"Es geht um ihre Stärken"

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Beim Besuch einer besonderen Alm am Rande von Wien relativiert sich der Begriff von Normalität.

Alm - so mancher hat Berge, Kuhglocken und Almrausch im Kopf, dabei spaziert man - die Weinberge vor sich, das Kahlenbergerdorf im Rücken - einen kleinen Bachweg entlang und stößt auf ein abgelegenes, idyllisches Haus auf Anhöhe. Die Alm ist unbestritten eine Besonderheit, landschaftlich wohl eine der schönsten Werkstätten für behinderte Menschen. Sie gehört zum Verein GIN (Gemeinwesenintegration und Normalisierung), der geistig behinderten Menschen ein Leben in größtmöglicher Selbstständigkeit bieten will.

"Wir gehen Biopflanzen setzen", rufen zwei Männer und machen sich auf den Weg in den Weingarten. "Der kleine landwirtschaftliche Betrieb wird von neun begleiteten Mitarbeitern und drei Begleitenden sowie einem Zivildiener geführt", erzählt Bernhard Girstmair, seit ihrer Gründung 1993 Leiter der Werkstatt. "Was kann man sich von einem Film erwarten?", fragt er sich nachdenklich, als er auf den ALMfilm angesprochen wird. Über ein Jahr war das Kamerateam von Gundula Daxecker Teil der Alm. Nach einer Nachdenkpause meint Girstmair: "Der Film macht deutlich, worum es hier auf der Alm geht. Es geht nicht um das Trainieren von Fähigkeiten, die in der freien Wirtschaft gebraucht werden, sondern die persönliche Entwicklung eines jeden steht im Vordergrund, seine soziale Entwicklung, das Selbstwertgefühl eines jeden."

Der Leiter der Werkstatt oder Beschäftigungstherapie spricht ungern von den Behinderungen seiner Mitarbeiter, sondern von ihren Stärken. "Murat etwa ist gut im Rechnen. Er macht die Buchhaltung allein. Er hat Gleichgewichtsstörungen, die für Außenstehende wie Betrunkensein erscheinen. Für einen strengen Moslem wie Murat Börekci eine Kränkung. Andere Mitarbeiter sind für die Tierhaltung zuständig, nicht immer leicht bei zwei störrischen Eseln. Eigentlich könnte ich mir vorstellen, dass sie die Alm mit wenig Assistenz auch schon allein führen könnten."

Die Mitarbeiter kommen um neun und gehen um 15 Uhr. Das Haus samt Grundstücken gehört einer Familie, die hier am Waldbachweg 20 auch wohnt und am Wochenende die Tiere versorgt. "Die Leute sind daher auch nicht abgeschottet. Sie wohnen in Wien und sind integriert. Außerdem kennt schon fast jeder Spaziergeher die Alm."

Manuela Hauer, Hauptdarstellerin im Film, führt durch ihre Alm, die engen Räume im Haus samt kleiner Werkstatt, in das WC, in den Schuppen, den kleinen Stall, auf die Obstwiese, den Weinberg. Die Almmitarbeiterin erklärt Gegenstände und Räume im Detail. Das Almteam erzeugt Marmeladen, Traubensaft; gekocht wird mit eigenem Obst und Gemüse. "Am liebsten habe ich das Kochen und den Küchendienst", sagt Hauer, die seit 13 Jahren auf der Alm arbeitet. "Ich habe super Kollegen und möchte hier auch bleiben." Sie macht deutlich, dass sie auf Arbeitseifer aller Kollegen Wert legt. Rauchen vor dem Arbeiten oder "Schimpferei" gefalle ihr nicht. Der ALMfilm, der von "24. Mai bis 4. Mai" im Stadtkino zu sehen ist, gefalle ihr "super". Die Dreharbeiten seien nicht anstrengend gewesen.

Und was habe der Film verändert? "Nach außen hin vielleicht mehr Verständnis für Menschen, die auch nicht anders sind", sagt Bernhard Girstmair. Geistig behinderte Menschen hätten lange keine Chance gehabt, über sich selbst zu bestimmen. Im Film von Gundula Daxecker sind sie Hauptdarsteller. bog

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