Erstarrtes beginnt wieder zu leben

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Mit ungewöhnlichen Ansätzen arbeitet die Katholische Jugend Steiermark, um interessierten Menschen biblische Texte und Glaubensinhalte näherzubringen. Die "erlebnisorientierte Bibelarbeit" will Vertrauen schaffen, ohne zu vereinnahmen.

Ein Workshop bei einer JugendleiterInnenausbildung in Shkodra, Albanien. Begeistert bilden 20 junge Leute eine Reihe und verbinden ihre Beine mit Tüchern: "Tausendfüßler" nennt sich diese Outdoor-Übung. Plötzlich reiht sich ein Franziskanerpater ein. Als Leiter des Jugendzentrums möchte er natürlich mitmachen. Gelächter, Schreien, südländisches Temperament, und los geht's! Für manche lustig, aber für viele unangenehm und beängstigend, weil der Pater ohne Rücksicht drauflos stürmt und andere mit sich reißt.

Stopp! Innehalten, wahrnehmen, zu Wort kommen lassen, einen neuen Versuch ermöglichen. Die anschließende metaphorische Reflexion zeigt: Als Mensch bin ich oft auch unfreiwillig an andere gebunden, an Familienmitglieder, ArbeitskollegInnen und FreundInnen. Gut unterwegs sein wird möglich, wenn ich lerne, auf mich und meine Nächsten zu achten. Plötzlich ruft einer: "Jetzt begreife ich, was Jesus meinte, als er sagte: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!"

"Es kommt nicht auf das ,was?' an, sondern auf das ,wie?'", formulierte der Sportpsychologe an der Uni-Wien und Begründer der Initiative Outdoor-Aktivitäten Günter Amesberger 1994 vor Verantwortlichen der Katholischen Jugend Steiermark. Zwei Dutzend GruppenleiterInnen absolvierten eine intensive Ausbildung zum/r TrainerIn in "Integrativen Outdoor-Aktivitäten" und bereicherten die Jugendarbeit mit neuen Ansätzen und hartnäckigen Fragen. Intensive Reflexionsprozesse machten bewusst, welch schmale Gratwanderung zwischen menschenverachtender Manipulation und respektvoller Glaubensverkündigung liegt. Nicht kirchliche Sozialisation stand als Folge im Mittelpunkt, sondern die Ermöglichung und qualitätsvolle Begleitung von lebensaufbauenden und bestärkenden Erfahrungen.

Unterschiedliche Outdoor-Programme entwickelten sich wie gemeinschaftsorientierte Wochenenden für Firmlinge, Workshops zum Thema Gewaltfreiheit für Zivildiener, Schullandwochen und Besinnungstage für Schulklassen, Projektgruppen mit gewaltbereiten Jugendlichen, Kooperationstrainings für kirchliche Teams und Gruppen.

Die Evaluation dieser Outdoor-Programme zeigte, dass Menschen ein besseres Verständnis für sich und ihre Mitmenschen entwickelten, dass sie Mut fassten, sich aufzurichten, auf die eigenen Füße zu stellen und ihren Weg zu gehen. Sie lernten, ihre eigenen Gefühle, Wünsche und Talente wahrzunehmen und ehrlicher mit eigenen Grenzen und mit fundamentalen Grenzerfahrungen umzugehen.

Diese Erfahrungen erinnern uns an alte biblische Erzählungen und Mythen. Offensichtlich war hier der gleiche Geist am Werk, der bekanntlich weht, wo er will. So entstand die Idee, im Rahmen einer Fortbildung diese Erfahrungen aufzugreifen und MitarbeiterInnen in schulischen und pastoralen Arbeitsfeldern für "erlebnisorientierte Bibelarbeit" zu qualifizieren. Die Einsatzgebiete reichen dabei inzwischen weit über die Jugendarbeit hinaus.

Als Theologe bedeutete es für mich einen bereichernden Perspektivenwechsel, die Bibel aus der Sicht des Konzeptes "Integrativer Outdoor-Aktivitäten" zu lesen. Zum einen spielen viele biblische Erzählungen, Mythen und Gedichte in Naturkontexten oder verwenden Begriffe aus der Natur als Metapher. So ist zum Beispiel die Exoduserzählung voll von extremen Outdoor-Aktivitäten: 40 Jahre Wüstenwanderung mit allen dazugehörenden Entbehrungen, die Überwindung des Roten Meeres, die Gotteserfahrung am Berg Sinai und so weiter. Die entsprechende "Gruppendynamik" lässt auch keine Wünsche offen. Von Begeisterung bis Meuterei, von tiefem Glück bis abgrundtiefer Verzweiflung, vom Vertrauen in die Zukunft bis zu resignativer Vergangenheitsorientierung wird erzählt.

Ein weiterer Gesichtspunkt: Biblische Texte bewahren vor der Versuchung, den Naturbegriff ideologisch romantisierend zu verwenden. Mit dem Boot auf den See Genezareth hinauszufahren bedeutete keinen lieblichen Sonntagsausflug, sondern ein existentielles Wagnis für die damaligen Fischer. Metaphorisch diente der See (im Urtext: das Meer) als Bild für das Bedrohliche, Dunkle, Gewaltige und Angstmachende im Leben eines jeden Menschen. Der Umgang mit diesen Realitäten wurde schon lange vor dem Entstehen expliziter Formen der Psychotherapie als entscheidend für Ge- oder Misslingen menschlicher Existenz betrachtet.

Ein drittes Beispiel: Immer wieder machten Menschen in der Begegnung mit Jesus heilvolle Erfahrungen. Dabei weist Jesus konsequent darauf hin, dass es ihr Glaube war, der Heilung bewirkt hat. Offensichtlich gelang es ihm, eine Atmosphäre zu schaffen, die es Menschen ermöglichte, trotz ihrer Begrenzungen und Behinderungen ihre eigenen Kräfte und Ressourcen wahrzunehmen und ihnen zu vertrauen. So kann sich die gekrümmte Frau aufrichten und der lahme Mann wieder in Bewegung kommen. Der Blinde blickt auf und erkennt, was wesentlich ist.

Durch "integrative Outdoor-Aktivitäten" soll die christliche und kirchliche Verkündigung heutigen Menschen ähnliche Erfahrungen ermöglichen. Denn: Jesus ging es um die individuelle menschliche Person, die eine unauslöschliche Würde besitzt. Weder persönliche Schuld, noch Krisen, Krankheiten, auch nicht der Tod können diese Würde zerstören. Jesus wollte niemanden bekehren, im Gegenteil: Er verweigerte sich als "Über-Ich". Er ermutigte Männer und Frauen, ihrem eigenen Ich zu vertrauen und sich auf die Suche nach der inneren Quelle zu machen, die unaufhörlich Leben schafft und die in jedem Menschen sprudelt, egal, ob sich dieser Mensch kirchlich/religiös angepasst verhält oder nicht. Liturgie, Rituale, moralische und dogmatische Wegweisungen und die Bibel selbst sollen dem Menschen in dieser Entwicklung Wegweiser sein, nicht Fesseln oder gar Fallstricke.

Suchende Menschen der heutigen Zeit, egal welchen Alters oder welcher religiöser Einstellung, sollen Räume vorfinden, in denen sie ohne Angst vor Vereinnahmung Impulse und Bestärkung finden. Dabei sollen sie erleben können, wie Erstarrtes in Bewegung kommt, wie ungeahnte Kräfte und Lüste erwachen und sie als ganzer Mensch mit Geist, Leib und Seele gefordert und angenommen sind.

Erlebnisorientierte Bibelarbeit kann eine Bereicherung für Gruppen und Menschen sein, die ein explizites Interesse an biblischen Texten und Themen haben und neue Zugänge kennenlernen wollen.

Noch interessanter finde ich den "umgekehrten" Weg: Mit "neugierigen" Menschen arbeiten, die bereit sind, sich in ihren Lebensfragen mit ungewöhnlichen Ansätzen auseinanderzusetzen, und wo plötzlich eine Brücke zur bleibenden Wahrheit biblischer Texte entstehen kann.

Eine weitere Zielgruppe sind Teams, die für die Qualifizierung ihrer Kooperationsfähigkeiten neue Erfahrungen suchen und dabei offen sind für biblische Impulse.

Für die Teilnahme gelten die gleichen Voraussetzungen wie für Outdoor-Programme generell, also Offenheit für natur- und bewegungsorientierte Erfahrungen in einem gruppendynamischen Prozess. Bei bestimmten Programmen kooperieren die BibeltrainerInnen mit ausgebildeten Outdoor-TrainerInnen. Die individuelle Religiosität, Kirchlichkeit oder Sportlichkeit spielen keine Rolle. Oft sind deklariert nichtkirchliche TeilnehmerInnen sogar verblüfft, wenn sie ihre Lebenserfahrungen und -deutungen in biblischen Mythen und Metaphern neu entdecken.

Ab Herbst 2002 ist wieder ein Lehrgang mit dem Arbeitstitel "Erlebnisorientiert verkündigen" geplant. In der Pastoral, im Religionsunterricht oder in der Bildungsarbeit tätigen MultiplikatorInnen soll die Kompetenz vermittelt werden, nach dem Konzept der "Integrativen Outdoor-Aktivitäten" Gruppenprozesse zu gestalten. Die Verkündigung von biblischen Texten und Glaubenswahrheiten sowie die Auseinandersetzung mit aktuellen Lebensfragen in der heutigen postmodernen Zeit soll durch diesen respektvollen, nicht-manipulativen Ansatz glaubwürdiger und bereichernder gestaltet werden.

Der Autor ist Theologe und Sozialmanager aus Graz, Initiator des Projektes "Outdoor-Aktivitäten" in der Katholischen Jugend Steiermark und Mitdenker in der Personalentwicklung der Diözese Graz-Seckau.

Ausbildung: Neuer Kurs ab Herbst 2002

Seit 1994 werden in der Katholischen Jugend Steiermark erlebnisorientierte Programme vor allem nach dem Konzept der "Integrativen Outdoor-Aktivitäten" durchgeführt. Bei persönlichkeitsbildenden und gemeinschaftsfördernden Programmen wurden immer wieder Fragen virulent, die auch in der Bibel eine zentrale Rolle spielen. Nun werden erstmalig Referentinnen und Referenten in einer "Fortbildung für erlebnisorientierte Bibelarbeit" ausgebildet und in verschiedensten Feldern eingesetzt.

ReferentInnenvermittlung beziehungsweise Informationen über weitere Lehrgänge:

Georg Plank, Ausbildungsleiter

Zentrum der Theologiestudierenden

8010 Graz, Zinzendorfg. 3

Tel. und Fax: 0316/384795

e-mail-Adresse: theozentrum@graz-seckau.at

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