Für Katalonien und die ernste Liebe

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Nach Schottland wird auch das spanische Katalonien in einem Referendum über seine Unabhängigkeit abstimmen. Eine feministische Ordensfrau arbeitet dort an vorderster Linie für die Eigenständigkeit der Provinz.

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Nach Schottland wird auch das spanische Katalonien in einem Referendum über seine Unabhängigkeit abstimmen. Eine feministische Ordensfrau arbeitet dort an vorderster Linie für die Eigenständigkeit der Provinz.

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Der Ausblick vom Montserrat, dem heiligen Berg Spaniens in der Nähe von Barcelona ist grandios. Für Teresa Forcades i Vila gehört die Aussicht zum Alltag. Sie lebt in dem Benediktinerinnenkloster San Benet, das auf halber Höhe des Berges liegt. Sie kam 1995 hier her, um für ihre Medizinprüfung zu lernen. Zwei Jahre später trat sie in den Orden ein. Teresa Forcades i Vila ist Feministin, befürwortet die gleichgeschlechtliche Ehe und das Recht auf Abtreibung, sie tritt als politische Aktivistin für die Unabhängigkeit von Katalonien ein und unterstützt die "Indignados", die spanische Protestbewegung. Und sie ist Benediktinerin - aus Berufung: "Natürlich habe ich kein E-Mail von Gott bekommen oder Visionen gehabt. Es war eine innere Erfahrung. Das ist, wie wenn man sich verliebt -das plant man nicht, es passiert. Ich denke manchmal, wenn vielleicht beim letzten Gericht nach dem Tod Jesus sagt, ich war es nicht, der dich berufen hat - dann ich habe meine Antwort vorbereitet." Sie lacht. "Tut mir leid, das habe ich falsch verstanden, ich dachte du warst es, und das genügt mir. Es ist mein Risiko und meine existenzielle Verantwortung, meine Erfahrungen zu interpretieren und mein Leben an dem zu orientieren, was ich unter Gott verstehe."

Zurzeit ist Teresa Forcades Theologie-Professorin an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach ihrem Medizinstudium in Spanien und den USA hat sie u. a. an der Harvard-Universität bei Elisabeth Schüssler-Fiorenza, der bedeutenden feministischen Theologin, studiert. Als Ärztin engagiert sich Teresa Forcades gegen die Macht der Pharmakonzerne. In einem Internet-Videoclip äußerte sie 2009 wissenschaftliche Bedenken gegen die Impfungen, die damals massenhaft gegen Schweinegrippe durchgeführt wurden. Diesen Clip sahen eine Million Menschen. War sie bis dahin nur Insidern bekannt, wurde sie nun für TV-Auftritte, Vorträge usw. angefragt. Heute kommen bis 30 Anfragen pro Tag ins Kloster, und Mitschwestern assistieren ihr bei der Bewältigung der Korrespondenz.

Unabhängigkeits-Plattform

Auf Bitten von katalonischen Basisorganisationen - und mit Erlaubnis ihrer Oberen - engagiert sie sich für die neuen sozialen Bewegungen in Spanien und einen basisdemokratischen Konstitutionsprozess in Katalonien. Für den britischen Guardian ist die unauffällige Frau mit dem Nonnenschleier, unter dem erste graue Haare hervorlugen, "eine der stärksten Führungsgestalten der südeuropäischen Linken".

Katalonien ist die wirtschaftsstärkste Region Spaniens, obwohl auch hier die Folgen der Krise spürbar sind( ca. 17 Prozent Arbeitslosigkeit). Katalonien gehört neben dem Baskenland und Galizien zu den "Historischen Autonomen Regionen". Seine Sprache - Katalán - und Kultur waren unter der Franco-Diktatur (1939-1976) verboten. Heute sind Spanisch und Katalán die offiziellen Sprachen, wobei Katalán dominiert, was zu Konflikten zwischen dem "kastilischen Zentrum" und der "katalanischen Peripherie" führt. Trotz starker Wirtschaft ist die Region hoch verschuldet - eine Folge der Finanzkrise. Viele Katalanen sehen die Ursache dafür bei der Regierung in Madrid. 2010 löste der Konservative Arturo Mas das traditionelle Linksbündnis ab. Seither wurde der Ruf nach Unabhängigkeit Kataloniens lauter. Am 9. November 2014 soll eine Volksabstimmung über den Verbleib Kataloniens in Spanien stattfinden. Rechtlich ist dies fragwürdig, da das spanische Parlament zustimmen müsste, was nicht der Fall ist. Befürchtet wird, dass damit der Zerfall Spaniens eingeleitet werden könnte.

Forcades wirbt trotzdem dafür. Sie scheint immer bereit, in Kontroversen Partei zu nehmen und eindeutige Standpunkte zu vertreten. Im Grunde genommen gebe es hier eine Art innere Überzeugung", sagt die 48-jährige Benediktinerin. "Ich versuche in meinem Leben dem, was ich unter Gott verstehe, maximal treu zu bleiben. Als Schwester oder nicht, das ist egal."

Sie engagierte sich schon als Jugendliche - gegen den Willen der Eltern - in einer Pfarre in Barcelonas Hafenviertel, die sich um Migranten kümmerte. Dass es eine Gemeinschaft gibt, in der die Ausgeschlossenen und Leidenden Platz haben, "das war für mich als Teenager eine große Entdeckung". Freilich blieb auch eine Skepsis, vielleicht alles falsch zu interpretieren.

Abtreibung und Homosexualität

Abtreibung ist in Spanien ein heißes Eisen. Die konservative Regierung bereitet ein Gesetz vor, das Abtreibung wieder unter Strafe stellen soll. Teresa Forcades sieht das kritisch: "Natürlich halte ich Abtreibung nicht für eine gute Sache, ich kenne niemanden, der das tut." Der Embryo hat Recht auf Leben - aber auch die Mutter hat Recht auf eigene Entscheidung, sagt sie. Kriterium müsse das Prinzip des kleineren Übels sein - nach katholischer Morallehre. Das hat ihr 2009 einen Brief aus Rom eingetragen. Den hat sie beantwortet und seither nichts mehr gehört. Auch zu anderen heiklen Fragen wie der Homosexuellen-Ehe äußert sich die Benediktinerin deutlich: "Christliche Liebe ist nicht everything goes, nein, nein, Liebe ist eine ernste Sache. Wenn du liebst, brauchst du Verantwortung, beim Anderen zu bleiben. Aber warum soll das nur zwischen Menschen bestimmter sexueller Orientierung passieren? Ich kenne Leute, die mir nahestehen und schon 20 Jahre miteinander leben. Wie kann ich mit dem Evangelium in der Hand sagen, das ist falsch."

Aus ärztlicher Sicht gilt Homosexualität nicht als pathologisch. Entsprechend sieht heute das kirchliche Lehramt nur noch die homosexuelle Handlung als sündig an. Teresa Forcades findet das unlogisch. "Wenn die Orientierung nicht sündig ist, dann ist sie von Gott. Wie kann Gott mir ein Begehren geben, und dann sagt mir die Kirche, nein, Sie dürfen diesen Menschen nicht anrühren, umarmen und küssen. Das finde ich unmenschlich." Homosexualität ist eine Anfrage an das Menschenbild der Theologie, sagt Teresa Forcades. "Können wir uns eine Theologie leisten, die einige Menschen ausschließt? Zu sagen, Menschen sind Mann und Frau, scheint kein Problem. Aber es gibt Menschen, die nicht einfach als Mann oder Frau zu beschreiben sind. Also sollten wir keine theologische Anthropologie haben, die das macht. Das ist epistemische Gewalt, die dann nicht nur epistemisch bleibt, sondern strukturelle Unterdrückung, Ausschließungen und Leiden zur Folge hat. Daher ist das ein Thema der Befreiungstheologie."

Sich selbst verortet Teresa Forcades fest in der katholischen Kirche. "Ich halte die Präsenz der kirchlichen Stimme für soziale Gerechtigkeit sehr wichtig. Aber es gibt einen sehr starken Kontrast, wie schnell katholische Autoritäten reagieren in Sachen Abtreibung oder Homosexuellen-Ehe, da haben sie kein Problem, sich in die Politik einzumischen. Aber bei sozialer Gerechtigkeit schweigen sie." Vielleicht nehmen sich die Bischöfe ja ein Beispiel an Papst Franziskus, hofft Teresa Forcades.

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