"Fatales Etikett der sozialen Kälte"

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EU-Kommissar Günter Verheugen erklärt hier, was er schon "gestandenen Regierungschefs" zu vermitteln versuchte:die Dienstleistungsrichtlinie.

Die Furche: Herr Kommissar, Sie sind in der eu-Kommission für Unternehmen, Industrie und die Wettbewerbsfähigkeit zuständig - war der lange Streit um die Dienstleistungsrichtlinie die Sache wert?

Günter Verheugen: Nein, der politische Preis, den wir für dieses Projekt gezahlt haben, steht schon jetzt in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen, den wir davon haben werden. Die Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie hat den Start der Wachstums-und Beschäftigungsinitiative im letzten Jahr völlig verhagelt. Und ohne dieses Thema wäre auch die Nein-Kampagne gegen die Verfassung in Frankreich und den Niederlanden nicht ins Rollen gekommen. Für den langfristig schlimmsten Schaden halte ich aber, dass diese Diskussion der europäischen Politik das Etikett der sozialen Kälte und der rücksichtslosen Verfolgung von Kapitalinteressen gegen Arbeitnehmer eingebracht hat - und das ist wirklich fatal.

Die Furche: Stimmt ja auch, die soziale Kälte - oder?

Verheugen: Wieder Nein - im Gegensatz zu den meisten Mitgliedsstaaten hat die europäische Ebene an einem Wirtschaftsmodell festgehalten, das auf drei Säulen beruht: Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und sozialer Zusammenhalt.

Die Furche: Mit der Dienstleistungsrichtlinie haben Sie weniger den sozialen Zusammenhalt als die Angst vor Lohn-und Sozialabbau gefördert.

Verheugen: Die Diskussion hat sich weit von den Fakten entfernt. In Europa werden jetzt schon sehr viele grenzüberschreitende Dienstleistungen erbracht. Alle großen Dienstleister tun das, aber sie tun es mit eigenen Niederlassungen in den Mitgliedsstaaten. Die Dienstleistungsrichtlinie soll speziell kleinen Unternehmen die Möglichkeit geben, Aufträge in anderen Mitgliedsländern anzunehmen, auch wenn sie dort keine eigenen Niederlassungen haben. Besonders in Grenzregionen würde dadurch die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert.

Die Furche: Um den Preis, dass billige Arbeitskraft aus schwächer entwickelten Regionen exportiert wird?

Verheugen: Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, mit der Dienstleistungsrichtlinie Billigarbeit von den neuen Mitgliedsländern in die alten zu exportieren. Und ich rate den neuen Ländern entschieden ab, zu glauben, dass sie sich durch den Export von Billigarbeit wirtschaftlich weiterentwickeln werden.

Die Furche: Das "Herkunftslandprinzip" hat aber solche Vorstellungen geweckt.

Verheugen: Ich fand die Bezeichnung "Herkunftslandprinzip" immer unglücklich. Es geht dabei doch darum, dass für jeden Dienstleister, der in einem anderen Markt tätig sein will, keine zusätzlichen Regeln gelten. Ein Dienstleister, der in seinem Land alle Voraussetzungen erfüllt, hat auch Zugang zu allen anderen Mitgliedsländern - wir wollen Diskriminierung und Protektionismus abbauen. Aber für die Dienstleistungen selber gelten selbstverständlich die jeweiligen nationalen Standards.

Die Furche: Die Angst vor polnischen Fliesenlegern, die in Österreich Fliesen nach polnischen Standards verlegen, ist also unbegründet.

Verheugen: Wie man nur auf so eine idiotische Vorstellung kommen kann? Können Sie sich vorstellen, dass die Gemeinde Wien eine Schule baut, in der nicht die österreichischen Vorschriften in Bezug auf Sanitär-oder Elektroinstallationen etc. gelten; das ist doch selbstverständlich: Für die Qualitätsstandards ist das Land maßgeblich, in dem die Dienstleistungen erbracht werden.

Die Furche: Und für die Lohn-und Sozialstandards?

Verheugen: Sie brauchen sich nicht gekränkt fühlen, wenn ich Ihnen das erkläre, das habe ich schon ausgewachsenen Regierungschefs erklären müssen. Da muss man sauber unterscheiden: Bei der Dienstleistungsrichtlinie geht es um die Dienstleistungsfreiheit; etwas anderes ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die existiert innerhalb der eu 15 und wird in der eu der 25 nach einigen Übergangsfristen 2011 realisiert sein. Für die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt die Entsenderichtlinie und die besagt, dass für Arbeitnehmer die Lohn-und Sozialstandards des Gastlandes gelten.

Die Furche: Und um die Sache noch komplizierter zu machen: Was ist dann die Niederlassungsfreiheit?

Verheugen: Seit Mitte der 1990er Jahre kann sich ein Fliesenleger aus einem Mitgliedsland der eu in Österreich selbstständig machen. Aber dieses Gesetz wurde ja nicht für Fliesenleger gemacht, sondern auch Österreich hat sich für die Niederlassungsfreiheit stark gemacht, damit sich österreichische Banken, Versicherungen und Handelskonzerne in Osteuropa ansiedeln können - was sie ja sehr erfolgreich getan haben.

Die Furche: Und wann ist jetzt mit der entschärften Dienstleistungsrichtlinie zu rechnen?

Verheugen: Unsere Linie ist: Schluss damit - wir nehmen jetzt die Lösung, die auf einem breiten Konsens beruht. Die Kommission wird deshalb im April einen Vorschlag einbringen, der nicht weit vom Kompromiss des eu-Parlaments entfernt ist. Bestenfalls wird dann noch in der österreichischen Präsidentschaft der gemeinsame Standpunkt von Kommission und Rat erarbeitet und wir könnten das Thema in diesem Jahr abschließen.

Das Gespräch führte eine österreichische Journalistengruppe; Redaktion: Wolfgang Machreich.

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