Europas neuer kranker Mann

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Selbst der EU-Kommission beginnt schon zu grauen. Am Wochenende sah sich Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn gezwungen, ein Schreiben an seine EU-Kollegen aufzusetzen, das Frankreich zwar nicht direkt nennt, trotzdem aber Frankreichs Zukunft vorwegnahm: "Falls das Wachstum unerwartet einbricht, kann ein Land mehr Zeit zum Ausgleich seines überhöhten Defizits erhalten“, heißt es darin. Oder anders übersetzt: Frankreich steht mit einem Bein in der Rezession und kann auf Milde der EU zählen.

Tatsächlich ist das Wachstum in Frankreich nicht mehr wirklich in Zahlen zu fassen. Jene 0,8 Prozent, die der französische Finanzminister Pierre Moscovici noch im vergangenen Jahr prognostiziert hatte, sind mittlerweile bereits auf 0,5 Prozent geschrumpft. Eine Aufwärtsentwicklung ist weitern nicht in Sicht.

Damit ist Frankreich als zweitgrößte Volkswirtschaft Europas in einer relativ verzweifelten Lage. Einerseits will es sein Budgetdefizit unter die von Maastricht verordneten drei Prozent drücken. Andererseits bräuchte es dringend Milliardeninvestitionen, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

Eine prekäre Situation

Genau das kann aber nur der Staat erbringen, weil auch private Investoren zunehmend fehlen. Investitionen in die Realwirtschaft sanken um 1,2 Prozent und die Exporte um 0,6 Prozent. Vor diesem Hintergrund ist auch das verzweifelte Bemühen der französischen Regierung zu sehen, einen Milliarden-Rüstungsauftrag für Indiens Luftwaffe an Land zu ziehen.

Wie immer dieses Ringen ausgeht, an der grundsätzlichen Notsituation des Staatshaushaltes ändert das wenig. Die Staatsausgaben in Frankreich gehören mit 57 Prozent der Wirtschaftsleistung zu den höchsten in den Industrie-ländern. Trotzdem stieg zuletzt die Arbeitslosigkeit auf über neun Prozent. Mehr als drei Millionen Franzosen sind derzeit auf staatliche Unterstützung angewiesen.

Das Gesamtbild dürfte nach Einschätzung von Experten in den kommenden Monaten zu einem deutlichen Ansteigen der Risikoaufschläge bei französischen Staatsanleihen führen. Entsprechende Wortmeldungen kamen Montag von drei großen europäischen Brokerhäusern.

Trifft ihre Erwartung zu, dann könnte auch in Europas zweitgrößter Volkswirtschaft ein Phänomen Einzug halten, das wir sonst nur aus Südeuropa kennen: Eine Schuldenspirale, gekoppelt mit einer Sparpolitik, welche die Konjunktur schwer belastet. Sollte dieses Szenario in einen Antrag auf Hilfe aus dem Euro-Rettungsmechanismus münden, würde sich wohl die Frage stellen, ob Europas Wirtschafts-Zugpferd Deutschland auch die Französische Last noch stemmen kann.

Vor diesem Hintergrund nehmen Experten die jüngsten Äußerungen des französischen Präsidenten François Hollande zur Eurokrise sorgenvoll zur Kenntnis: "Ich akzeptiere nicht die Teilung in ein Europa des Nordens und eines des Südens.“ Was aber, so meinen EU-Beamte, wenn sich Frankreich der Südzone angleicht - nicht umgekehrt?

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