"Es gibt zu wenig Prävention"

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Im Gespräch mit der furche fordert Klaus Firlei eine neue Gesundheitspolitik und kritisiert verdeckte Rationierungen, die bei der medizinischen Versorgung bereits auf der Tagesordnung sind.

Die Furche: In Österreich haben Versicherte nach ASVG im Krankheitsfall Anspruch auf "Vollversorgung nach bestem medizinischem Standard". Wie verträgt sich dieser Anspruch mit den Reizworten von "Zwei-Klassen-Medizin", "Leistungskürzung" bzw. "Rationierung"?

Klaus Firlei: Richtig, das österreichische System garantiert allen Versicherten die Bestbehandlung. Rechtlich hat also jeder Versicherte und mitversicherte Angehörige Anspruch darauf, nach den aktuellen medizinischen Standards bei allen Krankheiten auf Dauer therapiert zu werden. In das österreichische System ist der medizinisch-technische Fortschritt mit eingebaut und es kann theoretisch also nicht zur Rationierung kommen.

Die Furche: Wo ist der Haken?

Firlei: Gleichzeitig verschärft sich der Konflikt zwischen den verfügbaren Einnahmen der sozialen Krankenversicherungen und der Deckung des Bedarfs der Versicherten. Die Zahl der psychischen Erkrankungen nimmt immer stärker zu - der häufigste Grund für Frühpensionierung ist mittlerweile eine psychische Erkrankung. Ebenso steigt die Zahl der chronisch Kranken. Einnahmen und Ausgaben klaffen also dramatisch auseinander, dieser Befund wird sich noch weiter verschlechtern. Die Sozialversicherungsträger haben keine Möglichkeiten, die Beiträge zu erhöhen, das müsste der Gesetzgeber machen. So sind auf der einen Seite Leistungsansprüche per Gesetz garantiert, auf der anderen Seite reicht das Geld dafür aber nicht.

Die Furche: Ist die bedarfsgerechte soziale Versorgung Fassade? Wo sehen Sie Spuren verdeckter Rationierung?

Firlei: Das politische System müsste längst das Thema "Rationierung" öffentlich diskutieren. Verdeckte Rationierung ist bereits Realität. Nur vordergründig wird am Leistungsanspruch der Versicherten nicht gerüttelt, wohl aber wird dieser formale Anspruch durch indirekt wirkende Maßnahmen unterlaufen.

Die Furche: Wie funktioniert diese indirekte Rationierung?

Firlei: Medikamente, die der Bewilligung durch Chefärzte unterliegen, sind wesentlich teurere und wirksamere Medikamente. Ärzte, die diese Medikamente verschreiben, müssen aufgrund der ständigen Begründungspflichten einen hohen bürokratischen Aufwand bewältigen. 2005 hat die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse gemeinsam mit der Ärztekammer eine Zielvereinbarung abgeschlossen: hier bestimmt die Kasse nicht vorweg selbst, sondern transferiert die Entscheidungskompetenz in Richtung Vertragspartner. Auch bei diesem Modell ist die Auswirkung der Zielvereinbarung auf das Vertrauensverhältnis von Ärzten und Patienten zu bedenken: informieren Ärzte, für die eine Zielvereinbarung gilt, ihre Patienten über bessere Alternativen? Welche Konsequenzen hat es also, wenn Ärzte Funktionen der Chef-bzw. Kontrollärzte übernehmen?

Die Furche: Welche Belege für verdeckte Rationierungen sehen Sie noch?

Firlei: Für mich ist es ein Indiz blanker Rationierung, dass alle alternativmedizinischen Heilmittel generell von einer Erstattung ausgeschlossen sind. Das ist meiner Ansicht nach ein gesundheitspolitischer Skandal. Erstens ist es Sache der Ärzte, wie sie aufgrund der vorliegenden Befunde zwischen einer schulmedizinischen und einer alternativmedizinischen Behandlung entscheiden, eine Kombination wählen. Die Situation ist übrigens kurios. Auf der einen Seite bieten die Ärztekammern Fortbildungen etwa im Bereich Akupunktur an, einem Gebiet also, von dem die Krankenversicherungen behauptet, es stünde als Methode außerhalb der Medizin. Der rechtzeitige Einsatz dieser Methode würde unserem Gesundheitssystem sehr gut tun - das ist ein Beleg verdeckter Rationierung, die Kosten für alternativmedizinische Behandlungen werden auf den privaten Bereich verschoben.

Die Furche: Sie haben bei der Tagung den "Masterplan Gesundheit" erwähnt. Was beinhaltet dieser?

Firlei: Salopp gesprochen vermisse ich in Österreich eine konkrete Gesundheitspolitik. Unser Gesundheitssystem ist ein fragmentiertes System, das aus Ärztekammern, Versicherungsträgern, den Ländern und Gemeinden besteht. Hier muss die Prävention eine zentrale Aufgabe sein. Kindergärten, Schule und Betriebe haben eine wichtige Aufgabe. Ich erinnere nur an die Milliardenbeträge, die der Volkswirtschaft etwa durch Mobbing verloren gehen. In Österreich gibt es zu wenig Prävention, zu wenig Gesundheitsförderung, zu wenig Vernetzung, zu wenig Gespräche zwischen Patienten und Ärzten. Es muss sich ein Kooperationssystem verschiedener Bereiche entwickeln. Das würde den Akutbereich entlasten und die Eigenverantwortung der Patienten erhöhen.

Das Gespräch führte Christina Gastager-Repolust.

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