"Es kann keinen Kurdenstaat geben"

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Was die Solidarität mit dem "alten Europa" betrifft, sollen sich einige EU-Kandidaten an der Türkei ein Beispiel nehmen. So argumentierte der türkische Botschafter bei der EU, Oguz Demiralp, vor österreichischen Journalisten in Brüssel. Die Kurden im Irak, die Türken auf Zypern und die angeblich exklusive Stellung des Christentums in der EU waren weitere Themen des Gesprächs.

Die Furche: Welchen Einfluss haben die EU-Beitrittsbemühungen der Türkei auf deren Entscheidung gehabt, Amerika keine Unterstützung im Irak-Krieg zu gewähren?

Mustafa Oguz Demiralp: Die Irak-Frage ist strikt von unseren EU-Beitrittsbestrebungen zu trennen. Keinesfalls wollen wir, dass unsere Beitrittsbemühungen von der Irak-Krise überschattet werden. Das türkische Parlament hat eine demokratische Entscheidung getroffen, die ist zu respektieren. Auch die amerikanischen Abgeordneten treffen immer wieder Entscheidungen, die uns nicht erfreuen, und wir müssen damit genauso leben.

Die Furche: Wie einmütig wurde die Entscheidung gegen eine Unterstützung der USA in Ihrer Heimat getroffen?

Demiralp: Gemäß türkischer Verfassung kann in solchen Fragen allein das Parlament entscheiden. Das Parlament ist bekanntlich der Empfehlung der Regierung nicht gefolgt und hat gegen ein militärisches Engagement der Türkei gestimmt. Das war ein völlig korrekter demokratischer Prozess, dessen Ergebnis von allen Seiten zu akzeptieren ist.

Die Furche: Gerade die USA haben einen EU-Beitritt der Türkei unterstützt. Jetzt ist die Enttäuschung auf Seiten Amerikas groß - hat das einen negativen Effekt auf den Beitrittsprozess?

Demiralp: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Amerikanern und Europäern: Die USA haben eine klare strategische Vision für das 21. Jahrhundert. Für sie ist die Welt dann eine bessere, eine sichere, wenn die Türkei EU-Mitglied ist. Diese strategische Vision kann keine Abstimmung im türkischen Parlament beeinflussen. Der letztwöchige Besuch von US-Außenminister Colin Powell in der Türkei hat das erneut bestätigt.

Die Furche: Nicht alle EU-Staaten, geschweige denn alle Kandidatenländer zeigten sich so solidarisch mit dem "alten Europa" wie die Türkei - trotzdem gab es auch Kritik am türkischen Vorgehen ...

Demiralp: Drei EU-Mitglieder und mehrere Kandidatenländer beteiligen sich an diesem Krieg - die Kritik wurde aber gegenüber der Türkei vorgetragen. Das konnten weder die türkischen Politiker noch die Bevölkerung verstehen. Wir hatten das Gefühl, hier wurde mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen.

Die Furche: Die EU warnte die Türkei davor, in den Nordirak einzumarschieren. Das hätte Konsequenzen für den Beitrittsprozess.

Demiralp: Die Türkei akzeptiert die territoriale Einheit des Iraks und hat keinerlei Ambitionen, irakisches Territorium zu besetzen.

Die Furche: Warum gibt es dann türkisches Militär im Nordirak?

Demiralp: Wenn wir Soldaten im Nordirak stationieren, dann nur, um das dort vorherrschende Machtvakuum zu füllen. Der Nordirak ist teilweise Niemandsland, in dem Terroristengruppen frei agieren können. Türkische Militäraktionen in diesem Gebiet dienen allein der Aufrechterhaltung unserer nationalen Sicherheit. Sobald es eine akzeptable Sicherheitssituation im Nordirak gibt, sind solche Sicherheitsoperationen obsolet geworden.

Die Furche: Wie reagiert die Türkei auf kurdische Flüchtlinge?

Demiralp: Aus humanitärer Sicht ist es besser, die Flüchtlinge nicht in das gebirgige Grenzgebiet kommen zu lassen, sondern noch im flachen Land auf irakischer Seite zu beherbergen.

Die Furche: Würde die Türkei einen eigenen Kurdenstaat auf irakischem Gebiet akzeptieren?

Demiralp: Es kann keinen Kurdenstaat geben. Die UN-Resolutionen sagen ganz eindeutig, dass der Irak nicht nach ethnischen oder religiösen Unterschieden geteilt werden kann. Zu den Kurden im Nordirak pflegen wir seit Jahren sehr gute Kontakte. Irakische Kurden haben ihre Büros in Ankara und reisen mit türkischen Pässen durch die Welt.

Die Furche: Trotz Einschaltung der Vereinten Nationen und heftiger Interventionen seitens der EU ist Zypern ein Jahr vor dem EU-Beitritt noch immer eine geteilte Insel.

Demiralp: Das letzte Wort in dieser Frage ist noch nicht gesprochen. Der 1. Mai 2004 ist das entscheidende Datum für die Erweiterung der EU. Bis dahin werden noch die größten Anstrengungen unternommen werden, um das Problem zu lösen. Noch hat keine Seite aufgegeben.

Die Furche: Wie steht es um das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei?

Demiralp: Die Beziehungen haben sich sehr zum Positiven gewendet. Wir unterstützen uns gegenseitig in vielen Bereichen. Griechenland hat großes Interesse daran, nicht an der Außengrenze Europas zu liegen und bringt deswegen dem türkischen Beitrittswunsch viel Sympathie entgegen.

Die Furche: Ein weiterer Knackpunkt in den Beziehungen der EU zur Türkei ist die besondere Rolle, die das Militär in der türkischen Politik spielt.

Demiralp: Zweifellos, seit über einem Jahrzehnt wird diese Frage heftig diskutiert - und wegen der Irak-Krise wird es ein wichtiges Thema bleiben. Vor allem geht es um die Rolle des Nationalen Sicherheitsrates im politischen Entscheidungsfindungsprozess. Die türkische Seite hat auf die Vorbehalte der EU jedoch bereits reagiert und die türkische Verfassung wurde diesbezüglich verändert. Die anhaltende Kritik der EU in diesem Punkt halte ich deswegen für übertrieben.

Die Furche: Innerhalb der EU gibt es Kreise, die die Union als einen "Christenklub" definieren. Wie steht die Türkei zu dieser Exklusivität?

Demiralp: Ich verstehe diese Bemühungen nicht. Für uns ist der Säkularismus die Grundlage der Union. Die EU als einen "Christenklub" zu definieren, scheitert doch schon daran, dass es universale Werte sind, auf denen diese Union basiert. Hinzu kommt: Wer die EU auf das Christentum und seine Werte reduziert, fördert den Zusammenprall der Kulturen. Gerade diesem Konflikt muss aber mit aller Kraft entgegengehalten werden und deswegen setzen wir auch unseren Beitrittsprozess weiter fort.

Am Gespräch nahm Wolfgang Machreich teil.

Botschafter, für den Geld allein eine Beleidigung ist

"Uns kein Datum zu geben, aber Geld anzubieten, das wäre eine Beleidigung", meinte der türkische EU-Botschafter Mustafa Oguz Demiralp vor dem EU-Erweiterungsgipfel von Kopenhagen im Dezember letzten Jahres. Bekommen hat die Türkei schließlich beides: Für Wirtschaftsreformen stellt die EU-Kommission der Regierung in Ankara 75 Millionen Euro zur Verfügung und bezüglich eines Beitrittsdatums wurde nur aufgeschoben, aber keineswegs aufgehoben: Ende 2004 wird der Reformprozess in der Türkei erneut geprüft und im Fall eines positiven Befundes könne danach "ohne Verzögerungen" mit Beitrittsverhandlungen begonnen werden. "Ein früheres Datum wäre uns lieber gewesen", antwortete Demiralp letzte Woche bei einem Treffen mit österreichischen Journalisten in Brüssel auf die Frage, wie er mit dem EU-Beitrittsprozedere für sein Land zufrieden ist.

Demiralp wurde 1952 in Istanbul geboren. Seine Stationen im diplomatischen Dienst waren die Botschaften in München und Teheran sowie bei den Vereinten Nationen in Genf. Nach drei Jahren als Berater des türkischen Außenministers wurde Demiralp im Juli vergangenen Jahres zum Botschafter bei der EU berufen. Und wie auch immer die Beitrittsbewerbung der Türkei ausgeht - Demiralps Ernennung zu diesem wichtigen Datum ist auf jeden Fall eine Ehre und keine Beleidigung.

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