Freddy Quinn - © FotoL Imago/Teutopress

Freddy Quinn: Ein Wiener als Seemann, ein Seemann als Priester

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Wie der in Wien gebürtige Freddy Quinn zum Hamburger Seemann und Priester mutierte. Eine Hommage zum 90. Geburtstag am 27. September 2021.

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Wie der in Wien gebürtige Freddy Quinn zum Hamburger Seemann und Priester mutierte. Eine Hommage zum 90. Geburtstag am 27. September 2021.

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In meinem Büro hängt zwischen linkem Türstock und Bücherregal ein postkartengroßes, eingerahmtes Foto. Darauf ist ein katholischer Priester in schwarzer Soutane zu sehen, der ein Brevier in seinen Händen hält und inbrünstig betet. Über einen Teil des Bildes hat jemand mit dickem schwarzem Stift einen liturgischen Text in lateinischer Sprache geschrieben, der mitten im Satz beginnt und wieder abbricht: „… Joanni Baptistae, sanctis Apostolis Petro et Paulo, omnibus Sanctis, et tibi pater …“ Es handelt sich dabei um einen kurzen Abschnitt aus dem Schuldbekenntnis der Tridentinischen Messe, und zwar um einen Teil, der von den Ministranten gesprochen wird. Das passt zu dem, was auf der Rückseite des Bildes geschrieben steht: „… in Erinnerung an meine kurze Ministranten-Zeit“.

Der Priester, dessen Bild in meinem Büro hängt, ist allerdings gar kein wirklicher Seelsorger, sondern der Sänger und Schauspieler Freddy Quinn. In seiner Jugend ist Quinn Ministrant gewesen und hat sich einige liturgische Textbrocken von damals offensichtlich gut gemerkt. Diese hat Herr Quinn auf ein Foto geschrieben, das ihn in der Rolle eines katholischen Priesters namens Don Silvestro zeigt, die er im Musical „Beyond the Rainbow“ verkörperte. Das Musical wurde von September 1978 an sechs Monate lang am Adelphi Theater in London aufgeführt, gleich neben dem als Touristenattraktion bekannten Covent Garden.

Kleriker-Ideale und Matrosen-Romantik

Freddy Quinn auf einer Bühne in London? Noch dazu als katholischer Priester? In einem Musical in englischer Sprache? Wer an Freddy Quinn denkt, assoziiert Hamburg mit ihm, nicht London, Seeluft, nicht Weihrauch, maritime Schlager, nicht Kirchengesang. Doch wer genauer hinsieht, entdeckt, dass Kleriker-Ideale und Matrosen-Romantik manches gemeinsam haben: Beide, katholischer Gottesmann und norddeutscher Seemann, nehmen Entbehrungen auf sich und arbeiten hart. Sie streben nach unendlicher Weite und geheimnisvoller Tiefe, sie sehnen sich nach metaphysischen Abenteuern und Erfahrungen der Transzendenz: Des einen Heimat ist in Gott, des anderen Heimat ist die See, der eine wird von Gott und seinen Heiligen in den Dienst gerufen, der andere von Wolken, Wind und Ozeanen.

Metaphern aus der Seefahrt spielen, wie Hugo Rahner aufgezeigt hat, bei Kirchenvätern eine prominente Rolle: Das Schiff wird zum Symbol der Kirche, mit Christus am Steuer, der es in den sicheren Hafen bringt. Der Glaube der Seeleute daran, dass die Rettung aus Seenot und die glückliche Heimkehr letztlich in der Hand Gottes liegen, führte einst dazu, dass auf Schiffen regelmäßig Andachten gehalten und stets eine Bibel an Bord war. Seit dem 17. Jahrhundert gibt es den Begriff der „Christlichen Seefahrt“, der auf eine enge Verbindung zwischen Christentum und Seefahrt in der Tradition des christlichen Abendlandes hinweist.

Das Meer bietet eine einzigartige Naturerfahrung. Es ist zudem eine spirituelle und romantische Metapher, Sinnbild für Sehnsucht und Aufbruch, Abschied und Wiederkehr, Erfüllung und Glück. Nach den schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieg und zu einer Zeit, in der Fernreisen für die meisten Menschen noch unerschwinglich waren, widmete sich der deutsche Schlager mit Inbrunst südlichen Ländern, sonnigen Stränden und dem blauen Meer. Rudi Schuricke ließ Capris rote Sonne im Meer versinken, und Melina Mercouri wusste, dass ein Schiff kommen und ihr den einen bringen wird, der sie glücklich macht.

Niemand aber hat diese Art von Musik so gekonnt interpretiert und inszeniert wie Freddy Quinn: „Die Gitarre und das Meer“, „Unter fremden Sternen“, „Die Wolken, der Wind und das weite Meer“, „Ich bin bald wieder hier“, „Der Junge von St. Pauli“ und vor allem „Heimweh“ „La Paloma“ und „Junge, komm bald wieder“. In Freddys Meeresschlagern verdichtet sich die Sehnsucht, in eine Welt jenseits des eigenen Lebenshorizonts vorzudringen. Hier kann der ferne Südseestrand zur paradiesischen Metapher werden, das seemännische Fernweh zum Sinnbild für den Drang des Menschen nach Transzendenz und Entgrenzung. So gesehen kein Wunder, dass Quinns Schlager von vielen als „zeitlos“ bezeichnet werden.

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