Frage der Verantwortung

Werbung
Werbung
Werbung

Die "Wehrmachtsausstellung" provoziert noch immer und zeigt eine enorme politische Relevanz.

Helmut Zilk hat unrecht. Bei der Diskussionssendung "Betrifft" warf der Wiener Altbürgermeister den Machern der "Wehrmachtsausstellung" vor, den Kollektivschuld-Vorwurf nicht explizit zu entkräften: "Ein einziger Satz hätte dem Ganzen die Spitze genommen."

Auch viele Sätze hätten keine einzige Spitze genommen: Denn die runderneuerte, viel Lese- und Denkarbeit fordernde Schau "Verbrechen der Wehrmacht", die seit gut einer Woche in Wien ist, taugt nicht als "Hetze gegen die Weltkriegsgeneration", zu der sie eifernde alte Kämpfer stilisieren mögen. Sie taugt auch nicht zu einer Generalabrechnung der Söhne und Enkel mit ihren Altvorderen, die in mörderischen Zeiten und in einem unmenschlichen System lebten.

Die neue "Wehrmachtsausstellung" ist etwas für nachdenkliche Zeitgenossen, die sich einen Augenblick lang einlassen wollen auf die Mühen der Details einer Kriegs- und Vernichtungsmaschinerie; dafür sorgt nicht zuletzt die Materialfülle, die bei einem Einzelbesuch gar nicht aufzunehmen ist. Auch wenn - wie Helmut Zilk insinuierte - der Ausstellung der Satz vorangestellt wäre: "Ihr habt keine Kollektivschuld", änderte das wenig. Denn was gezeigt wird, mündet in die wenig überraschende Erkenntnis: Die Militärinstitutionen des Dritten Reiches waren in die NS-Verbrechen verstrickt. Solches auf der Hand liegendes Wissen war wegen der selektiven Wahrnehmung der Geschichte dieser Zeit verschüttet: Der Mythos, dass die Wehrmacht sauber, die NS-Parteiinstitutionen hingegen verbrecherisch waren, konnte vor dem gesunden Menschenverstand nie bestehen.

Nichts anderes versucht die Ausstellung klar zu machen: Die Verstrickung der Wehrmacht in Verbrechen ist evident, aber die einzelnen Schicksale dieser Verstrickung sind keineswegs über einen Kamm zu scheren. Es bedarf ordentlicher Anstrengung, schon die wenigen Ausschnitte aus dem Kriegsgeschehen, die in der Schau gezeigt werden, mit ihren vielen Dokumenten und Belegen aufzunehmen; schon allein das zeigt die Komplexität der Bewertung von Verantwortlichkeit in jener Zeit.

Eine Beurteilung, die auch den Wehrmachtsangehörigen gerecht wird, verlangt von Betroffenen wie von Nachgeborene große Mühen: Die Auseinandersetzung um die Frage, wie diese Gerechtigkeit zu erringen ist, gehört zu den schmerzhaftesten Prozessen der Gesellschaft und der Zeit.

Hier wird die Debatte um den Stellenwert der Erinnerung und die Bedeutung der Geschichte für die Zukunft neu entfacht. Trotz einer Ausstellung, die auf diese Frage - nicht leichtfertig - mit den Dokumenten des Grauens antwortet, führt dieser Diskurs keineswegs schon zu gesellschaftlicher Übereinstimmung.

Vor Jahresfrist zettelte der - an sich nicht von rechts kommende - Philosophieprofessor Rudolf Burger die Diskussion über eine Instrumentalisierung der Erinnerung an die NS-Verbrechen an und plädierte für das Vergessen als neue moralische Kategorie. Die Konsequenzen solcher Auslöschung sind mittlerweile mit Händen zu greifen, etwa wenn ein - durch und durch rechts stehender - Historiker wie Lothar Höbelt in dieser Diskussion Rudolf Burger als Quasi-Bündnispartner heranzieht.

Man konnte in der letzten "Betrifft"-Sendung an Höbelts Argumentation sehen, wohin das alles führt: Jeder Krieg sei furchtbar und menschenverachtend, und im Nu wird die ungeheure Barbarei der NS-Herrschaft eingeordnet in die Schrecklichkeiten anderer bewaffneter Konflikte, die bis heute nicht überwunden sind.

Ins Reine kommen

Dies mag ein Grund dafür sein, dass auch die neue "Wehrmachtsausstellung" angefeindet wird, obwohl sie bis in Details argumentiert und ganz und gar nicht plakativ agiert. Sie nimmt den Erinnerungsverächtern viel Wind aus den Segeln und zeigt, dass die Geschehnisse komplex sind und unvollkommen zu erfassen, dass die Komplexität aber die Untaten keinesfalls relativiert.

Ob die Ausstellung etwas bewirkt, kann erst später beurteilt werden. Wichtig ist sie auch im Kontext des jüdisch-christlichen Menschenbildes, in dem die europäische Zivilisation ja wurzelt, und das auf einer Kultur des Erinnerns aufbaut. (Dass der christliche Antijudaismus, so die quälende Erinnerung, den NS-Untaten gehörig Vorschub leistete, soll aufgrund dieser Gedächtniskultur ebenfalls klar benannt bleiben.)

Jedenfalls hat die Schau und die durch sie transportierte Auseinandersetzung eine große politische Relevanz:

* Sie zeigt zum einen auf, dass, wer nicht im Stande ist, mit dieser Geschichtsverstrickung ins Reine zu kommen, auch in der Gegenwart politisch versagt.

Die Lehren (nicht nur, aber auch) aus der "Wehrmachtsausstellung" lauten unter anderem: "Wehrt den Anfängen", und: "Nie wieder!" Da ist es etwa völlig inakzeptabel, dass ausgerechnet auf dem Wiener Heldenplatz eine Neonazi-Demonstration samt anschließendem Rundgang durch Wiens City mit einschlägigen Parolen stattfinden kann. (Wenn gleichzeitig eine Gegendemo zur Straßenschlacht mit der Polizei gerät, ist das ebenfalls empörend und zeigt, dass die Pflastersteinwerfer die Geschichte, von der die Ausstellung erzählt, genausowenig verstanden haben. Die Ausschreitungen mildern die Kritik an der offiziellen Blindheit gegenüber der rechtsextremen Kundgebung jedoch um keinen Deut.)

* Zum andern gehört es in einer Gesellschaft mit jener Geschichte, von der auch die Ausstellung erzählt, zur Vorbedingung für die Legitimierung politischer Kritik, sich der Katharsis durch dieses kollektive Gedächtnis auszusetzen.

Anders gesagt: Erst wer sich der Herausforderung der eigenen Geschichte stellt, darf sich in die Gegenwart einmischen.

Zur Zeit hängt der Nahostkonflikt als Menetekel über der Welt. Auch hierzulande wird viel Kritik an den Konfliktparteien - nicht zuletzt an Israel - geübt. Das ist ebenso nötig wie das richtige Augenmaß dabei. Wer sich jedoch nicht authentisch seiner Geschichte aussetzt, hat das Recht zu solcher Kritik verwirkt.

* Auch der Gratwanderung zwischen Systemzwängen und persönlicher Schuld entkommt man nicht: Beim Prozess um den Tod des Schubhäftlings Marcus Omofuma redete sich der Verteidiger der nun - erstinstanzlich - verurteilten Polizisten darauf aus, sie seien nur ein "Blitzableiter" des Systems gewesen. Das Urteil gibt dieser Argumentation teilweise recht.

Solche Frage nach der Verantwortlichkeit schallt dem Besucher der "Wehrmachtsausstellung" auf Schritt und Tritt entgegen. Sie erweist sich auch angesichts dieses aktuellen Falls einmal mehr als brennend.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung