Es könnte ein Mensch sein

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Die Bioethikkommission hat sich für eine Liberalisierung der Embryonenforschung ausgesprochen. Politisch wird daraus vorerst nichts folgen - aber die ethischen Fragen bleiben auf der Agenda.

Mit der bioethischen Debatte in Österreich verhält es sich wie mit den meisten anderen essenziellen Auseinandersetzungen hierzulande: Sie findet nicht wirklich statt. Anstelle substanzieller Kontroversen erleben wir ideologisch unterfütterte, reflexgesteuerte Gefechte, abgemildert durch die austriakische Maxime "Mir wern kan Richter brauchn". Das Ergebnis solcher Nichtdebatten ist meist das, was unter dem Namen "österreichische Lösung" zu zweifelhafter Bekanntheit gelangt ist; man könnte auch von "Immerwährenden Neutralitätslösungen" sprechen.

Die derzeitige "Regelung", wonach bei der künstlichen Befruchtung entstehende überzählige Embryonen nicht für die Forschung verwendet werden dürfen, der Import embryonaler Stammzellen aus dem Ausland aber erlaubt ist, illustriert das perfekt (zumal "erlaubt" hier eigentlich nur - siehe "austriakische Maxime" - "nicht verboten" heißt).

Trittbrettfahrer

Das ist exakt die selbe Trittbrettfahrermentalität, die etwa auch den sicherheitspolitischen Eiertanz des Landes bestimmt: Wenn andere die Drecksarbeit machen, soll uns das recht sein. Wir werfen uns im Gegenzug dafür gern in die Pose moralischer Überlegenheit (sympathisch sind wir sowieso) und geben unentgeltlich und umsonst gute Ratschläge, wie der Rest der Welt vom österreichischen Weg lernen könnte.

Vor diesem Hintergrund ist der Vorstoß der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt für klare rechtliche Regeln betreffend die Stammzellforschung natürlich zu begrüßen. Dass gerade diese Regierung, gerade in Zeiten wie diesen, daraus Politik machen könnte, glaubt freilich niemand, auch die Kommission selbst macht sich da offenbar keine Illusionen. Die Einsetzung einer einschlägigen Arbeitsgruppe durch den Ministerrat darf man in diesem Sinne durchaus als gefährliche Drohung interpretieren.

Eine völlig andere Frage ist freilich die inhaltliche Bewertung des Mehrheitsvotums der Bioethikkommission: Mit 17 gegen fünf Stimmen hat sich das Expertengremium für eine Liberalisierung der Embryonenforschung ausgesprochen. So sollen vor allem die bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) entstehenden überzähligen Embryonen künftig für die Herstellung von Stammzellen verwendet werden, aber auch Zybride (menschliche Zellkerne werden in entkernte tierische Eizellen eingesetzt) zu Forschungszwecken hergestellt werden dürfen. In letzterem Fall wird argumentiert, damit ließe sich das ethische Problem einer Eizellenspende durch Frauen lösen. Ein äußerst fragwürdiger Zugang: als ließe sich ein ethisches Problem durch Inkaufnahme eines mindestens ebenso schwer wiegenden - die Vermischung von menschlichem mit tierischem Zellmaterial - aus der Welt schaffen. Aber das Grundproblem ist ein anderes: Es geht um die Frage nach dem moralischen Status des Embryos, um die Frage, inwieweit ihm Würde und Lebensrecht zukommen. Die Bioethikkommission hat diese Frage nicht explizit thematisiert, aber mehrheitlich implizit beantwortet - im Zweifel für die Forschung.

Im Zweifel für das Leben

Die Minderheit hält demgegenüber - ebenso implizit - am Prinzip "Im Zweifel für das Leben" fest. Diese Positionierung mag wie ein Rückzugsgefecht anmuten, könnte sich aber auf lange Sicht dennoch als prophetisch erweisen. Das zugrunde liegende Bild vom Menschen hat Kardinal Karl Lehmann einmal eindrucksvoll in einem Artikel für die Zeit (Nr. 4/08) skizziert. Er plädierte dort dafür, "bei Entscheidungen, die das Leben betreffen und bei denen sich möglicherweise mehrere Alternativen anbieten", die "sicherere Variante" zu wählen ("Tutiorismus", von lat. tutior = sicherer), denn: "es könnte ja vielleicht trotz aller Skepsis von Anfang an doch ein Mensch sein".

Das ist fern von jedem "lebensschützerischen" Fundamentalismus. Aber solche Behutsamkeit und Zurückhaltung werden wir künftig noch mehr brauchen, um den Menschen vor sich selbst zu schützen.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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