"Es gibt so viele Ausreden und BESCHÖNIGUNGEN"

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Viele Jahre herrschte Stillstand in der Asylpolitik der EU -nun sorgt der steigende Druck für Bewegung. Ein Hintergrundgespräch mit SPÖ-Europa-Abgeordnetem Josef Weidenholzer.

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Viele Jahre herrschte Stillstand in der Asylpolitik der EU -nun sorgt der steigende Druck für Bewegung. Ein Hintergrundgespräch mit SPÖ-Europa-Abgeordnetem Josef Weidenholzer.

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Wie er die europäischen Diskussionen zur Asylpolitik einschätzt und was sich dringend ändern müsste, erklärt Josef Weidenholzer (SPÖ). Er setzt sich im EU-Parlament seit 2011 für die weltweite Situation der Menschenrechte , den Schutz der Grundrechte in Europa, Asyl-und Migrationsfragen sowie für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in der EU ein. Außerdem ist er Professor für Gesellschafts-und Sozialpolitik an der Johannes Kepler Universität Linz.

DIE FURCHE: Sie haben als Beobachter an einer Frontex-Operation in der Straße von Gibraltar teilgenommen. Wie war Ihr Eindruck von der Arbeit der europäischen Grenzschutzagentur?

Joe Weidenholzer: Das Erschreckende war, dass man manche Boote gar nicht entdeckt, und es eine hohe Rate an Unfällen gibt, weil die kleinen Plastikboote neben den riesigen Schiffen in dieser Meerenge gar nicht gerüstet sind für eine Überfahrt. Das Grenzgebiet, wo Spanien beginnt, ist für Flüchtlinge nicht klar erkennbar. Es war erstaunlich, wie gering der Anteil an Asylsuchenden war. Es gibt keine wirklichen Aufnahmestrukturen. Da stellt sich die Frage: Welche Informationen erhalten die Flüchtlinge überhaupt oder will man sie gar nicht aufnehmen?

DIE FURCHE: EU-Außenbeauftragte Mogherini hatte die viel kritisierte Idee, Schlepperboote zu bomben. Ein Zeichen der Hilflosigkeit?

Weidenholzer: Völliger Schwachsinn. Man hat jetzt zehn Jahre lang gemeint, man könne mit Frontex Grenzen errichten, schärfere Maßnahmen setzen, mehr überwachen. Herausgekommen ist, dass nicht weniger Leute kommen, sondern mehr. Nur der Preis, nach Europa zu kommen, wurde höher. Wenn ich Menschen in Krisengebieten sich selbst überlasse, brauche ich mich nicht zu wundern, dass sie in absehbarer Zeit zu uns kommen müssen. In einem Flüchtlingslager im Irak für Jesiden und Christen habe ich einen Burschen gefragt, wo er Englisch gelernt hat. Und er sagte: "Ich habe ein Wörterbuch gefunden und lerne die Wörter auswendig." Was passiert mit so einem intelligenten jungen Menschen? Ich finde das zutiefst verantwortungslos.

DIE FURCHE: Sie meinen, man müsste die Push-Faktoren, die Leute zum Auswandern zwingen, ausschalten. Wie könnte das gehen? Weidenholzer: Wenn ich eine Fischereipolitik betreibe, wo ich die Küsten des Senegals leer fische, brauche ich mich nicht zu wundern, dass die Menschen von dort nach Europa kommen. Wenn durch TTIP ein Handelsabkommen zwischen den reichsten Regionen der Erde zustandekommt und die anderen Länder ausschließt, wenn ich die afrikanische Wirtschaft zerstöre, dann kann die Entwicklungshilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. In den nächsten zehn Jahren sollten wir unsere Handelspolitik gegenüber diesen Ländern ändern.

DIE FURCHE: Welche Instrumente zum Umgang mit Migrationsströmen gäbe es?

Weidenholzer: Es gibt ja einerseits die herkömmliche Migration, wo sich Menschen einfach beruflich verbessern wollen. Dafür gibt es die Blue Card der EU -ein nicht wirklich funktionierendes System. Dabei gäbe es einen gewissen wirtschaftlichen Bedarf an Zuwanderung in Europa. Solange wir die Zuwanderung nicht entdämonisieren, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass sich alle Arten von Immigranten in das Asylverfahren zwängen, das eigentlich für politisch Verfolgte gedacht ist. Dann haben wir aber noch das Riesenproblem der Kriegsflüchtlinge und der Vertriebenen. Es bräuchte eine eigene Migrationspolitik, eine Asylpolitik und eine Sondermaßnahme im Kriegsfall.

DIE FURCHE: Welche Möglichkeiten für eine legale Einreise sollte die EU also schaffen? Weidenholzer: Etwa erprobte Resettlement-Programme in Kooperation mit UNHCR, wo bestimmte Gruppen in der EU angesiedelt werden, so wie das während des Jugoslawienkrieges funktioniert hat. Da gab es ja auch keine Einzelfall-Prüfungen. Legale Einreisemöglichkeiten könnten etwa humanitäre Visa sein, also dass die Person mit Visum einreist, das Asylverfahren hier geschützt abwarten kann und gegebenenfalls wieder zurück muss. Man könnte auch die Aufnahme-Prozedur in die Herkunftsländer verlagern und Contact Points, also Außenstellen der EU, in Tunis, Beirut, Ägypten schaffen. Dann müssten die Leute nicht über das Mittelmeer kommen. Humanitäre Einreisekorridore wären ein erster Versuch, das Schlepperwesen wirksam zu bekämpfen.

DIE FURCHE: 2014 wurden insgesamt 626.000 Asylanträge in der EU gestellt, so viele wie nie zuvor. Wo sehen Sie die Grenze des Verkraftbaren?

Weidenholzer: Die EU hat 507 Millionen Einwohner -auch wenn manche Mitgliedsstaaten nicht so leistungsfähig sind, ist die aktuelle Zahl locker verkraftbar. In Syrien gab es 9,5 Millionen vertriebene Binnenflüchtlinge und 4,5 Millionen Vertriebene außerhalb von Syrien. 200.000 Syrer sind in Europa. Wovon reden wir also? Während des Jugoslawienkrieges hat allein Österreich 90.000 Menschen aufgenommen und das hat uns gar nicht geschadet. Natürlich nimmt Österreich im EU-Vergleich übermäßig viele Flüchtlinge auf und ist unter dem Dublin-System benachteiligt.

DIE FURCHE: Die EU-Kommission hat erkannt, dass das Dublin-Abkommen gescheitert ist und plant nun, insgesamt 60.000 Flüchtlinge auf die EU-Länder zu verteilen. Sie will die Menschen anhand eines Schlüssels je nach Bevölkerungszahl, Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosenrate und bisheriger Aufnahme-Quote auf die EU-Staaten verteilen. Eine sinnvolle Lösung?

Weidenholzer: So ein Schlüssel existiert in ähnlicher Form in Deutschland für die Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer. Dort funktioniert es. Wir haben aber noch keine gemeinsame EU-Asylpolitik. Grundsätzlich wird in beiden Kernpunkten des Dublin-Abkommens ein Umdenken beginnen müssen: Sowohl bei der Quote als auch bei der Frage, wie man den Status eines Asylwerbers erhält. Insofern sehe ich diesen Vorschlag als ersten Versuch der Kommission, Pilotprojekte zu starten.

DIE FURCHE: 20.000 Flüchtlinge sollen im Rahmen eines Resettlement-Programmes in den kommenden zwei Jahren in der EU neu angesiedelt werden, weitere 40.000 sollen aus Italien und Griechenland in andere EU-Staaten umgesiedelt werden. Welche Herausforderungen sehen Sie?

Weidenholzer: Zwangsmaßnahmen der Union ließen sich schwer umsetzen. Manche Länder weigern sich, die meisten osteuropäischen Länder. Es gibt so viele Ausreden und Beschönigungen. Es würde also nur mit Anreizen wie Zuschüssen funktionieren.

DIE FURCHE: Wird das Problem der mangelnden einheitlichen EU-Koordinierung von Asylverfahren jetzt angegangen?

Weidenholzer: Sicher ein großer Fortschritt ist das European Asylum Support Office (EASO) in Malta. Hier werden erstmals einheitliche Standards entwickelt, sodass ein Grenzbeamter in Portugal genauso wie einer in Polen Fälle beim Asylgesuch ähnlich behandelt. Es handelt sich zwar nur um Empfehlungen, aber es ist ein wichtiger Schritt.

DIE FURCHE: Erwarten Sie bald Taten der EU? Weidenholzer: Der Leidensdruck ist schon sehr groß. Allein, dass man quasi zugibt, dass Dublin nicht mehr funktioniert, ohne dass es noch eine Alternative gibt! In vielen Kreisen der Kommission und des Rats, aber auch bei den Innenministern besteht die Bereitschaft, über solidarische Alternativen nachzudenken.

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