„Für einen Prozess der Heilung und der Versöhnung“

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Seit Jahren setzt sich Eamonn Conway, Professor an der Universität Limerick, als Theologe mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche auseinander.

Die Furche: Letzte Woche waren die irischen Bischöfe sogar beim Papst. Hilft das, die Missbrauchsaffären zu überwinden?

Eamonn Conway: Wir wissen noch nicht viel aus Rom, es gibt zurzeit nur eine Presseerklärung und wir erwarten den Hirtenbrief an die irische Kirche, den der Papst angekündigt hat. Es ist also zu früh für ein Urteil. Aber alles spricht dafür, dass der Ernst der Lage erkannt wurde. Allerdings: Am Ende des Tages müssen die Antworten nicht in Rom, sondern in Irland gefunden werden.

Die Furche: Einige irische Bischöfe haben den Rücktritt angeboten, der Bischof von Limerick ist tatsächlich demissioniert. Sie warnen aber davor, Bischöfe zu Sündenböcken zu machen.

Conway: Ich fürchte, wenn der Schwerpunkt auf dem Rücktritt von Bischöfen liegt, kommt man nicht zum Kern des Problems – genauso wie einzelne Missbrauchstäter im Frühstadium des Skandals zu Sündenböcken gemacht wurden. Die Sache übersteigt die Einzelnen, die darin verwickelt sind.

Die Furche: Der Kern des Problems …

Conway: … war die Verweigerung einer unverzüglichen pas-toralen Antwort: Was hinderte die Bischöfe daran, auf die Probleme der Opfer einzugehen? Warum lagen die Missbrauchsopfer der Kirche nicht von Anfang an am Herzen?

Die Furche: Was ist der Fehler im System?

Conway: Dieselben Fehler wurden bei ähnlichen Affären in Polen ebenso gemacht wie in Boston oder in Dublin. Wir müssen uns fragen, welche Kultur zu diesem strukturellen Verrat des Vertrauens geführt hat. Etwa, dass es in der Kirche nur eine vertikale Verantwortlichkeit gibt und keine horizontale. Es hat auch damit zu tun, wie in der Kirche die Macht verteilt ist. Und man muss auch über den Pflichtzölibat diskutieren – und zwar nicht in der Vereinfachung, dass der Zölibat sexuellen Missbrauch verursacht, was ich nicht glaube. Die Frage ist vielmehr, wie gut Priester darauf vorbereitet werden, das Charisma des Zölibats zu leben. Und ob der Pflichtzölibat das Priestertum nicht attraktiv macht für Leute, die psychosexuell unreif sind und die sich vor Intimität und menschlichen Beziehungen fürchten.

Die Furche: In der römischen Pressemitteilung hieß es, der Papst habe im Zusammenhang mit den irischen Missbrauchsaffären auch von einer Glaubenskrise gesprochen.

Conway: Es ist klar: Wer ein christliches Leben führt, missbraucht andere nicht. Unglücklicherweise wurden in Irland die Anmerkungen des Papstes von Leuten kritisiert, die nicht wirklich verstanden haben, was der Papst damit sagen wollte. Er wollte keinesfalls den sexuellen Missbrauch entschuldigen. Aber er sagte, dass dieser in einem größeren Kontext steht. Die Sache ist so ernst, das wir in jedem Fall zuallererst die Abscheulichkeiten anerkennen und dann nach einer Lösung suchen sollten …

Die Furche: … die Ihrer Meinung nach wie aussehen könnte?

Conway: Wir müssen zuerst feststellen, in welche Richtung wir gehen können. Das ist erst möglich, wenn die Opfer dazu bereit sind. Am Ende des Tages muss aber ein Prozess der Heilung und der Versöhnung für die Opfer herauskommen. Das heißt auch, dass es Vergebung für die Schuldigen gibt, sowohl für die Missbrauchstäter als auch für diejenigen, die ihre kirchlichen Leitungsaufgaben nicht so wahrgenommen haben, wie sie sollten. Wenn man sich darauf verständigt, dass dies ein Ziel ist, dann kann man danach suchen, ob anderswo schon ähnliche Prozesse angegangen wurden, wo Ungerechtigkeit, Verrat, Missbrauch und Konflikt zu ähnlichen Verwundungserfahrungen geführt haben. Ich denke da an die Überlegungen des südafrikanischen Erzbischofs Desmond Tutu zu einem Prozess der Versöhnung. Klar ist aber: Um einen Heilungsprozess beginnen zu können, muss es Reue seitens der Täter und der Kirche geben. Erst wenn das glaubwürdig geschieht, können die Opfer anfangen, über Vergebung nachzudenken. In diese Richtung muss es aber gehen, denn ohne Vergebung ist keine Heilung möglich.

Die Furche: Propagieren sie also etwas Ähnliches wie die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika?

Conway: Wir müssen die Menschen zusammenbringen, um die richtige Vorgangsweise herauszufinden. Einige finden das Konzept der Wahrheits- und Versöhnungskommission unannehmbar, weil sie vermuten, dass es da um eine Amnestie geht. Aber davon kann keine Rede sein. Diejenigen, die ein Verbrechen begangen haben, müssen sich vor dem Gesetz verantworten. Dennoch kann das Gesetz nicht alles lösen. Wir müssen darüber hinausschauen.

E. Conway leitet das Theology Department an der Universität Limerick. Seit 2009 ist er auch Präsident der Europäischen Gesellschaft für Kath. Theologie.

* Das Gespräch führte Otto Friedrich

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