EU-tauglich trotz Bakschisch-Mentalität?

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Bulgarien: arm und korrupt und trotzdem bei ausländischen Investoren begehrt - wie passt das zusammen?

So hatte er sich in den Zeiten der Unterdrückung Demokratie und Freiheit nicht vorgestellt. Von den Stalinisten einst politisch verfolgt, findet sich der 87-jährige Dantscho Tanev auch nach der Auflösung der Diktatur auf der Verliererseite wieder. Täglich wartet er mit seinem Leierkasten in der Saborna-Straße in der Altstadt von Plovdiv auf Passanten. Für ein paar Lewa lässt er prächtige Melodien aus seiner Drehorgel erklingen. "Das Geld brauche ich, um meine Medikamente zu bezahlen", erzählt der Rentner. Vom Staat hat er wenig zu erhoffen. Der speist ihn, so wie die Mehrzahl der Pensionisten, mit einer monatlichen Rente von 40 Euro ab. Das reicht, wenn man scharf kalkuliert, pro Tag gerade für einen Becher Joghurt und ein halbes Brot. Nicht besser ergeht es einem 70-jährigen früheren Literaturprofessor in der Rosenstadt Kazanlak. Damit er und seine Frau nicht verhungern, bewacht er im Auftrag einer Security-Firma das Rosenmuseum. Von "Demokratie" hat er die Nase voll.

Eine Million weniger

Dass hunderttausende Pensionisten nicht auch noch obdachlos auf der Straße sitzen, verdanken sie einer Besonderheit Bulgariens: Ein Großteil der Wohnungen gehört den Bewohnern, was ihnen die Miete erspart. Ein Telefon können sich viele Senioren aber schon nicht mehr leisten, beträgt doch allein die Grundgebühr schon fünf Euro. Doch wirklich schlimm wird es im Winter. Die Heizkosten würden die Pension zur Gänze auffressen. Also bestellen viele Pensionisten die Fernwärme ab und frieren. Seit Ende der 1980er Jahre ist die Bevölkerung Bulgariens jedenfalls um eine gute Million zurückgegangen. Man schätzt, dass die Hälfte davon emigriert ist, die andere Hälfte ist gestorben - auch erfroren und verhungert.

"Einfach nur überleben!"

Von der drückenden Not sind aber nicht nur die Alten betroffen. Eine sozialstatistische Umfrage der bulgarischen Akademie der Wissenschaften aus dem Jahr 2005 hat ergeben, dass für mehr als ein Drittel der bulgarischen Bevölkerung das Ziel für die nächsten Jahre "einfach nur überleben" heiße. Das statistische Durchschnittseinkommen von derzeit 340 Lewa (etwa 170 Euro) gibt nicht die wirklichen Einkommensverhältnisse wieder, weil in diesem Betrag auch die kleine Schicht sehr gut Verdienender einbezogen ist. Verkäuferinnen bekommen zwischen 120 und 300 Lewa im Monat. Ein Taxifahrer bringt es auf 500 Lewa. Dafür muss er 16 Stunden und mehr am Tag fahren.

Ein völlig anderes Bild bieten hingegen die Wirtschaftsdaten Bulgariens. Das Land erzielt seit Jahren Wachstumsraten um die fünf Prozent. Auch die Arbeitslosigkeit geht kontinuierlich zurück, 2006 ist sie erstmals seit 1991 unter die Zehnprozentmarke gefallen. Voraussetzung für diese Entwicklung war ein konsequenter Sanierungskurs, der in Bulgarien seit 1996 unter den argwöhnischen Blicken des Internationalen Währungsfonds durchgezogen wird. Damals, nach einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise des Landes, verlangte der IWF, dass die Subventionen für die maroden alten Industriemonster radikal gekürzt, Pleitebanken geschlossen und die Privatisierung der Staatsbetriebe ernsthaft in Angriff genommen werden. Börse und Banken hatten sich neuen, strengen Verhaltensregeln zu unterwerfen.

Damals setzten auch die ausländischen Direktinvestitionen in größerem Umfang ein. Die Privatisierung hatte den Weg frei gemacht für den Erwerb bulgarischer Betriebe und Immobilien. Im Jahr 2004 wurden bereits 2,1 Milliarden Euro aus dem Ausland investiert. Neubauten von Hotels, Autohäusern und grellbunte Tankstellen haben Farbe in den Ostblock-Grauton gebracht. Auch Österreich ist in großem Stil dabei: OMV, EVN, Mobilcom, Raiffeisen International. Für die Investoren ist Bulgarien ein Eldorado. Die extrem niedrigen Löhne und die geringen Steuersätze ermöglichen wesentlich höhere Erträge als in den alten EU-Ländern, was prächtige Zahlen in den Konzernbilanzen garantiert.

Korruption in der Justiz

Besonders kritisch betrachtet werden von der EU die Korruption und die Probleme im Justizbereich. Tatsächlich gibt es in diesen Feldern in Bulgarien gravierende Probleme. Die Justiz arbeitet wenig professionell und träge. Das größte Problem ist aber die grassierende Korruption, die immense Ausmaße angenommen hat. Eine allgegenwärtige "Bakschisch-Mentalität" hat sich im öffentlichen Leben breit gemacht. Davon betroffen sind vor allem Krankenhäuser sowie der Zoll-und Immobilienbereich. Von der Korruption in der Immobilienbranche kann ein österreichischer Geschäftsmann ein Lied singen: "Nur wenn dem Ansuchen die entsprechenden Gratifikationen beigelegt sind, erteilt die Behörde die Baugenehmigung zeitgerecht. Sonst bleibt der Antrag eben monatelang liegen."

EU als Gauner-Komplizin

Kein Wunder, dass man innerhalb der Bevölkerung bei denen, die zu kurz gekommen und auf der Verliererseite sind, alle Politiker und Geschäftsleute für Gauner hält. Und mit dem Beitritt wird auch die EU in diese Problematik hineingezogen: "Zunächst wurde die EU als Verbündete gegen die Gauner im eigenen Land empfunden, nur wenige Jahre später jedoch zunehmen als deren Komplizin", analysiert der Kulturwissenschaftler Ivaylo Datchev.

Offiziell befürworten zwei Drittel der Bulgaren den Beitritt. Fragt man nach, wird die Ambivalenz deutlich: "Für uns wird es noch schlechter werden: Die Preise werden steigen, die Löhne aber nicht", befürchtet Vera, eine junge Lehrerin, die jetzt als Kundenbetreuerin in einem Weingut in der Nähe von Plovdiv arbeitet. Misstrauisch ist sie, wenn Politiker die Zukunft in der EU in rosigen Farben ausmalen. "Die lächeln süß und lügen uns wieder an. So wie sie das in der Vergangenheit so oft gemacht haben", schimpft sie.

"Lächeln süß und lügen"

Auch der Geschäftsmann Stefan Dimitrov, der Baustoffe und Baumaschinen nach Bulgarien importiert, ist trotz grundsätzlicher Befürwortung einer EU-Mitgliedschaft skeptisch: "Unsere rückständigen, kapitalschwachen Unternehmen können im Konkurrenzkampf gegen die hochproduktiven Konzerne aus dem EU-Raum nur verlieren." Statt wirtschaftlich aufzuholen werde Bulgarien noch weiter hinter die reichen EU-Länder zurückfallen.

Hinter all dieser Enttäuschung glimmt aber bei den Menschen auch die Hoffnung, dass es irgendwie doch besser wird: "Wenn wir zur EU gehören, dann dürfen wir überall arbeiten, vielleicht nicht sofort, aber in ein paar Jahren", sieht die Kundenbetreuerin auch Chancen in der Zukunft. Dass Bulgarien die Korruption in den Griff bekommt und durch die Mitgliedschaft europatauglich wird, darauf hoffen offenbar auch die Strategen in Brüssel: Wie Griechenland, Spanien, Portugal und die neuen Mitgliedsstaaten in Ostmitteleuropa werde auch Bulgarien dem zivilisatorischen Charme der EU erliegen - irgendwie.

Der Autor ist freier Publizist.

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