"EU muss stärker in Zentralasien aktiv werden“

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Zum Besuch des kasachischen Autokraten Nursultan Nasarbajew in Österreich: Thomas Kunze, Zentralasienexperte der Konrad-Adenauer-Stiftung über die gefahrenreiche Zukunft der Region.

Thomas Kunze ist Historiker und arbeitet seit mehr als 10 Jahren für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung. Er ist Leiter des Stiftungsbüros für den "Mittleren Osten“. Zuletzt erschien sein Buch: "Von der Sowjetunion in die Unabhängigkeit - eine Reise durch die 15 ehemaligen Sowjetrepubliken“ im Verlag Ch. Links.

Die Furche: Europa sieht die fünf Staaten Zentralasiens zumeist als Energielieferanten. Aber wer Zentralasien sagt, muss auch die geostrategische Position der Region im Auge haben - und damit das große Nachbarland Afghanistan. Der Truppenabzug der Nato soll bis 2014 abgeschlossen sein. Was wären die möglichen Konsequenzen für den Raum?

Thomas Kunze: Ich sehe die Lage in Afghanistan mit Besorgnis. Die derzeitigen Entwicklungen lassen eine Destabilisierung befürchten. Einiges spricht dafür, dass die Taliban und radikalislamische und terroristische Gruppen nach dem Truppenabzug an Einfluss und Bewegungsmöglichkeit gewinnen werden. Schon jetzt haben die Staaten in Zentralasien Probleme, den Einfluss von radikalen Islamisten zurückzudrängen. Es gibt Strömungen Richtung einer Islamisierung und große Sorgen in den Regierungen, aber auch in Teilen der Bevölkerung, dass sich diese Probleme nach 2014 massiv verschärfen.

Die Furche: Gibt es soziale Spannungen und Strukturen, die diesen Trend verstärken?

Kunze: Es ist unstrittig, dass alle Länder Zentralasiens mit sozialen Problemen zu ringen haben aufgrund der ethnischen Vielfalt, aber auch aufgrund eines enormen Bevölkerungswachstums. Über 50 Prozent der Bevölkerung in den Staaten Zentralasiens sind unter 28 Jahre alt. In Regionen wie dem Ferganatal gibt es aber weder genügend Industrie noch Großstädte, wo die jungen Menschen Arbeit finden würden. Staatlichen Programmen mangelt es oft an der Implementierung. Das fördert die Frustration und spielt Islamisten in die Hände. Noch halten die Staaten den Islamismus durch autoritäre Regierungsführung in Schach.

Die Furche: Besonders besorgniserregend erscheint die Lage in Tadschikistan.

Kunze: Tadschikistan ist ein Sonderfall in Zentralasien. Das Regime hat große Probleme, die säkulare Struktur des Staates gegen islamische Fundamentalisten zu verteidigen, weil die Islamisierung der Gesellschaft bereits weiter fortgeschritten ist als anderswo in der Region. Es gibt eine zugelassene islamische Partei. Tadschikistan ist zudem das "Armenhaus“ Zentralasiens. Außerdem hat es eine über 1000 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Afghanistan, die nahezu unbewacht ist und das ungehinderte Einsickern terroristischer Gruppen ermöglicht. Auch Drogentranporte können ungehindert passieren.

Die Furche: Wie reagieren darauf die mächtigen Nachbarn China und Russland?

Kunze: Russland hat immer wieder angeboten, die Grenzüberwachung zu übernehmen, aber das ist an den Souveränitätsbedenken der tadschikischen Regierung gescheitert, die sich zudem eher an anderen Partnern wie dem Iran orientieren will. Die Chinesen verfolgen ganz trocken ihre wirtschaftlichen Interessen, mischen sich nicht in die innere Lage ein, versuchen aber alles zu tun, um die wirtschaftliche Stabilität zu fördern. Wenn Sie durch Tadschikistan fah-ren, werden Sie chinesische Strafgefangene sehen, die dort Straßen bauen. Auch billige Kredite garantiert Peking.

Die Furche: Von den fünf Staaten hat Freedom House nur Kirgisistan als halbfrei bezeichnet, der Rest wird als unfrei eingestuft.

Kunze: Ich würde bei diesen Einordnungen immer vorsichtig sein. Man muss da auch die Geschichte dieser Länder einbeziehen. Das waren feudale Khanate, die 1917 von der Sowjetunion geschluckt wurden, und praktisch in eine totalitäre Diktatur kippten. Man kann an diese Länder nicht die Maßstäbe erfahrener Demokratien anlegen.

Die Furche: Von allen Staaten Zentralasiens versucht Kasachstan am intensivsten den Anschluss an den Westen, wie man auch am Besuch Nasarbajews in Wien sieht. Könnte das Land eine Vorreiterrolle innehaben, was die Entwicklung von Menschenrechten betrifft, die dort auch nicht geachtet werden?

Kunze: Kasachstan ist ein Land mit enormem Ressourcenreichtum, und es gibt eine Zollunion mit Russland. Schon dadurch ist eine Brücke nach Europa vorhanden. Aber wie überall in der Region diskutiert man auch in Kasachstan die Frage, ob eine demokratische Öffnung nicht auch die Stabilität gefährdet. Alle fünf Staaten wollen das laizistische Modell der Trennung von Staat und Religion beibehalten. Wir Europäer sollten bedenken, dass eine Islamisierung dieses Raumes die Probleme, die wir mit radikalen Islamisten haben, nahe an Europa heranrücken würde. Diese Tatsache und die energiepolitischen Interessen Europas würde es klug erscheinen lassen, viel stärker als bisher in Zentralasien aktiv zu werden.

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