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Seit Jahren hat sich die Linguistin Maria Weichselbaum mit kindlichem Spracherwerb beschäftigt: forschend am Institut für Sprachwissenschaft der Uni Wien, praktisch als Sprachförderin in einem Kindergarten. Im Interview erklärt die heute am Institut für Germanistik tätige Wissenschafterin, wie Sprachentwicklung im Kindergarten gelingen kann und mit welchen Herausforderungen Pädagoginnen zu kämpfen haben.

DIE FURCHE: Frau Weichselbaum, welche Rolle spielt der Kindergarten beim Spracherwerb eines Kindes?

Maria Weichselbaum: Eine große! Pädagoginnen und Pädagogen werden daraufhin ausgebildet, Sprache absichtsvoll einzusetzen. Im Elternhaus wird Sprache intuitiv vermittelt, im Kindergarten hingegen wird durch sprachförderliche Maßnahmen beim Spracherwerb unterstützt. Es werden etwa bewusst offene Fragen gestellt, um die Konversation anzuregen. Das passiert beim Morgenkreis, beim Rollenspiel, in der Bauecke oder beim Vorlesen. Nicht zu vergessen sind die "Peers", die kindlichen Gesprächspartner. Beim kindlichen Spiel werden Prozesse ausgehandelt, die emotional geprägt sind. Dadurch wird die sprachliche Entwicklung vom Miteinander geprägt.

DIE FURCHE: Inwiefern erwirbt ein Kind Sprache auf eine andere Art als ein Erwachsener?

Weichselbaum: Wenn ein Erwachsener eine Fremdsprache lernt, dann geht er systematisch vor, er lernt gezielt Vokabeln und Grammatik. Kinder lernen vor allem durch Interaktion. Ganz wichtig ist der Blickkontakt zum Gesprächspartner. Aus beiläufigen Gesprächen profitieren Heranwachsende kaum. Sprache braucht Beziehung. Nur durch Personen, die aufrichtiges Interesse an ihnen zeigen, können Kinder lernen.

DIE FURCHE: Können Pädagoginnen diesem Anspruch in einer 25-köpfigen Kindergartengruppe überhaupt gerecht werden?

Weichselbaum: Die Rahmenbedingungen sind in Österreich außerordentlich schwierig. Die Herausforderung ist es, sich für jedes Kind Zeit zu nehmen. Etwa, indem man es am Morgen über den gestrigen Tag erzählen lässt. Auch alltägliche Situationen wie Essen oder Anziehen bieten Möglichkeiten, um mit dem Kind kurze Eins-zu-Eins-Konversationen zu führen.

DIE FURCHE: Was sagen Sie vor diesem Hintergrund zur 15a-Vereinbarung, in der die Regierung dem Kindergarten in puncto Spracherwerb eine wesentliche Verantwortung übertragen hat? Weichselbaum: Für mich hat es den Anschein, als würde sich die Regierung ein Kind als leeres Gefäß vorstellen, das man mit Sprache auffüllen kann. Bei den Forderungen wird vergessen, dass Spracherwerb eine große emotionale und soziale Bedeutung hat. Dies erklärt wahrscheinlich auch, dass bei den meisten Regelungen die Erstsprachen der Kinder komplett vergessen werden. Es herrscht eine strikte Orientierung am Deutschen! Linguistisch gesehen ist das ein Trugschluss.

DIE FURCHE: Argumentiert wird, dass für Mädchen und Buben, die zu Hause eine andere Sprache sprechen, nur der Kindergarten bleibt, um Deutsch zu lernen. Ist das nicht plausibel?

Weichselbaum: Von Kindern, die erst im Kindergarten Deutsch lernen, wird erwartet, dass sie bis zum Schuleintritt die Bildungssprache perfekt beherrschen. Ob die Dauer des Kindergartenbesuchs dazu ausreicht, ist aber fraglich. Um eine Sprache auf dem geforderten Niveau zu erlernen, benötigt man fünf bis sieben Jahre. Mindestens. Und das ist nur ein Punkt, warum die Rechnung der Regierung nicht aufgehen wird.

DIE FURCHE: Woran hakt es noch?

Weichselbaum: Erstens am Ressourcenproblem. Die großen Gruppengrößen und das mangelnde Personal erschweren eine adäquate alltagsintegrierte Sprachförderung. Der Zeitmangel hat zur Folge, dass sprachförderliche Maßnahmen häufig nicht mit pädagogischen kombiniert werden. Zweitens müssten jene Pädagoginnen, die Sprachstandsmessungen vornehmen, viel besser aus-und weitergebildet werden. Die Regierung glaubt, eine Schulung würde reichen. Doch das ist nicht der Fall.

DIE FURCHE: Welches Wissen fehlt genau?

Weichselbaum: Bei der Sprachstandsmessung handelt es sich nicht um einen Test, sondern um eine Beobachtung, die sich über mehrere Wochen erstrecken sollte. Die konkrete Durchführung sieht aber anders aus. Einerseits aufgrund des Zeitmangels, andererseits, weil dem Personal Basisqualifikationen fehlen. Ich muss wissen, in welchen Phasen Spracherwerb verläuft und dass es auch eine Stummphase geben kann. Doch das wird in der Schulung nicht vermittelt. Auch wäre es wichtig, sich mit linguistischen Fachbegriffen auseinanderzusetzen.

DIE FURCHE: Einige Experten kritisieren, es würde zu viele Pädagoginnen bzw. Assistentinnen geben, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Wie problematisch ist das?

Weichselbaum: Warum wird hier nicht nach der Ressource gefragt, die die Betroffenen mitbringen? Nämlich ihre Erstsprachen! Wenn ein Kind seine Erstsprache verwendet und dadurch eine positive Einstellung zum Kindergarten und damit zur Zweitsprache bekommt, ist das eine Win-win-Situation!

DIE FURCHE: Und wenn innerhalb der Gruppe viele der Kinder kein oder kaum Deutsch sprechen? Weichselbaum: Dann ist gute Arbeit nur möglich, wenn die nötigen Ressourcen, vor allem personell, geschaffen werden.

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