Schulklasse - © Foto: APA / Hans Klaus Techt

Deutschförderklassen: Fördern statt trennen

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Seit einem Jahr gibt es an Österreichs Schulen verpflichtende Deutschförderklassen. Lehrer und Experten stellen diesen kein gutes Zeugnis aus – und fordern die Aufhebung der Klassen.

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Seit einem Jahr gibt es an Österreichs Schulen verpflichtende Deutschförderklassen. Lehrer und Experten stellen diesen kein gutes Zeugnis aus – und fordern die Aufhebung der Klassen.

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Für Adi Solly kam die Einführung der Deutschförderklassen vergangenes Jahr sehr plötzlich. „Wir hatten schon das gesamte Jahr durchgeplant und auf einmal hat es geheißen: zurück an den Start“, erinnert sich Solly. Und mit diesem Problem war der Direktor der Kreativ-Volksschule in Ottakring nicht allein. Österreichweit sollten Volksschulen Schulanfänger, die unzureichende Deutschkenntnisse nachweisen, für 15 Unterrichtsstunden in eigene Klassen geben. Die Schüler werden dort nach eigenem Lehrplan unterrichtet. Nur in Fächern wie Turnen oder Musik werden diese Schüler mit den anderen Kindern der Regelklasse gemeinsam unterrichtet.

Für die Neuen Mittelschulen waren für nicht deutsche Muttersprachler und quasi Schulquereinsteiger in Österreich 20 Stunden in den Deutschförderklassen vorgesehen. So der Plan des damaligen Bildungsministers Heinz Faßmann, der im Sommer 2018 vor Schulbeginn präsentiert wurde. Sollys Schule besuchen viele Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Schnell war klar: Die Deutschförderklassen könnten den Schulalltag seiner Schüler wohl stärker treffen als andere Standorte. Seit etwas mehr als einem Jahr besteht das Modell der Deutschförderklassen nun an Österreichs Schulen. Aber was hat es gebracht? Und wie soll es in Sachen Sprachvermittlung weitergehen? An Sollys Schule konnte etwa ein Drittel von den 40 Kindern, die Anfang des vergangenen Schuljahres in eine Deutschförderklasse gegeben wurden, in die Regelklasse aufsteigen.

„Doch es gibt nun auch Schüler, die schon in der ersten Klasse Volksschule sitzen geblieben sind und die Deutschförderklasse wiederholen müssen“, sagt Solly. „Das gab es vorher nicht und es macht was mit den Kindern.“ Früher wurden Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen immer als außerordentliche Schüler im Regelunterricht integriert und in das zweite Schuljahr mitgenommen. Erst nach zwei Jahren wurde dann evaluiert, ob das Kind genügend gut Deutsch kann, um in die dritte Klasse aufzusteigen. Dies wird mit standardisierten Tests nun bereits nach dem ers ten Schuljahr gemacht.

Das Problem ist, dass hier Kinder mit den verschiedensten Erstsprachen in einen Raum gesetzt werden und sich nicht miteinander unterhalten können.

Adi Solly

„Das Problem ist, dass hier Kinder mit den verschiedensten Erstsprachen in einen Raum gesetzt werden und sich nicht miteinander unterhalten können“, sagt Solly. „Die einzige Ansprechperson ist der Lehrer. Aber wir wissen, wie wichtig das Visavis beim Spracherwerb ist, vor allem, wenn es ein gleichaltriges Kind ist.“ Auch an Ilse Modritzkys Volksschule gibt es viele Kinder mit nicht deutscher Muttersprache. Von 337 Kindern haben 324 einen Migrationshintergrund. 64 Schülerinnen und Schüler wurden vergangenes Schuljahr in eigenen Deutschförderklassen unterrichtet.

„Von den Deutschförderklassen direkt in die Regelklasse zu wechseln, gelang etwa zehn Kindern“, erklärt Modritzky. Von der neuen Regierung wünscht sich Modritzky eine flexiblere Gestaltung am Standort. Wenn zwei Lehrer gemeinsam in einer Klasse unterrichten oder für 15 Stunden gemeinsam unterrichten könnten, dann sei der Erfolg beim Spracherwerb auch ein optimaler, so Modritzky. Aber auch Forscher und Bildungsexperten formulieren bereits Wünsche an die neue Regierung. So hat die Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB) die Regierungsverhandler zu einem „Rückbau lernhinderlicher Bildungsmaßnahmen“ aufgerufen.

Dazu zählt für die Forscher die Wiedereinführung der verpflichtenden Notengebung in den ersten Volksschuljahren, das Sitzenbleiben in der Volksschule, Leistungsgruppen in der Neuen Mittelschule und – die verpflichtenden Deutschförderklassen. Die verpflichtende Einführung eigener Deutschförderklassen für Schüler ohne ausreichende Deutschkenntnisse reduziere Interaktionen und soziale Kontakte mit deutschsprechenden Mitschülern, so die ÖFEB.

Deutschklassen als „Symbolpolitik“

Bildungsforscherin Barbara HerzogPunzenberger bezeichnete die Einführung der Deutschförderklassen als „Symbolpolitik“. 2015 hat sie die Machbarkeitsstudie „Sprachliche Bildung und Sprachförderung – ein Konzept für Österreich“ mitverfasst. Das Ergebnis: „Sprachförderung ist ein durchgängiger Prozess während der gesamten Bildungslaufbahn, den alle Lehrkräfte in einem sprachbewussten Fachunterricht unterstützen müssen.“ Mehrsprachigkeit sollte dabei gefördert werden. „Am Beginn können Phasen der intensiven Deutschförderung durchaus sinnvoll sein, so wie es mit den elf Wochenstunden bereits vor der Einführung der neuen Deutschförderklassen vorgesehen war“, sagt Herzog-Punzenberger. Parallel dazu müsse immer der Tatsache Rechnung getragen werden, „dass in Peergruppen, in denen zumindest einige die Zielsprache gut beherrschen, diese am besten gelernt wird“, sagt die Expertin.

Weniger Fachunterricht

Aber nicht nur der Spracherwerb ist entscheidend. Oliver Gruber, Referent für Integration und Sprachförderung der Arbeiterkammer Wien betont, dass der Fachunterricht in der derzeitigen Regelung dem Deutschunterricht zum Opfer falle. „Je länger ein Kind in der Deutschförderklasse bleibt, desto mehr kann das zum fachlichen Defizit werden“, sagt Gruber. Er gibt zu bedenken, dass der Erfolg beim Spracherwerb häufig auch mit dem sozioökonomischen Hintergrund zusammenhängt: „Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern mit wenig sprachlicher Förderung entwickeln allgemein geringere sprachliche Kompetenzen als frühzeitig geförderte Kinder, unabhängig davon, ob Deutsch ihre Erstsprache ist oder nicht.“ Soziologe Johann Bacher von der Uni Linz fügt noch einen weiteren Punkt hinzu: „Vor allem die Einbindung der Eltern stellt eine große Herausforderung dar.

Diese ist in der Volksschule und den ersten Jahren in der Sekundarstufe I für den Erfolg sehr wichtig.“ Außerdem brauche es eine wissenschaftliche Evaluation über den Spracherwerb in den Deutschförderklassen. Lehrer und Bildungsexperten sind sich jedenfalls einig: Sie fordern mehr Ressourcen, kleinere Gruppen, mehr Schulpsychologen und Schulsozialarbeit. Direktoren wie Adi Solly geht es vor allem um die Schulautonomie. „Die Schulen wissen immer noch am besten, wie sie den Spracherwerb an ihrem Standort bestmöglich fördern können“, sagt Solly, „da muss man das Rad nicht Jahr für Jahr neu erfinden“.

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