Eckhard Nagel, stellvertretender Vorsitzender des deutschen Nationalen Ethikrats, im Furche-Gespräch.
Die Furche: Der Nationale Ethikrat hat sich mehrheitlich für eine beschränkte Zulassung der PID ausgesprochen. Wie ist es dazu gekommen?
Eckhard Nagel: Es hat sich gezeigt, dass es zwei in sich selbst konsistente Argumentationsketten gibt. Die einen sagen: Angesichts des Status des Embryos als werdender Mensch, dem voller Würdeschutz zugeteilt wird, und angesichts des Problems, dass eine Eingrenzungsmöglichkeit der Indikation nicht möglich ist, lehnen wir die Einführung der Präimplantationsdiagnostik ab. Die andere Argumentationslinie macht deutlich, dass die Verantwortung des Einzelnen einen so hohen Stellenwert hat, dass eine Einengung durch eine Gesetzgebungsmaßnahme nicht sinnvoll erscheint und juristisch nicht legitimiert ist. Dieser Argumentation hat sich eben die Mehrheit der Mitglieder angeschlossen.
Die Furche: Sie selbst haben sich einer dritten Position angeschlossen...
Nagel: Ja. Ich persönlich teile die Auffassung, dass das menschliche Leben mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle beginnt und deshalb in der kontinuierlichen Entwicklung des Menschen keine wirkliche Zäsur möglich ist. Ich wende mich damit klar gegen diejenigen, die in dieser Konfliktsituation die persönliche Eigenverantwortung höher werten als die Verantwortung für das ungeborene Leben. Allerdings glaube ich nicht, dass ein Strafgesetz geeignet ist, Konfliktsituationen aufzulösen. Ich kann aus meiner ärztlichen Situation heraus nur zu bedenken geben, dass es Einzelfälle geben kann, in denen das Ziel, das menschliche Leben generell zu schützen, nicht erreicht werden kann - etwa bei einer angeborenen Störung des Ehepaares, die immer mit dem Tod eines Kindes einhergehen würde. In diesem Fall kann man die PID als einsehbaren Schritt verstehen.
Die Furche: Welche Indikationen sollen zulässig sein, um einen Embryo zu verwerfen?
Nagel: Im Prinzip hat man sich darauf verständigt, dass Indikationslisten keine sinnvollen Einschränkungen sind. Deutlich war jedenfalls, dass eine völlig freie Zulassung der PID abgelehnt wird. Englische Verhältnisse soll es in Deutschland nicht geben. Ich persönlich glaube, dass die Politik jetzt gut beraten wäre, ein Fortpflanzungsmedizingesetz voranzutreiben, um alle Fragen - nicht nur die der PID - abzudecken und eine Richtschnur vorzugeben.
Die Furche: Haben Sie durch die teilweise Zulassung der PID nicht die Sorge, dass die Solidarität mit Menschen, die sich bewusst für ein behindertes Kind entscheiden, schwindet?
Nagel: Wir haben schon jetzt einen großen Nachholbedarf in der wirklichen Akzeptanz von Behinderungen. Dementsprechend wird natürlich die Möglichkeit der vorgeburtlichen Aussonderung von Behinderungen das Klima weiter verschlechtern. Allerdings würde ich nicht schwarz-weiß malen. Es hängt vom Einzelnen ab: Ich kann mich sehr wohl für die Freiheit der Frau einsetzen und dennoch legitim argumentieren, dass ich selbstverständlich bereit bin, Behinderte zu akzeptieren und integrieren. Es gibt nicht nur richtig oder falsch, sondern es muss auch Spielräume geben, wo der im Leid befindliche Mensch Unterstützung erhält.
Das Interview führte Doris Helmberger.
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