auch gemeinsam sterben. Die einstige Bereitschaft der Kirche, bei der Segnung solcher "Freundschaften" ein Risiko einzugehen, erklärt Bray gegenüber der furche mit dem Selbstverständnis des "traditionellen Christentums, wie wir es im 15. Jahrhundert fanden und wie es noch eine Zeitlang sowohl in der reformierten wie in der nichtreformierten Kirche weiterlebte. Man glaubte, dass es eine Aufgabe von Religion war, in der Gemeinschaft für Frieden und Freundschaft zu sorgen. Ich denke, die Kirche sah es als ihre Rolle, diese Bande von Verwandtschaft und Freundschaft zu stärken, daher war sie eher bereit, das Risiko einzugehen, das war sozusagen Teil ihrer Aufgabe."

Wichtig ist für Bray auch die Klärung der zwei Begriffe "spirituell" und "Familie", die in der Vergangenheit eine andere Bedeutung hatten als heute. Spirituelle Freundschaften, erläutert Bray, spielten eine große soziale Rolle, "man lebte sie mit Nachbarn und Freunden, und nicht nur mit Gott. Die Beziehung zwischen Paten und Patenkindern wurde als spirituelle Verwandtschaft bezeichnet, hatte aber eine ehr reale und soziale Rolle. Der Begriff spirituell umfasste also sowohl die Beziehung zu Gott wie vielfältige Beziehungen in der realen Welt."

Begeisterte Reaktionen

Unter dem Familienbegriff wurden ab dem 18. Jahrhundert immer häufiger Mutter, Vater und Kinder, die im selben Haushalt lebten, verstanden. Früher fielen neben offiziellen ehelichen Verbindungen auch freiwillige, durch Rituale oder Versprechen besiegelte Bindungen unter den, wie Bray sagt, damals viel offeneren Begriff von Familie.

Die Tatsache, dass sich heute der Familienbegriff wieder lockert und verändert, sieht der Historiker mit als Grund dafür an, dass Grabsteine, wie er sie untersucht hat, "wieder sichtbar werden". Denn vorhanden waren diese Monumente wie zahlreiche Texte zu ihrer Genese ja stets.

Ein weiterer Grund für ihre Wiederentdeckung liegt natürlich in den aktuellen Debatten um die Homosexuellenehe.

Wenn in Medientexten seine Forschungen als Belege für die einstige Segnung homosexueller Verbindungen durch die Kirche dargestellt werden, so ist das eben die journalistische Aufarbeitung, betont Bray. "Es sind nicht meine Worte", aber er habe damit auch kein Problem. "Meine Rolle als Historiker ist es, den Leuten die Fakten als das zu vermitteln was sie zu einer bestimmten Zeit bedeutet haben. Andere Leute können dann entscheiden, ob diese Geschichte von Nutzen ist, um unsere Welt von heute zu erklären. Ich versuche die Vergangenheit durch meine Stimme sprechen zu lassen, und die Sprache, die diese Vergangenheit verwendete, war die der Freundschaft und nicht die der Sexualität", erläutert Bray, der seine Forschungen im kommenden Jahr in einem Buch mit dem Titel "The Friend" veröffentlichen wird. Die begeisterte Reaktion der hiesigen Lesbischen und Schwulen Christlichen Bewegung sind dem Historiker "natürlich willkommen, aber ich versuche, den Mittelweg aufzuzeigen, wo es keine Gewinner und keine Verlierer gibt und die Leute auf beiden Seiten mit Integrität weitergehen können."

Als Historiker sieht Bray seine Aufgabe auch darin, den Christen unserer Zeit einen Dialog mit jenen der Vergangenheit zu ermöglichen. "Wohin die Debatte geht, ist offen, die Vergangenheit bindet uns nicht, die Kirche ist frei, aber ich denke, der Leitartikel [in The Tablet, Anm. d. Red.] sagt, diese Debatte könnte heute neue Wege öffnen, was meine Hoffnung ist." Von dem Beitrag des Leitartikelschreibers zeigt sich Bray positiv überrascht. Gelübde, heißt es dort, habe es einst für viele Anlässe gegeben, doch heute seien sie auf zwei beschränkt - eines für Ehepartner, das andere für Personen, die sich zu einem klerikalen Leben verpflichten. Das kirchliche Gemeindeleben, das sich so oft nur um Familien zu drehen scheine, könne daher für viele Menschen in unserer heutigen Gesellschaft eine Erfahrung großer Einsamkeit sein.

Die Idee einer "gesegneten Freundschaft" "wird besonders für Christen homosexueller Orientierung von Interesse sein", heißt es in dem Leitartikel. "Es ist traurig, dass die Kirche homosexueller Liebe wegen des Potentials sexueller Akte jede Gültigkeit zu versagen scheint. Es ist ebenso zu bedauern, dass homosexuelle Aktivisten von der Kirche verlangen, dass sie diese Akte gutheißen müsse, um dadurch ihre Akzeptanz der Homosexuellen zu bezeugen", schreibt der Autor weiter.

Was Gelübde zur Besiegelung gegenseitiger Treue angeht, sieht er jedenfalls die Notwendigkeit für einen Dialog zwischen Gegenwart und Vergangenheit.

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