"Es geht halt nicht anders"

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Sie gehören zur Gruppe der Armutsgefährdeten, sonst könnten sie nicht im Sozialmarkt einkaufen. Das fällt ihnen weniger schwer, als es für Außenstehende scheint. Ein Besuch.

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Sie gehören zur Gruppe der Armutsgefährdeten, sonst könnten sie nicht im Sozialmarkt einkaufen. Das fällt ihnen weniger schwer, als es für Außenstehende scheint. Ein Besuch.

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Am Vorplatz stehen die Menschen schon Schlange, Frauen und Männer aus allen Altersgruppen, mit und ohne Kinderwagen, einige haben einen Einkaufstrolley mit dabei. Der MigrantInnen-Anteil ist hoch, was durch Fremdsprachen und Frauen mit Kopftuch deutlich wird. Erstaunlich auch, wie viele Männer dort anstehen, um zu günstigen Preisen einkaufen zu können. Eine Schlange reiht sich die Rampe entlang, eine zweite fädelt sich links davon vor der Treppe auf, die noch mit einer Kette abgesperrt ist. Es herrscht reges Treiben, einige der Wartenden plaudern miteinander. Andere haben eine Zeitung mit dabei, um sich die Zeit zu vertreiben, bis sich die Pforten des Sozialmarkts in der Neustiftgasse im 7. Bezirk in Wien öffnen.

"Schwangere, Personen mit kleinen Kindern und Personen mit Behindertenausweis": Das steht am Schild am Ende der Rampe. Bevor die Türen zum Sozialmarkt aufgehen, verteilt eine Mitarbeiterin Nummern - an jene, die zum ersten Mal da sind und erst den Nachweis bringen müssen, dass sie hier einkaufen dürfen.

"Heute gab's nur Brot"

Um 10 Uhr ist es so weit: Das Geschäft ist offen und die Wartenden werden in Gruppen ins Innere gelassen. "Heute habe ich nur Brot bekommen", bedauert eine ältere Frau, die es eilig hat, weiterzuziehen, bevor ihr noch weitere Fragen gestellt werden. Ein Mann um die 40 erklärt ebenfalls: "Montag ist nix", und zeigt, dass auch er heute nur Brot bekommen hat. Dann geht er flott davon. Ob die Sozialmarkt-Kunden kurz angebunden sind, weil sie sich schämen? Oder, weil sie schnell zu Arbeit oder Haushalt zurückkommen wollen? Allzu vorschnell würde man erstere Interpretation für wahrscheinlich halten.

Eine andere ältere Frau ist gesprächiger. Die gebürtige Serbin lebt seit 38 Jahren in Österreich. Seit zwei Jahren kauft sie regelmäßig im Sozialmarkt ein, zwei Mal die Woche. 30 Euro pro Woche: So viel dürfen Kunden des Sozialmarkts ausgeben. Für die Serbin kein Problem, wie sie sagt: "Das geht sich aus, ich brauche ja nicht mehr als zehn Euro pro Einkauf." Sie kauft für ihren Mann ein, der in Invaliditätspension ist. "Heute gab's Brot und sonst nicht viel", bedauert auch sie. Nichtsdestotrotz findet sie das Geschäft gut und hat keine Probleme dort einzukaufen: "Der Geschäftsführer ist so nett, die Mitarbeiter sind super", schwärmt sie. Auch eine jüngere Frau ist begeistert: "Das ist eine tolle Einrichtung." Auch ihr ist es nicht unangenehm, dort einzukaufen. Sie sei froh, dass es ein Geschäft wie dieses gibt.

Mitten in Boboland ist Platz für sie

Während die Kunden ein- und ausgehen, fährt ein LKW vor. "Was krieg' ma denn?", fragt eine Mitarbeiterin des Hilfswerks den Fahrer lächelnd. "Werdet ihr schon sehen", meint der. Aus dem LKW laden Mitarbeiter des Hilfswerks gemeinsam mit den Lieferanten die Waren aus: Kartons mit Marillenknödeln, Schweinsbraten, Kroketten und anderen Tiefkühlprodukte.

Eine Pensionistin kommt aus dem Geschäft, sie freut sich über die Aufmerksamkeit. Die gebürtige Tschechin, ebenfalls schon jahrzehntelang in Österreich, kommt einmal pro Woche. Heute hat sie ihr Lieblingsbrot ergattert: "Ich habe drei Wochen darauf gewartet. Das ist so toll, das kann man auch ohne Aufstrich essen." Doch so begeistert wie die anderen ist sie nicht: "Oft gibt's nur wenig. Heute gab es zum Beispiel keine Milchprodukte. Dafür sind bei den bunten Bonbons oft die Regale voll. Von manchen Sachen darf man nur ein Stück nehmen, mehr nicht. Manchmal gehe sie lieber zum Hofer, denn das Ticket für die Öffis koste schließlich auch. Dass sie in einem besonderen Geschäft für Wenigverdiener einkaufen muss, stört sie nicht: "Mir macht das nichts aus - es geht einfach nicht anders." Denn sie ist Mindestpensionistin. Die Witwe hat nicht lang genug gearbeitet, um eine höhere Pension zu erhalten: "Ich habe als Buchhalterin in einem Reisebüro gearbeitet", erzählt sie. Doch dann wurde sie gekündigt und fand keinen Job mehr.

So tröpfeln die Kunden rein und raus. Manche kommen sogar extra aus Penzing oder anderen Bezirken, in denen es keinen Sozialmarkt gibt. Mitten in Neubau ist dort Platz für sie. Denn die Neustiftgasse geht an dieser Stelle über Boboland hinaus. Gegenüber, an der Bushaltestelle vom 48A warten einige Sozialmarktkunden mit ihren Einkaufstrolleys. So prall gefüllt, wie sie wirken, sind die Wägen nicht, verrät ein Blick, den die meisten Befragten bereitwillig gewähren. Aber die Trolleys sind voller, als nach einem Einkauf in einem "normalen" Supermarkt. Denn das macht den Sozialmarkt aus: Nicht immer ist alles verfügbar, dafür aber zu Preisen, die sich die Betroffenen leisten können.

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