Fliegende Holländer kopieren?

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Wie machen das die Holländer? Während Österreich um die Null im Staatsdefizit ringt, verzeichnen die Niederlande Budgetüberschüsse und ein hohes Beschäftigungswachstum.

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Wie machen das die Holländer? Während Österreich um die Null im Staatsdefizit ringt, verzeichnen die Niederlande Budgetüberschüsse und ein hohes Beschäftigungswachstum.

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Die niederländische Regierung setzt nach wie vor auf ihr mittlerweile international anerkanntes "Poldermodell", wonach Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber Lohnzurückhaltung mit dem Ziel üben, Arbeitsplätze zu schaffen. Dieses Modell wird in Österreich meist verkürzt mit: sparen, rationalisieren, privatisieren oder einfach kündigen wiedergegeben. So einfach lässt sich das Erfolgsrezept aber nicht zusammenfassen, wurden doch in den Niederlanden die öffentlichen Investitionen während der letzten Jahre sogar erhöht. Die Stärkung der Massenkaufkraft stimulierte den Konsum und ließ die Einnahmen des Staates stark steigen. Ausgabenseitig nahmen die Sozialtransfers wegen der sinkenden Arbeitslosigkeit kaum zu.

Neben der Verkürzung des niederländischen Modells auf wenige (nicht sehr positiv besetzte) Schlagworte bleibt in der Diskussion unbeachtet, dass dieses Modell auch auf anderen geschichtlichen und mentalitätsmäßigen Voraussetzungen beruht. Was man in Österreich davon bemerkt, ist die Spitze des Eisbergs. Wer aber nur die Spitze kopiert, ohne das Fundament zu beachten, wird das Vorbild nicht erreichen.

Einem Klischee zufolge sind die Niederländer ein Volk von Kaufleuten. Das Bild hat einen wahren Kern: In einem Land, in dem es bis heute dutzende Religionsgemeinschaften gibt, war Toleranz der einzige Weg, um einen wirtschaftsschädigenden Bürgerkrieg zu verhindern. Auf ihre tief verwurzelte Toleranz sind die Niederländer noch heute sehr stolz. Das merkt man an den Äußerungen zu Österreich, das in den niederländischen Medien immer wieder als intolerant und sogar rassistisch beschrieben wird. Die liberalen Bestimmungen zu Abtreibung, Euthanasie und Drogenkonsum sind ebenfalls als Äußerungen von Toleranz zu sehen.

"Versäultes" Holland Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts hat sich in den Niederlanden ein System der gegenseitigen Achtung entwickelt: Es gab vier weltanschauliche Säulen, innerhalb derer sich die Menschen ihr Leben lang bewegten. Wer katholische Eltern hatte, wuchs katholisch auf, besuchte katholische Schulen und Freizeiteinrichtungen, las katholische Zeitungen und wählte katholisch; und das gleiche Prinzip galt analog für Protestanten, Sozialisten und Liberale. Kontakte zwischen den Säulen gab es kaum, aber jede Säule verfügte über einen vergleichbaren Anteil an den staatlichen Einrichtungen. Soziale Absicherung war nicht nur der Schutz gesellschaftlich schwächerer Gruppen, sondern auch Fürsorge innerhalb der jeweiligen Säule. Mit dem Ende der "Versäulung" Mitte der 60er-Jahre wurden die hohen Sozialausgaben immer mehr in Frage gestellt. Die Bremse zog 1982 der Vertrag von Wassenaar, in dem sich die Sozialpartner auf ein niedrigeres Lohnniveau einigten. In den weiteren Jahren wurde die Verwendung öffentlicher Gelder rigoros geprüft. So wurden aufgrund neuer ärztlicher Gutachten tausende Invaliditätsrenten nachträglich gestrichen, dafür gab es für die erneut Arbeitsfähigen auch tatsächlich Stellen.

Obrigkeitsdenken war in den Niederlanden lange völlig unbekannt. Man duzt einander rasch und spricht die eigene Meinung frei aus, unabhängig vom Rang des Gegenüber. Niemand ist kraft seines Amts über Kritik erhaben. Weil die Unterwerfung unter den Vorgesetzten nicht einmal im Staatsdienst eingedrillt wurde, konnte das Hauptaugenmerk auf Service gelegt werden. In letzter Zeit ist der Servicecharakter noch ausgebaut, nicht aber unter Druck abrupt erzwungen worden, wie das in Österreich unter Beibehaltung hierarchischer Strukturen geschieht.

In den Niederlanden wurden Entscheidungen immer im Kollektiv getroffen oder unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessengruppen. Scherzhaft nannten die Niederländer ihr Land ein "Besprechungsland". Wenn man nun aus Gründen der Effizienz stärker zu monokratischen Entscheidungsformen übergeht, dann ist dies auch eine Reaktion auf die tiefverwurzelte Gesprächskultur. In Österreich dagegen hat es eine offene Gesprächskultur bislang kaum gegeben, und trotzdem plädieren manche unter Berufung auf die Niederlande für monokratische Entscheidungsformen.

Das niederländische Pensionssystem hat sich aus dem Wunsch nach Differenzierung entwickelt. Der staatliche Anteil an der Altersvorsorge ist für alle gleich, unabhängig davon, was man wie lange gearbeitet hat, ja ob man überhaupt je ein eigenes Einkommen erhalten hat. Alle Niederländer haben ab ihrem 65. Lebensjahr Anspruch auf diese staatliche Grundpension. Was den Lebensabend sozial differenziert, sind die Gelder, die die frühere Arbeitsstelle dazulegt. Im Unterschied zu Österreich bietet jeder Arbeitgeber, auch der Staat, eine derartige Firmenpension an. Nur wer es im Alter noch besser haben will, sorgt privat vor. In Österreich wird dagegen die Privatpension als Allheilmittel angepriesen, obwohl der Staat die Bürger ohnedies höchst unterschiedlich behandelt. Insbesondere für ältere Bürger gibt es in den Niederlanden sogenannte Freiwilligenarbeit: unbezahlte Tätigkeiten meist im karitativen Bereich, die staatlich geregelt sind, was Unkostenvergütung, Weiterbildung und Haftplichtversicherung betrifft. Mittlerweile kann man sich in vielen Berufen freiwillig über das 65. Lebensjahr hinaus beschäftigen. Ausrangiert muss sich niemand fühlen.

Ein Paradies?

Natürlich sind auch die Niederlande kein Paradies. Das Prinzip, dass jede Leistung etwas kostet, hat Schattenseiten etwa im Bildungssektor, wo die Studiengebühren sehr hoch sind und wo es zusätzlich eine Aufnahmebeschränkung für Hochschulen gibt. Wenn man heute verzweifelt Lehrer und Ärzte sucht, liegt das nicht nur an der guten Wirtschaftslage, sondern vor allem daran, dass man sich bei der Bedarfsplanung verschätzt hat. Und einiges ist selbst beim besten Willen nicht auf Österreich übertragbar: So eignet sich das Gelände in den Niederlanden einfach besser für Radwege, und die dichte Besiedlung erlaubt einen attraktiven öffentlichen Verkehr. Die oben angeführten Beispiele zeigen aber auch, dass manches, was auf den ersten Blick nachahmenswert erscheint, auf den zweiten Blick ganz andere Voraussetzungen erfordern würde. Natürlich könnte man überlegen, in Österreich neben den Reformschritten, die sich in den Niederlanden bewährt haben, auch die dazugehörigen Voraussetzungen zu kopieren. Aber die Schritte gewissermaßen barfuß nachstapfen zu wollen, wird sicher nicht zum niederländischen Ergebnis führen.

Die Autorin unterrichtet niederländische Sprache und Kultur an der Universität Wien.

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