Flüchtlinge: gemocht, wenn sie weiterreisen

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1955 tritt die Genfer Flüchtlingskonvention in Österreich in Kraft - und schon 1956 kommt mit der Ungarn-Krise die erste große Bewährungsprobe, weitere werden folgen. Ein Blick zurück, einmal weniger verklärt als sonst üblich.

Die Wende in der Einstellung der Österreicher gegenüber Flüchtlingen passierte nicht erst mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs, sondern schon Anfang der 80er Jahre: Den "turning point" verortet der Wiener Historiker Oliver Rathkolb in das Jahr 1981: Die Verhängung des Kriegsrechts in Polen ließ die Zahl der polnischen Asylanträge in Österreich rasant in die Höhe schnellen, während in der Öffentlichkeit nur wenig Sympathie mit diesen Flüchtlingen aufkommen wollte.

Zuvor hatten Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft gegenüber Asylsuchenden Österreich laut Selbstdefinition des Bundespressedienstes zu einer "der größten und wichtigsten Relaisstationen der Flüchtlings- und Auswanderungsbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs" gemacht. Angesichts der polnischen Flüchtlinge wurden aber in Medienberichten, in Umfragen und in den Reaktionen von Politikern die Gefahren, die diese "Flüchtlingswelle" mit sich bringt, sehr stark in den Vordergrund gestellt.

"Wenig hinter der Fassade"

Rathkolb, der Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte und Gesellschaft in Wien, erinnert sich im Gespräch mit der Furche an "heftige Diskussionen" zwischen der Kirche, die sich mit den Asylwerbern solidarisierte, und Bundeskanzler Bruno Kreisky, dem die innenpolitische Brisanz der Frage dämmerte und eher zurückhaltend agierte.

Doch auch schon zuvor war das Verhältnis der Österreicher gegenüber "ihren Flüchtlingen" nicht nur von Selbstlosigkeit und Zuneigung geprägt, wie es der verklärte Blick zurück heute gerne darstellt. "Tut man die Fassade weg, bleibt wenig über", sagt Rathkolb. Beispiel Ungarn-Aufstand 1956: Im herkömmlichen österreichischen Geschichtsverständnis der Beweis für das Asylbewusstsein des jungen neutralen Kleinstaats. Das stimmt, einerseits: Die Herausforderung für Staat und Bevölkerung war groß und die Flüchtlingsaufnahme zeigte sich als politische Bewährungsprobe und wirtschaftliche Belastung zugleich - beides wurde pragmatisch bewältigt. Andererseits lag Österreichs Bedeutung während der Ungarnkrise in erster Linie in der Funktion als Erstasylland und als Vermittlungs- und Verbindungsstelle in andere Staaten, vorwiegend die usa und Kanada. Österreich habe sowohl die Flüchtlinge sehr stark gedrängt, weiterzureisen, als auch Druck auf andere westliche Staaten ausgeübt, damit diese Asylwerber aufnehmen, sagt Rathkolb. Das führte dazu, dass "nur zehn Prozent der 180.288 eingereisten Ungarn-Flüchtlinge Österreich zu ihrem tatsächlichen Aufenthaltsland wählten".

In dem von Rathkolb angesichts der restriktiven Flüchtlingspolitik vor zehn Jahren herausgegebenen Buch "Asylland wider Willen" heißt es: "Bereits Ende 1956 begann diese Akzeptanz abzubröckeln, als die Weiterreise der Flüchtlinge stoppte und Österreich nunmehr tatsächlich als Asylland' auch mit längerfristigen Kosten und mit Einwanderern' rechnen mußte." Die Angstmache vor "Völkerwanderung" und "Flüchtlingsströmen" beherrschte die Schlagzeilen. Und zeigten sich die Flüchtlinge nicht mehr nur arm und hilflos, schlug die "emotionale Zuwendung" der Österreicher in Agression und Fremdenfeindlichkeit um.

Furcht vor hohen Kosten

Noch deutlicher zeigten sich diese Tendenzen, sagt Rathkolb, zwölf Jahre später gegenüber den Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei. Eine Erklärung, warum die Çcssr-Flüchtlinge weniger willkommen waren als die Ungarn-Flüchtlinge, lautet, dass 1956 alle geflohenen Ungarn laut uno-Beschluss Konventionsflüchtlinge waren. Bei den tschechoslowakischen Flüchtlingen fehlte dieser Beschluss, und Österreich befürchtete hohe Kosten und fühlte sich von der Staatengemeinschaft im Stich gelassen.

Als tieferen Grund für Österreichs im besten Fall als ambivalent zu bezeichnendes Verhältnis gegenüber Asylwerbern in Vergangenheit und Gegenwart nennt Rathkolb aber die "Angst davor, sich als Einwanderungsland zu definieren". Deswegen komme es ständig zu der "unsauberen Vermischung zwischen Asyl- und Fremdenpolizeirecht", fährt Rathkolb fort. "Defacto ist Österreich ein Einwanderungsland", sagt der Historiker, "es fehlt das öffentliche Bekenntnis dazu und die dafür notwendige Integrationspolitik". Als positive Ausnahme in diesem österreichischen Versäumnis nennt Rathkolb die Aufnahme der Bosnien-Flüchtlinge Anfang der 90er Jahre: "Da sieht man, wie eine klare politische Vorwärtsstrategie wirken kann."

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