Familiengericht

Familienrichterin zur Coronakrise: „Ein solches Konfliktniveau ist mir neu“

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Es ist der Blick auf das eigene Kind, der in hoch streitigen Verfahren verloren geht, sagt Familienrichterin Konstanze Thau. Ein Interview über Eskalationsspiralen, modernisierte Väterrechte und Doppelresidenzen.

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Es ist der Blick auf das eigene Kind, der in hoch streitigen Verfahren verloren geht, sagt Familienrichterin Konstanze Thau. Ein Interview über Eskalationsspiralen, modernisierte Väterrechte und Doppelresidenzen.

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Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Konstanze Thau als Richterin und Mediatorin am Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien. Familienrechtsangelegenheiten kommen in zweiter Instanz zu ihr; dann also, wenn bereits seit Jahren gestritten wird. Mit der FURCHE spricht sie über Hochkonfliktverhalten, die Entwicklungen in Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren seit der letzten Gesetzesänderung 2013 und ihre ehrenamtliche Tätigkeit als sogenannte Einigungsrichterin:


DIE FURCHE: Wie ging es den Familiengerichten in der Coronazeit?
Konstanze Thau
: Was wir feststellen, ist, dass die Verfahren eher zunehmen als abnehmen. Das ist überraschend. Da die Familien gerade während der Lockdowns und in Zeiten des Home- Schoolings sehr belastet waren, hätte man annehmen können, dass weniger Verfahren geführt werden. An den Gerichten gibt es aber mehr Arbeit denn je.


DIE FURCHE: Hat sich Corona darauf ausgewirkt, wie gestritten wird?
Thau:
Ganz allgemein ist meine Erfahrung aus 30 Jahren Richterinnentätigkeit, dass Paare, die auseinandergehen, häufig viel länger, vehementer und härter kämpfen, wenn es um Fragen des Kontaktrechts ihrer Kinder geht. Ein solches Konfliktniveau ist mir neu. Dies betrifft aber natürlich vor allem die fünf Prozent an hoch konfligierenden Fällen.


DIE FURCHE: Was ist das Typische am Hochkonflikt?
Thau
: Was in streitigen Verfahren automatisch verloren geht, ist der Blick auf das eigene Kind. Kein Elternteil macht das bewusst oder aus böser Absicht; das ist schlichtweg ein Merkmal des Hochkonflikts. In der beginnenden Auseinandersetzung haben die Eltern noch die Kraft, den Blick auf die Kinder zu richten. Wenn der Konflikt aber eskaliert, weil Klagen und Anschuldigungen kommen, geht man automatisch in eine Verteidigungs- und in der Folge in eine Angriffshaltung.


DIE FURCHE: Was bedeutet das konkret?
Thau:
Wir sprechen von einem Punkt des Verfahrens, an dem zum Beispiel ein Elternteil den anderen beschuldigt, nicht erziehungskompetent zu sein. Der oder die beschuldigte Elternteil muss sich dann verteidigen und erklären, warum er eben doch ein guter Papa oder sie eine gute Mama ist. Solche Situationen lösen extrem viele Emotionen aus: Ängste, Wut, Trauer, Ohnmacht. In dem Moment wird die Aufmerksamkeit vom Kind abgezogen und nur noch auf das eigene Bestehen gerichtet.

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