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Rund 5.500 Psychotherapeuten sind in Österreich zugelassen. Ist damit die Versorgung der Bevölkerung gesichert? Und was zahlt die Krankenkasse? Ein Überblick.

Es geschah in einer düsteren Mietwohnung in der Wiener Berggasse. Man schrieb das Jahr 1900: Nach einem experimentellen Tohuwabohu hatte der Nervenarzt Sigmund Freud endlich jene Methode gefunden, die es ermöglichen sollte, auch die tiefsten Abgründe leidender Seelen zu erkunden: die Psychoanalyse. Für 50 Kronen (heute umgerechnet acht Euro) ließ er seine Patientinnen und Patienten 50 Minuten lang auf einer Couch liegend frei assoziieren. Er selbst saß hinter ihnen und mühte sich, die vielen Bruchstücke des Unterbewusstseins in ein stimmiges Bild zu fassen.

Heute, ein Jahrhundert später, ist für Freuds Erben mehr zu tun denn je - auch wenn die Psychoanalyse unter ihnen an Attraktivität verloren hat (siehe Kasten unten). "Das allgemeine Elend der Sinnsuche nimmt zu", weiß Alfred Pritz, Präsident des Weltverbands für Psychotherapie. "Österreich steht ökonomisch wirklich gut da. Und dennoch nehmen sich pro Jahr etwa 1.300 Menschen das Leben." Dazu kämen noch geschätzte 40.000 Selbstmordversuche, gibt der Wiener Psychoanalytiker zu bedenken. Einen Hauptgrund für den steigenden Druck sieht er in der Globalisierung: Die Verschärfung des internationalen Wettbewerbs schreite unaufhörlich voran und erfasse jeden Einzelnen. Aber auch in den Partnerschaften und Familien steige der Druck. Schuld sei die "Versingelung" der Gesellschaft, glaubt Pritz.

Seelenleiden im Vormarsch

Dieser pessimistische Befund wird durch eine Prognose der Weltgesundheitsorganisation untermauert: So würden in den kommenden 20 Jahren psychische Erkrankungen um 50 Prozent ansteigen. Obwohl also der Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung steigt, ortet man in Österreich erheblichen Nachholfbedarf: In ihrer jüngsten Studie zu "Bedarf und Angebot an Psychotherapie" diagnostiziert das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) eine krasse Unterversorgung mit psychotherapeutischen Angeboten. Um die Untergrenze des Bedarfs abzudecken - nach Angaben der ÖBIG benötigen zumindest 2,1 Prozent der Bevölkerung, also 170.000 Österreicherinnen und Österreicher, eine Psychotherapie - wäre eine Ausweitung der angebotenen Therapiestunden um das Fünffache erforderlich. In einigen Bundesländern (Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich und Steiermark) sei sogar eine Steigerung um das Zehn- bis 18-fache notwendig, heißt es in der Expertise, die im Auftrag des Sozialministeriums erstellt wurde. Wegen dieses Stundenmangels sei der Minimalbedarf an Psychotherapie derzeit nur zu 30 Prozent gedeckt.

Entsprechend unzufrieden ist man beim Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP), der hierzulande ungefähr die Hälfte der rund 5.500 eingetragenen Psychotherapeuten vertritt. Im Übrigen ortet man bei fünf Prozent der Bevölkerung Handlungsbedarf. Besonders frustriert ist man über die Tatsache, dass die angestrebte "Psychotherapie auf Krankenschein" noch immer nicht flächendeckend angeboten wird. "Derzeit gibt es nur ein Flickerlteppichangebot", ärgert sich die Präsidentin des ÖBVP, Margret Aull.

Dass es zu dieser Misere gekommen ist, hat freilich eine längere Vorgeschichte: Seit Inkrafttreten des Psychotherapiegesetzes im Jahr 1991 liegt der Bundesverband im Clinch mit den Krankenkassen. Bis heute konnte man sich nicht darauf einigen, wie ein Gesamtvertrag zwischen dem Hauptverband der Sozialversicherungen und den Psychotherapeuten beschaffen sein sollte.

Teure Ausbildung nebenbei

Wie immer liegt der Teufel im Detail: Laut Gesetz ist "Psychotherapeut" ein eigenständiger Heilberuf - und als solcher von unterschiedlichen Grundberufen her erlernbar. Anders als in Deutschland wird für die Zulassung zum psychotherapeutischen Propädeutikum (durchschnittlich zwei Jahre) und der anschließenden Ausbildung an Privatinstituten (durchschnittlich vier Jahre) weder ein bestimmtes Studium noch die Matura verlangt. Die Ausbildung, die Kosten von 20.000 bis 40.000 Euro verursacht, wird meist "nebenbei" absolviert.

Um nach Abschluss der Ausbildung in die Therapeuten-Liste des Sozialministeriums aufgenommen zu werden, bedarf es also keinerlei Erfahrung im medizinischen System. Geht es nach den Wünschen des Hauptverbandes, so ist der Nachweis einer solchen Praxis für einen Kassenvertrag unumgänglich. Eine Forderung, die man von Seiten des ÖBVP nicht akzeptiert. "Mit solchen Zusatzkriterien wird unsere eigenständige Behandlungskompetenz ins psychiatrisch-medizinische Eck gedrängt", kritisiert Margret Aull gegenüber der Furche. Fazit: Der Gesamtvertrag verschwand im Jahr 2000 im Nirvana unerfüllbarer Visionen.

Was folgte, waren bilaterale Vereinbarungen. So einigte sich die Wiener Gebietskrankenkasse mit dem Wiener Landesverband für Psychotherapie auf eine Stundenlösung: Insgesamt wurden 40.000 Therapiestunden finanziert. Für den ÖBVP ein glatter Rechtsbruch: Er klagte seinen Landesverband durch alle Instanzen - und verlor. Inzwischen erhöhte man in Wien das Kontingent auf 60.000 Stunden, im nächsten Jahr sollen es bereits 100.000 sein. Dennoch hält Margret Aull an ihrer Kritik fest: "Es gibt noch immer skurrile Situationen, dass die Kontingente schon im laufenden Geschäftsjahr aufgebraucht sind und man keine neuen Patienten aufnehmen kann." Die Abgewiesenen müssten die Therapiekosten zwischen 50 und 80 Euro pro Sitzung selbst tragen und erhielten nach der österreichweiten "Zuschussregelung" nur 22 Euro von der Krankenkasse refundiert.

Hilfesuchende in Niederösterreich, Kärnten und der Steiermark müssen sich generell damit begnügen. Auch in Tirol kann ihnen eine Psychotherapie teuer kommen, doch werden sie nicht vom Psychotherapeuten abgewiesen, sondern von einer anonymisierten Gutachterkommission. "Die stellt dann Krankheitswert und Bedürftigkeit des Patienten fest", erklärt Aull das Modell, das sie sich in Zeiten unvermeidbaren Sparens für ganz Österreich vorstellen könnte.

Unfinanzierbare Therapie

Tatsächlich ist nach Angaben des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger eine "Psychotherapie auf Krankenschein für alle" kaum zu finanzieren. Gibt man derzeit rund 30 Millionen Euro für die ambulante psychotherapeutische Versorgung aus, so würden sich die Kosten durch einen Gesamtvertrag verdoppeln. Sicherheitshalber hat man deshalb den Psychotherapie-Bedarf niedrig genug festgesetzt: "Wir gehen von 0,7 Prozent der Bevölkerung aus", erklärt Peter Scholz vom Hauptverband. Dabei orientiere man sich an Deutschland: Dort hätte - bei einem flächendeckenden Angebot - genau dieser Prozentsatz eine Psychotherapie in Anspruch genommen.

Ob alle anderen tatsächlich keine professionelle Hilfe brauchten, ob sie keine wollten oder ob sie schlichtweg nichts davon wussten, sei dahingestellt.

Informationen zur psychotherapie

beim Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie unter (01) 512 70 90 und www.oebvp.at. Eine vollständige Liste der eingetragenen Psychotherapeuten findet man im Internet unter www.psyonline.at.

VERANSTALTUNGSTIPP:

Am Freitag, 13. Dezember, findet von 9 bis 14 Uhr anlässlich des 50-jährigen Bestehens des psychotherapeutischen Ambulatoriums der Wiener Gebietskranken-kasse - das Psychotherapie auf Krankenschein anbietet - ein Symposium zum Thema "Psychotherapie und soziale Verantwortung" statt. Festredner ist Eberhard Richter. Ort: Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1100 Wien.

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