Worte als Waffe
FOKUSEuropäischer Tag der Sprachen: Sprache als Machtmittel
Die enge Beziehung zu Gemeinschaft und Territorium macht Sprache zu einem erstrangigen, konfliktträchtigen Politikum – vom Habsburgerreich bis in die Gegenwart.
Die enge Beziehung zu Gemeinschaft und Territorium macht Sprache zu einem erstrangigen, konfliktträchtigen Politikum – vom Habsburgerreich bis in die Gegenwart.
Als Kaiser Joseph II. im Jahr 1784 das Deutsche, die Muttersprache der relativen Mehrheit des Habsburgerreiches, zur Amtssprache der vielsprachigen habsburgischen Erblande – und 1786 auch des Königreichs Ungarn – erhob (anstelle des nur noch zeremoniellen Lateinischen), ging es ihm wohl vor allem um eine landesweite Kommunikationsebene zum Zwecke einer effizienteren Staatsverwaltung. Dass er damit eine der örtlich verankerten Sprachen gegenüber allen anderen hervorhob (Latein war eine „neutrale“ Sprache gewesen), erschien ihm offensichtlich vernachlässigbar. Doch wurde dies von Sprechern dieser anderen Sprachen sicher als Zurücksetzung empfunden.
Mit dem Aufkeimen der nationalen Ideen im 19. Jahrhundert, als sich Sprache immer mehr mit dem Begriff der Kulturnation verband, wurde diese sprachliche Schichtung politisch aufgeladen und löste viele Konflikte aus. Sprachenstreit als sichtbarster Ausdruck des Nationalitätenkonflikts prägte die Endphase der Monarchie. Sprache kann zwar auch als ein abstraktes System mit einem Wortschatz und einer Grammatik verstanden werden.
Sie hat aber immer auch Sprecher, die an einem bestimmten Ort der Erde leben und zumeist eine Gemeinschaft bilden, die ein kleineres oder größeres Gebiet bevölkert. (Ausnahmen sind nur erfundene Sprachen wie Esperanto oder Loglan.) Die jeweilige Sprache entspringt auch dieser Gemeinschaft und entspricht deren Kultur und Lebensbedingungen.
Sie ist zumeist sogar das wichtigste Bindemittel dieser Gemeinschaft und hat zu deren Entstehen wesentlich beigetragen. Denn Sprache schließt zugleich ein und aus. Mit wem wir uns in unserer Sprache verständigen können, der gehört zu uns, mit wem das nicht (so leicht) möglich ist, der ist ein anderer. „Sie spricht, wie wir sprechen“ ist gleichbedeutend mit „Sie ist eine von uns“. Die slawischen Bezeichnungen nemci, nijemci, niemcy usw. für Deutsche bedeuten „die nicht so sprechen wie wir“.
Dialekte schaffen Nähe
Das gilt für alle Ebenen der Sprache: für die Standardsprache, deren Varietäten, für die Umgangssprache und für Dialekte – allerdings in Abstufungen. Spricht uns jemand in unserem Dialekt an, der Sprache des unmittelbaren Lebens- und Erfahrungsraumes, mit der wir aufgewachsen sind, entsteht sofort ein Gefühl der Nähe, es stellt sich eine emotionale Beziehung ein.
Mit Hilfe der Standardsprache können wir uns zwar ohne Probleme verständigen, weil sie nach uns bekannten Regeln funktioniert, einen gemeinsamen Wortschatz hat und ein gemeinsames Begriffssystem widerspiegelt, sie sorgt aber nicht für dieselbe emotionale Nähe wie der Dialekt. Das zwischen Waterkant und Südlichen Kalkalpen gesprochene Standarddeutsch ist dafür ein gutes Beispiel.
Weil Sprache so viel mit menschlicher Gemeinschaft zu tun hat, die in einem bestimmten Territorium verankert ist, ist sie ein wichtiges Merkmal raumbezogener menschlicher Identität, zumeist sogar ihr wichtigstes. Die in Österreich weit verbreiteten Tal-, Gau- (Salzburg) oder Viertel-Identitäten (Niederösterreich, Oberösterreich) sind am deutlichsten durch ihre Dialekte gekennzeichnet. Die in Österreich auch besonders ausgeprägten Länder-Identitäten werden in vielen Fällen durch eine Gruppe ähnlicher Dialekte unterstützt.
Standardsprachen sind mit wenigen Ausnahmen das wichtigste Merkmal nationaler Identität. Zu den Ausnahmen zählt Österreich, dessen eigene, trotz gemeinsamer Standardsprache von Deutschland unterschiedliche kulturnationale Identität sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem auf der Grundlage seiner eigenen Geschichte gebildet hat. Die im Wesentlichen von Johann Gottfried Herder zu Ende des 18. Jahrhunderts aufgebrachte Idee der Kulturnation erhob die Sprache auch zum Hauptmerkmal dieses Konzepts: Menschen gleicher Sprache bilden eine (Kultur-)Nation.
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