"Es gilt die Unwahrheitsvermutung"

Werbung
Werbung
Werbung

Aufgeschoben ist auch im Fall des Asylgesetzes nicht aufgehoben. Im Herbst geht die Auseinandersetzung zwischen Innenministerium und Flüchtlingsorganisationen in die zweite Runde. UNHCR-Vertreter Gottfried Köfner hofft, die Nachdenkpause werde sinnvoll genutzt und plädiert dafür, die heikle Materie aus den anstehenden Landtagswahlkämpfen heraus zu halten.

Die Furche: Das Asylgesetz wird nun doch erst im Herbst beschlossen. Ist diese Verschiebung ein Erfolg für den UNHCR und die anderen Flüchtlingsorganisationen, die gegen die Novelle protestiert haben?

Gottfried Köfner: Es ist vor allem gut, dass es jetzt eine Nachdenkpause gibt. Das Innenministerium war bisher nicht flexibel genug, auf die Verbesserungsvorschläge einzugehen. Aber es geht hier nicht darum, ob sich die eine oder andere Seite durchgesetzt hat. Es war die Einhelligkeit der Kritik am Entwurf des Ministeriums, die bei den Nationalratsabgeordneten zur Überzeugung geführt hat, dass man in diesem sensiblen Bereich nichts übereilen soll. Es ist ja nichts gewonnen, wenn man eine Reform schnell durchzieht, damit aber noch mehr Probleme schafft. Es geht um das bestmögliche Ergebnis.

Die Furche: Wie soll das aussehen?

Köfner: Wie kann man ein an sich gutes Asylgesetz besser und nicht schlechter machen? Das ist die Frage, um die es gehen soll. Es ist ja kein Notstand ausgebrochen, der nach einem völlig neuen Asylgesetz verlangt.

Die Furche: Warum dann eine Novelle?

Köfner: Es gibt im Asylrecht genug Bereiche, wo Verbesserungen möglich sind - aber das System an sich muss nicht geändert werden. Die Antwort auf alle derzeitigen Schwierigkeiten im Asylwesen lautet: mehr Personal, mehr Personal, mehr Personal... Dann lösen sich die meisten Probleme von selbst. Ein Ausbau der Kapazitäten ist zudem eine gute Investition, weil man die Verfahren und damit die Betreuungzeit der Asylwerber verkürzen kann.

Die Furche: Auch der Innenminister beteuert, dass es ihm vorrangig um ein verkürztes Asylverfahren gehe.

Köfner: Und wie versucht das Ministerium dieses Ziel zu erreichen? Kapazitäten werden keine erhöht. Der Entwurf zum Asylgesetz sieht stattdessen vor, Asylwerber möglichst schnell aus dem Verfahren zu bringen, indem man die Berufungsmöglichkeiten drastisch eingrenzt. Oder es wird ihnen der Zugang zum Asylverfahren von vornherein durch die Drittstaatenregelung oder die Ablehnung von Asylanträgen an der Grenze verunmöglicht.

Die Furche: Geplant ist also ein "Flüchtlingsvermeidungsgesetz"?

Köfner: Am schlimmsten finde ich, dass man allen Asylwerbern unterstellt, sie sagen die Unwahrheit, nur um das Verfahren zu verschleppen. Zuerst gilt also die Unwahrheitsvermutung. Realität ist aber, dass heute 20 Prozent der erstinstanzlichen Entscheide aus substanziellen Gründen von der zweiten Instanz aufgehoben werden. Ein Fünftel wird korrigiert, weil sie falsch waren. Und das soll jetzt nicht mehr möglich sein?

Die Furche: Es wird gerne zwischen dem "guten" Flüchtling aus politischen Gründen und dem "bösen" Wirtschaftsflüchtling unterschieden.

Köfner: Wenn Migrationsfragen nicht beantwortet werden, schwappen diese ins Asylwesen über. Wir bräuchten ja kein Asylverfahren, wenn wir von vornherein wüssten, dass alle, die Asyl beantragen, ein Anrecht darauf haben. Ziel des Verfahrens sollte aber sein, den Schutzbedürftigen und nicht den Wirtschaftsflüchtling zu finden. Für viele ist Österreich nur das Vorzimmer zur EU und nicht das eigentliche Ziel. Das sieht man daran, dass viele, die in Bundesbetreuung sind, weiterwandern. Letztes Jahr wurden in Österreich rund 1.000 Asylanträge anerkannt und etwas über 4.000 Personen abgelehnt.

Die Furche: Mit der Verschiebung der Novelle des Asylgesetzes wackelt jetzt auch die Bund-Länder-Vereinbarung für die Grundversorgung von Flüchtlingen in Bundesbetreuung.

Köfner: Die Verknüpfung dieser beiden Themen ist mir unverständlich. Sehr enttäuscht bin ich aber darüber, dass nach wie vor an keinen Rechtsanspruch auf Bundesbetreuung gedacht wird. Es bleibt im Gegensatz zur europäischen Gesetzgebung in Österreich bei einer Kann-Bestimmung. Das heißt, es wird wieder Fälle geben, wo viele keine Betreuung erhalten, wo Frauen und Kinder auf der Straße stehen, wo kein ordnungsgemäßes Verfahren möglich ist, weil die Zustelladresse fehlt.

Die Furche: Wie steht die österreichische Asylpraxis im Vergleich zu der anderer Staaten?

Köfner: Das jetzige Asylrecht in Österreich ist an und für sich beispielgebend. Mit der geplanten Novelle spielt Österreich jedoch eine restriktive Vorreiterrolle. In dieser Kombination hat das in Europa noch kein Staat gemacht.

Die Furche: Das Innenministerium verweist auf Harmonisierungsvorgaben der EU...

Köfner: Man muss unterscheiden zwischen dem, was in der EU diskutiert und dem, was beschlossen wird. Österreich hat einmal eine Richtlinie über sichere Drittländer gefordert - und ist damit nicht durchgekommen. Großbritannien hat vorgeschlagen, außerhalb der EU Flüchtlingszentren zu errichten. Tony Blair hat die Zustimmung von drei Staaten - darunter Österreich - erhalten. Das ist nicht die EU. Außerdem, sollte die EU eine Bestimmung erlassen, die der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht, dann wird diese vom Europäischen Gerichtshof aufgehoben.

Die Furche: Warum riskiert Österreich in diesen Fragen immer wieder, von den Gerichten gemaßregelt zu werden?

Köfner: Weil man noch immer hofft, man kann sich die Asylwerber fern halten und sie auf andere Staaten verweisen. Das widerspricht aber dem Solidaritätsgedanken. Wer sagt denn, dass immer die Länder am Rande der Wohlstandszone EU die Zuständigen sind? Und wie können die damit zurechtkommen? Wo verbleiben diese Menschen? Sehen wir sie dann irgendwann einmal wieder in Österreich? Wenn keine Kapazitäten da sind, sie in ihre Ursprungsländer zurückzuführen. Werden hier nur wieder Möglichkeiten für Schlepper geschaffen, Menschen herumzuschicken und auszubeuten? Das alles scheint Österreich sehr wenig zu interessieren ...

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Sein Büro hat schon Flüchtlingen Asyl geboten

Hinter seinem Schreibtisch im UNO-Center in Wien hängt ein Bild von Albert Einstein mit der Aufschrift: "Einstein was a refugee". Wissenschafter und Flüchtling - auch bei Gottfried Köfner gehören diese beiden Bereiche zusammen. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaften und Anglistik arbeitete der gebürtige Niederösterreicher am internationalen Forschungszentrum in der Salzburger Edmundsburg. Gemeinsam mit "Iustitia et Pax" hatte die deutsche Bischofskonferenz dort ein Projekt zum Asylrecht in der Bundesrepublik Deutschland gestartet. Im Laufe dieser Arbeiten wurde Köfner 1982 vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen in Bonn rekrutiert. "Seither arbeite ich für UNHCR und bin von diesem Thema einfach nicht mehr losgekommen", entschuldigt sich der 50-Jährige fast für seine Arbeit, die ihn von Sri Lanka nach Ruanda ("als Kabila seinen Bürgerkrieg begann") bis nach Malaysia geführt hat. Dort suchten Flüchtlinge sogar einmal Unterschlupf in Köfners Büro, begehrten Asyl und blieben fast ein halbes Jahr lang dort. West- und Ost-Timor sowie das Kosovo waren weitere Stationen von Gottfried Köfners Berufsleben, bevor er heuer als Repräsentant des UNHCR wieder an die Donau übersiedelte.

Weitere Informationen unter:

www.unhcr.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung