Fade Jugend und neue Spießer

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Der Protest der Jugend von heute verläuft sich zwischen Engagement für NGOs und Resignation, zwischen Konsumverlierern und -gewinnern. Ein Jahr - zahlreiche Deutungen, Bilder und Folgen. Ein eindeutiges Urteil wird es nicht geben. Fakt ist: Die Welt hat sich seither verändert, auch zum Positiven. Wie Deutungen aufeinanderprallen zeigen der Meinungsbeitrag von Detlef Kleinert (S. 22), der die 68er scharf kritisiert, und das Interview mit dem ehemaligen 68er und SP-Querdenker Bruno Aigner (S. 23). Redaktion: Regine Bogensberger

Was wird in 40 Jahren über die 2008er geschrieben werden? Sozilogen haben schnell Etiketten zur Hand: im US-amerikanischen Raum geistert der Begriff "millenials" oder Generation "Y" für die heutigen Jugendlichen durch die sozialkritischen Analysen: angepasst und computerisiert. Bei uns wird die Subkultur der "Krochas" unter die Lupe genommen. Beide Phänomene provozieren die Frage, wie sich Jugendliche heute abgrenzen und wie sie Protest üben; und überhaupt, üben sie den noch?

Hikmet Arslan könnte zu dieser neuen Generation "Y" gehören, doch er würde alle oberflächlichen Kategorisierungen brechen: Der 23-jährige kurdischstämmige Österreicher wurde zwar im Konsum- und Computerzeitalter sozialisiert, er stellt auch nicht den frechen Studentenrebell nach 68er-Klischee dar, sondern einen ganz neuen Typ: Jungpolitiker und Student, engagiert und aufstrebend und ein Kind einer Migrantenfamilie.

"Die Jugend will sich engagieren und tut es auch", so der Befund des jungen Grünpolitikers, der kürzlich in den niederösterreichischen Landesvorstand der Partei gewählt wurde: "Aber Teile der Jugend empfinden eine Ohnmacht. Es wird von den Erwachsenen suggeriert: Ihr könnt eh alles machen, was ihr wollt. Die Jugend fühlt sich oft nicht wirklich ernst- und wahrgenommen. Es herrscht keine Politikverdrossenheit, sondern eine Politiker-Verdrossenheit", sagt er; und genau das will der Jungpolitiker ändern.

Aber warum wird dann nicht der Protest intensiviert? Viele würden sich doch mit Gegebenheiten abfinden, wie etwa den Studiengebühren, meint Arslan. Viele müssten heute schnell studieren, da bleibe oft keine Zeit zum Engagieren, meint auch Verena Czaby vom ÖH-Vorsitzteam. Junge Menschen würden auch andere Formen von Protest wählen als die Straße oder Aktionismus - das Internet bietet viele Möglichkeiten. Man wisse, dass man kaum etwas erreiche, wenn man nur die Straßen stürmt, meinen beide. Beide wählten daher gleich den Weg innerhalb einer Partei.

Sein politisches Engagement habe früh begonnen, erzählt Arslan: Als er als Achtjähriger mit den Eltern in die Türkei fuhr, hatte sein Vater ihn aufgefordert, nicht Kurdisch zu sprechen, erst im Heimatdorf. Es war damals noch verboten, Kurdisch zu sprechen. Damals fing er an, über das Warum nachzudenken, immer mehr und wissenschaftlicher. Den Protest gegen die Diskriminierung von Minderheiten will der 23-jährige Student der Internationalen Entwicklung und Politikwissenschaft durch sein politisches Engagement ausdrücken und Veränderungen mitbewirken. Man werde als junge Stimme bei den Grünen ernstgenommen, versichert er. Ein Zuviel an Provokation sieht er mitunter skeptisch: zum Beispiel die jüngste Aktion seiner Wiener Parteikollegen, die mit der Aktion "Nimm ein Flaggerl für mein Gaggerl" für - auch parteiinterne - Kritik gesorgt hatten. Die Grünalternative Jugend wollte damit gegen nationalistische Tendenzen protestieren. Man dürfe nicht mit dem Heimatgefühl spielen; man könne leicht missverstanden werden, so Arslan. Sein Vorbild ist der US-Bürgerrechtler Martin Luther King. "Wenn es die Menschen damals 1968 geschafft haben, Geschichte zu schreiben, dann soll es uns auch heute wieder gelingen", meint er idealistisch.

Wie das Beispiel von Arslan zeigt: die Jugend ist heterogen wie kaum zuvor, urteilt auch Ingrid Kromer vom Österreichischen Institut für Jugendforschung in Wien: "Genauso ausdifferenziert wie die Jugend selbst sind die Ziele und Gegenentwürfe für eine Gesellschaft. Es gibt keine großen gemeinsamen Visionen mehr wie in den Anfängen, Jugendkulturen sind heute zunehmend gegenwartsorientiert." Kromer zeigt folgende Entwicklung auf: Der "laute" Protest gegen das Establishment, gegen die Erwachsenenkultur wie damals in den 68ern, ist heute abgeflaut. Die früher politisch-instrumentalisierte Jugend wurde immer mehr von der Konsum- und Kulturindustrie instrumentalisiert. Zudem veränderte sich auch das polarisierte Verhältnis zwischen jungen Menschen und Erwachsenen hin zu einer Vermischung von Erwachsenen- und Jugendkulturen. "Die Jugendlichen müssen sich immer mehr einfallen lassen, um sich von Erwachsenen abzugrenzen," meint Kromer. Protest spiele sich in kleineren Gruppen sehrwohl ab, vor allem bei NGOs und über digitale Medien. Eine gewichtige Form des Protestes ist laut Kromer aber "der stille Auszug, das Wegbleiben." Große Demos auf der Straße würden als ineffektiv angesehen. "Es geht auch nicht mehr um die Veränderung der Gesellschaft als Gesamtes, sondern darum, einen Platz in der immer komplexer werdenden Gesellschaft zu finden", sagt sie. Job und Beruf würden in der Wertehierarchie zunehmend an Bedeutung gewinnen, dafür passe man sich auch an.

Kromer ortet auch eine zunehmende Kluft zwischen Modernisierungsgewinnern und -verlieren. Erstere würden die gebotenen Chancen zu nützen wissen. Zweitere ziehen sich immer mehr zurück, da sie mit den Anforderungen einer Leistungs- und Konsumgesellschaft nicht mithalten können. Ob sich aus dieser Gruppe der Verlierer einmal wie in den französischen Vororten eine neue Protestbewegung bilden könnte, darüber wagt Kromer keine Prognose. Eher nicht, denn die Jugend sei auf der Suche nach Sicherheiten pragmatischer geworden. "Aber das ist keinesfalls ein neues Spießertum; vielmehr will man sich in einer unsicheren Welt eine kleine, eigene und sichere Welt schaffen: Familie, Beruf, Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum."

Vielleicht doch ein neues Biedermeier, das wir alle, nicht nur die Jugend, schaffen wollen.

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