Familien sind keine "Inseln der Seligen"

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Männer gegen Frauen, Eltern gegen Kinder, Partner gegen Partner. Die Menschen scheinen immer noch unfähig, Konflikte anders als gewaltätig auszutragen. Eine Analyse zeigt die Situation und bietet Lösungsmöglichkeiten.

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Männer gegen Frauen, Eltern gegen Kinder, Partner gegen Partner. Die Menschen scheinen immer noch unfähig, Konflikte anders als gewaltätig auszutragen. Eine Analyse zeigt die Situation und bietet Lösungsmöglichkeiten.

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Den Großteil aller Gewaltfälle in Österreich stellen Eigentumsdelikte dar. Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben sowie gegen die Freiheit anderer Menschen betragen nur etwa ein Fünftel davon.

Die Zahl der Körperverletzungen wird vorwiegend durch Gewalthandlungen im öffentlichen Bereich, nämlich im Straßenverkehr, gebildet. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der Körperverletzungen werden als Gewaltfälle im familiären Bereich registriert. Die häufigste Gewaltform in der Familie ist die Gewalt zwischen Erwachsenen und hier vorwiegend, in 80 bis 90 Prozent der Fälle, die Gewalt zwischen den Partnern. Dabei stellt die Gewalttätigkeit gegen Frauen den größten Anteil dar. Beinahe ein Drittel der familiären Gewaltfälle betreffen Kinder, davon sind ein geschätztes Drittel Fälle von sexuellem Mißbrauch.

Die Ursachen und Auslöser familiärer Gewalt sind vielschichtig und müssen immer im Zusammenhang zueinander gesehen werden. Beziehungskonflikte, Wertewandel, Rollenkonflikte, finanzielle Probleme und einige mehr, können Gewalttaten in der Familie auslösen.

Gewaltausübung im familiären Rahmen ist ein heikles und häufig immer noch totgeschwiegenes Thema. Dies liegt unter anderem auch daran, daß Familie von der Gesellschaft als etwas Privates empfunden wird, und die Unterstützung von Außenstehenden, vor allem aber die Hilfe von öffentlichen Institutionen, mit Vorsicht betrachtet. Die vorliegenden sozialwissenschaftlichen Erhebungen beziehen sich zwar auf die Steiermark, die strukturellen Erkenntnisse bezüglich familiärer Gewalt sind jedoch auf ganz Österreich anwendbar.

Die Untersuchung wurde in Zusammenarbeit mit Sozialeinrichtungen, Polizei und Gericht durchgeführt.

Die Definition des Begriffs "Gewalt" wurde hier enger angelegt als in anderen Untersuchungen zu Gewalt in Familien. Die Autoren Max Haller und seine Mitarbeiter/innen bestätigen, daß ein gewisses Maß an Aggression im menschlichen Zusammenleben durchaus als normal anzusehen ist. In dieser Studie wurden daher nur solche sozialen Tatbestände als Gewalt bezeichnet, bei welchen einem Familienmitglied tatsächlich ein schwerwiegender körperlicher und/oder psychischer Schaden zugefügt wurde.

Anhand der erhobenen empirischen Daten lassen sich fünf Gruppen von Faktoren als Ursachen, Kontexte und Auslöser von familiärer Gewalt herausstreichen: 1. Beziehungs- und Partnerschaftskonflikte: Gewaltausübung gegen Familienmitglieder entsteht vor allem durch Eskalation von Partner- beziehungsweise Beziehungskonflikten. Die Gewalttat stellt hier häufig eine Affekthandlung dar. In erster Linie sind somit nicht Persönlichkeitsmerkmale oder patriarchalisch geprägte Werte und Verhaltensmuster ausschlaggebend, sondern die Unfähigkeit der Partner, Konflikte auf anderen Ebenen auszutragen. Gewalt zwischen Partnern tritt gehäuft dann auf, wenn eine Trennung beziehungsweise Scheidung oder eine sexuelle Außenbeziehung gefürchtet werden. Für Gewaltakte von Eltern an ihren Kindern gelten vorwiegend Erziehungsschwierigkeiten als Ursache. Die Eltern fühlen sich erzieherisch überfordert.

2. Patriarchalische Familienstrukturen und Verhaltensweisen: Die patriarchalischen Normen und Werte wirken sich insofern auf Gewalttaten in der Familie aus, als Gewalt von Männern gegen Frauen und von Eltern gegen Kinder sehr viel häufiger vorkommt, als umgekehrt. Das Hinterfragen und die damit verbundene Erosion der alten Rollenmuster, Macht- und Autoritätsverlust werden mit Gewalttaten beantwortet.

3. Rollenkonflikte & Verhaltensunsicherheiten: Aufgrund der oben erwähnten Veränderung der Rollenstrukturen entstehen Konflikte in den Partnerschaften, vor allem dann, wenn die Bereitschaft zur Neustrukturierung bei den Familienmitgliedern in unterschiedlicher Ausprägung vorhanden ist. Hierbei ist anzumerken, daß Männern der Abschied von diesen Mustern schwerer fällt als Frauen.

4. Kinder in Familien mit nicht-leiblichen Ersatzeltern (Pflege-, Adoptiv- und Stiefkinder): Diese Kinder sind von Gewalttaten überproportional häufig betroffen. Als eine Ursache für die konflikthafte Beziehung zwischen dem Kind und dem Ersatzelternteil liegt darin, daß einerseits das Kind den neuen Elternteil ablehnt und daß auf der anderen Seite der neue Partner in dem Kind eine Konkurrenz sieht. Außerdem wird bei sexuellem Mißbrauch von Kindern ein höherer Täteranteil bei Stiefvätern festgestellt. Dies liegt wohl daran, daß durch das nicht-leibliche Kind die Inzestschranke nicht gegeben ist und daß die Kinder aus einer früheren Partnerschaft der Frau oft schon älter sind.

5. Sozioökonomisch schwierige Familienverhältnisse: Beengte Wohnverhältnisse, wiederkehrende finanzielle Probleme und Arbeitslosigkeit können ebenso dazu beitragen, daß familiäre Konflikte eskalieren. Vor allem der Faktor "Arbeitslosigkeit" und hier vorwiegend jene bei den Männern, ist häufig für Reizzustände verantwortlich, welche dann in Gewalttaten münden können.

Diese Ergebnisse zeigen Ursachen und Zusammenhänge von Gewalt in Familien auf, die Familie kann aber "... - trotz gegenteiligen Anscheins - nicht als ,Hort der Gewalt' betrachtet werden, wenn man darunter versteht, daß kontinuierliche Gewaltausübung ein typisches Verhaltensmuster in der Familie darstellt, oder daß Gewalt gegen andere Menschen am häufigsten innerhalb der Familie erfolgt ..." Betrachtet man die Gesamtheit aller Gewaltfälle in Österreich, dann wird der Großteil von Männern gegen Männer ausgeübt und zwar außerhalb der Familie.

Es ist jedoch wichtig, die Öffentlichkeit in bezug auf familiäre Gewalt zu sensibilisieren und die Anzeige von Gewaltfällen zu fördern. Beratungs- und Betreuungseinrichtungen müssen verstärkt unterstützt und aufgebaut werden. Die Polizei ist die häufigste Erstanlaufstelle bei Gewaltdelikten und sollte auch weiterhin gefördert werden. Es sind deutliche Versorgungsdefizite bei Sozialeinrichtungen, vor allem in ländlichen Regionen, vorhanden.

Quelle: Informationsdienst des Österreichischen Instituts für Familienforschung 8/98.

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