
Eva von Redecker: "Die wichtigste Ressource ist Sinn"
Was bedeutet Transformation? Vier Fragen an die Philosophin Eva von Redecker.
Was bedeutet Transformation? Vier Fragen an die Philosophin Eva von Redecker.
Die Philosophin und freie Autorin Eva von Redecker ist auf einem Bio-Hof aufgewachsen und lebt heute im ländlichen Brandenburg. Von 2009 bis 2019 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität Berlin; Forschungsaufenthalte führten sie nach Cambridge, New York und Verona. Ihre Schwerpunkte sind u.a. Kritische Theorie, Feminismus und Kapitalismuskritik. Zuletzt erschien ihr Buch „Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen“ (2020). Ihre Ideen und Visionen wird sie im Rahmen von Tage der Transformation 2023 am 2. September präsentieren.
Können kleine Alltagspraktiken bereits eine große Transformation hervorbringen?
Jeder soziale Wandel wird in den Zwischenräumen des Alltags erprobt. Damit aus so etwas eine große Transformation wird, müssen aber natürlich noch weitere Machtfaktoren hinzukommen.
Welche Praktiken könnten gerade jetzt wichtig sein?
Mich fasziniert etwa der „No Dig“-Ansatz in Landwirtschaft und Gartenbau, der auf Grundlage eines neuen Verständnisses der Bodenbiologie auf Pflugschare und Spaten verzichtet. Oder die basisdemokratischen Abstimmungsverfahren in sozialen Bewegungen mit ihrer ganz neuen Konsenskultur.
Werden wir materiell verzichten müssen?
Wenn Sie mit „wir“ bürgerliche Städtebewohner meinen und mit „Verzicht“, dass wir nicht mehr regelmäßig fliegen, kaum Auto fahren, weniger Konsumgüter kaufen und keine Nahrung aus industrieller Landwirtschaft essen würden: selbstverständlich. Es ist doch allen vollkommen klar, dass der derzeitige Weltverbrauch nicht weitergehen kann. Aber mit einer echten ökosozialen Wende würde eine erhebliche Bereicherung all derer einhergehen, die sich jetzt relativ prekär durchschlagen. Ökosoziale Wende hieße für mich eine Demokratisierung der Daseinsvorsorge, was deren Überführung in die öffentliche Hand voraussetzt. Gesundheitswesen, Energieversorgung und Mobilität müssen politisch geplant, ökologisch optimiert und dann allen Menschen frei zur Verfügung gestellt werden. Diese Erfahrung von gesellschaftlicher „Grundwärme“, die jedem gewährt würde, ist das Gegenteil von Verzicht.
Was könnte uns auf dem Weg des Wandels mit Begeisterung erfüllen?
Menschen sind endliche, sterbliche Wesen. Die wichtigste Ressource in unseren Leben ist Sinn. Gegenwärtige Gesellschaften sind von einem Rating-System überwuchert, das über Vermögenswerte, Lohndifferenzen und „Like-buttons“ dazu verleitet, dass Menschen sich auf ihre und andere Leben in einer vollkommen unmenschlichen und abschätzigen Weise des rein numerischen Vergleichs beziehen. Ein sozialökologischer Umbau unserer Lebensform kann dagegen die unschätzbare Freude vermitteln, sinnvoll wirksam zu sein.
Nähere Informationen zu "Tage der Transformation 2023" von 31.8. bis 2.9. 2023 finden Sie hier.
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