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Die Sozialversicherung sorgt dafür, daß jeder ohne Kostenrisiko im Krankenhaus behandelt wird. Welchen Sinn hat es dann, in ein Privatspital zu gehen?

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Die Sozialversicherung sorgt dafür, daß jeder ohne Kostenrisiko im Krankenhaus behandelt wird. Welchen Sinn hat es dann, in ein Privatspital zu gehen?

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Eines ist klar: Die letzten Jahre sind geprägt von einem Gegensatz zwischen Privat und Staat. Neoliberales Gedankengut läßt wieder die Vision des Nachtwächterstaates des 19. Jahrhunderts entstehen.

Jeder muß selbst auf sich schauen und selbst für sich vorsorgen. Die Maximierung des Einzelnutzen ergibt mit "Marktautomatik" den höchsten Gesamtnutzen. Die vom Staat noch vorgegebenen Ordnungsrahmen werden als sinnlose Bürokratie disqualifiziert. Die Erkenntnis, daß Wettbewerb nur dort etwas bringt, wo annähernd Gleiche aufeinander treffen, ist offenbar in Vergessenheit geraten. Alles, was privatisierbar ist, wird privatisiert; gleich was es kostet, gleich was es bringt.

Doch halt, der Spitalssektor stellt eine Ausnahme dar. Neben den in Österreich noch immer bei weitem dominierenden öffentlichen Krankenanstalten, deren Führung in einigen Ländern zwar mehr oder weniger "privat" gestaltet ist, gibt es eher wenige private Krankenanstalten, als deren Träger Stiftungen, gemeinnützige Vereine, aber auch Wirtschaftsgesellschaften auftreten. Die private Gestaltung von Spitälern der öffentlichen Hand war durchaus nicht immer erfolgreich; so mußte die Privatisierung in der Steiermark zurückgenommen werden, insbesondere weil die für Private geltenden arbeitsrechtlichen Regeln beachtliche Mehrkosten verursachten.

Historisch aus dem Gedanken der christlichen Caritas entstanden, waren neben Orden und Bruderschaften als Selbsthilfevereinigungen frühzeitig staatliche Institutionen um die Errichtung und Führung von Spitälern bemüht. Im 19. Jahrhundert kommen dazu Privatstiftungen und - dem Gedanken der privaten Selbsthilfe Rechnung tragend - auch Vereine als Spitalserhalter.

Die Sozialbewegung in der Republik brachte ein flächendeckendes System von öffentlichen Krankenanstalten mit verschiedenen Formen von öffentlichen Rechtsträgern und eine letztlich mehr als 90 Prozent der Bevölkerung umfassende Sozialversicherungspflicht. Die stationäre Krankenbehandlung soll jedermann ohne Kostenrisiko in gleicher Weise zur Verfügung stehen.

Vor diesem Hintergrund war die Weiterentwicklung des privaten Zweiges der Krankenanstalten schwierig. Die enorm hohen Kosten für Ausstattung und Personal und im privaten Bereich das Fehlen der nahezu unerschöpflichen Mittel der öffentlichen Hand bei einer gleichzeitig rasanten Entwicklung der Medizintechnik mußten zu anderen Lösungen führen: das in Privatspitälern praktizierte Belegarztsystem und eine gewisse Spezialisierung kommen auch den Patienten zugute.

Während in den allgemeinen öffentlichen Spitälern die gerade erforderlichen ärztlichen Leistungen von den jeweils Dienst habenden Ärzten erbracht werden, ermöglicht das Belegarztsystem dem Patienten, mit dem Arzt seines Vertrauens in das Privatspital zu kommen. Die entscheidenden therapeutischen Maßnahmen werden vom "eigenen" Arzt vorgenommen.

Das beugt nicht nur Fehlern, die aus der anonymen Fließbandroutine in Großkrankenhäusern immer wieder passieren, vor, sondern ist sowohl für die Vor- als auch für die Nachbehandlung der Patienten von großem Vorteil. Das persönliche Vertrauensverhältnis, das Kennen des Patienten können durch Überweisungsschein oder Arztbericht nicht ersetzt werden.

Selbstverständlich kann der Belegarzt nicht rund um die Uhr für seinen Patienten zur Verfügung stehen. Deshalb wird die laufende ärztliche Betreuung vom ärztlichen Dienst des Privatspitals wahrgenommen. Diese Aufgabenteilung in Verbindung mit einer persönlich abgestellten Pflegeleistung, der Unterbringung in Krankenzimmern mit Hotelkomfort und individuellen Besuchsmöglichkeiten nehmen einem notwendigen Krankenhausaufenthalt viel vom Schrecken und leisten so auch einen wesentlichen Beitrag zur Genesung.

Öffentliche Krankenanstalten sind trotz des hohen Bettenangebotes in Österreich oft überlastet, sodaß nur Akutfälle aufgenommen werden. In Privatkrankenanstalten ist der Krankenhausaufenthalt in der Regel zeitlich planbar. Für im Spital durchzuführende ärztliche Leistungen oder medizinische Eingriffe, die oft eine wesentliche Verbesserung der Lebensqualität mit sich bringen, bestehen - sofern sie im Hinblick auf die medizinisch technische Ausstattung und auch aus Kostengründen privat durchgeführt werden - keine Wartelisten auf Jahre hinaus.

Schwierigste und sehr kostenaufwendige therapeutische Maßnahmen können private Krankenanstalten derzeit in Österreich nicht erbringen. Aber auch die Spitzenkliniken stoßen zum Beispiel im Bereich der Transplantationschirurgie an medizinische und ökonomische Grenzen.

Natürlich entstehen - nicht nur für die individuellen Mehrleistungen der Privatspitäler - auch Mehrkosten. In den öffentlichen Krankenanstalten decken die Leistungen der Sozialversicherungsträger gleichfalls nicht den gesamten Aufwand. Dort springt aber die öffentliche Hand - in welcher Form immer - zur Abgangsdeckung ein.

Insofern entlasten die Privatkrankenanstalten sowohl die öffentlichen Krankenanstalten als auch die öffentlichen Finanzen. Es ist durchaus zeitgemäß, daß diejenigen, die es sich leisten können, selbst einen Beitrag für ihre Gesundheit erbringen. Allerdings erfolgt dies in der Praxis meist durch Abschluß einer Zusatzversicherung, die aber durch "Selbstbehaltsregeln" ein gesundes Kostenbewußtsein der Versicherten aktiviert.

Vielleicht gilt dann auch in diesem Bereich die Maxime: "Der Preis bestimmt den Wert." Wenn dann daraus bereits vor dem Akutfall ein bewußterer Lebensstil mit höherem Gesundheitsbewußtsein folgt, so wäre das durchaus wünschenswert, wenn auch Gesundheit nicht alles, aber ohne Gesundheit alles nichts ist (frei nach Schopenhauer).

Der Autor ist Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft vom Goldenen Kreuz.

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