"Fürsorge genauso wichtig wie Wirtschaft“

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Das Gespräch führte Eva Lugbauer

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Das Gespräch führte Eva Lugbauer

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Der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen alleine wird nicht viel nützen, um Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen, sagt der deutsche Familienforscher Hans Bertram.

Die Furche: Herr Professor Bertram, Sie plädieren für eine Aufwertung der Fürsorge. Wie soll das passieren?

Hans Bertram: Fürsorge und Ökonomie müssen ins Gleichgewicht kommen. Die Gesellschaft muss akzeptieren, dass Fürsorge genauso wichtig ist wie Wirtschaft, wobei Frauen nicht das Problem sind. Auch die Herren der Schöpfung müssen lernen, dass es außerhalb des Betriebs soziale Aktivitäten gibt.

Die Furche: Kann der Staat das lösen?

Bertram: Nein, vor allem Unternehmen sind gefragt, etwas zu verändern.

Die Furche: Wie könnten sich Familie und Beruf besser vereinbaren lassen?

Bertram: Im Moment ist der Arbeitgeber souverän und entscheidet, wann der Arbeitnehmer wo zu sein hat. Warum gibt man nicht ein Stück Zeitsouveränität in die Hände der Arbeitnehmer? Warum kann nicht eine Steuersachverwalterin sagen, ich mach abends, wenn die Kids im Bett sind, noch Steuerakten?

Die Furche: Wird der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen etwas nützen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Bertram: Nein. Ein zweijähriges Kind ist ja nicht nur sechs Stunden am Tag wach. Kinderbetreuung ist nur ein Baustein von vielen im System.

Die Furche: Eine aktuelle österreichische lässt den Schluss zu, dass jede zweite junge Frau zu Hause bliebe, wenn der Partner genug verdient. Finden Sie das bedenklich?

Bertram: Nein, überhaupt nicht. Das heißt ja nicht, dass sie ihr ganzes Leben zu Hause bleiben. Die Gesellschaft muss nur sicherstellen, dass ihr Können nicht verloren geht.

Wir haben zum Beispiel einmal mit einem Konzern gearbeitet, der Frauen bis zu neun Jahre freigestellt hat. Die einzige Bedingung war, dass sie auch während dieser Zeit Urlaubsvertretungen übernehmen und bei Fortbildungen mitmachen. Das Projekt hat wunderbar funktioniert.

Die Furche: Sie erinnern auch immer wieder daran, dass sich Lebensläufe anders organisieren ließen.

Bertram: Ja. In unserer Gesellschaft geht man immer davon aus, dass man zuerst lernt, dann arbeitet und dann pensioniert ist. Warum soll man nicht mit 35 eine neue Ausbildung beginnen? Nur unsere Einstellung spricht dagegen. Wieso kann man nicht im Alter von 30 bis 40 Teilzeit arbeiten und mit 40 trotzdem noch Karriere machen? Das ist in unserer Gesellschaft nicht möglich. Für diese Form der flexiblen Arbeitszeiten werden wir bestraft, spätestens in der Rente.

Die Furche: Werden wir die Probleme in 30 Jahren gelöst haben?

Bertram: Auf das Humankapital, das in jungen Frauen steckt, kann man auf Dauer nicht verzichten. Also muss man Lebensläufe möglich machen, wo sich die Vorstellungen von jungen Frauen verwirklichen lassen. Gesellschaften, die das lösen, werden ökonomisch erfolgreich sein. Die anderen werden hinten runterfallen.

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