Furchen ziehen zwischen SCHNITZEL UND MOND

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Eine Zeitung ist ein Medium der Reise in vielerlei Hinsicht. Von Gegenwart, die Geschichte wird und Träumen, die Zukunft werden.

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Eine Zeitung ist ein Medium der Reise in vielerlei Hinsicht. Von Gegenwart, die Geschichte wird und Träumen, die Zukunft werden.

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Mit dem Wegfahren und Herumkommen in der Welt ist es vermutlich heute noch so wie zu Gullivers Zeiten, als Jonathan Swift zur Erkenntnis kam, dass die Fantasie die beste Reiseveranstalterin ist. Sie leitet fantastische Exkursionen unserer Wünsche, Hoffnungen und Ängste. Sie entwirft in Sekunden neue Welten, technische Möglichkeiten und bessere Orte. Sie fliegt zum Mond, und wenn es sein muss, sogar zu den Sternen. Ohne Fantasie gibt es genau genommen überhaupt keinen Grund wirklich zu reisen.

Wie anders ist dagegen die reale, die historische Reise der menschlichen Zivilisation. Sie fällt beständig hinter ihre kühnen Vorstellungen zurück, muss sozusagen den eigenen Träumen hinterher jagen. Immerhin scheint diese Nacheile oft auch ausgezeichnete Erfolge zu bringen, wenn man etwa an die klassischen "Renner" des Fortschritts denkt, wie den Traum vom Fliegen, die Dampfmaschine und die Fortschritte in der Medizin.

Von Enterprise zum iPhone

Aber man muss es gar nicht so bombastisch angehen. Wenn man beim Reisen bleiben will, kann man schon mit einer platten Science-Fiction-Serie beginnen. Bei "Raumschiff Enterprise", das in den 1970er-Jahren die "unendlichen Weiten des Weltalls" durchquerte. Spock, McCoy und Captain Kirk unterhielten sich da mit Mobiltelefonen, sie skypten intergalaktisch, texteten per SMS. Damals war das futuristischer Zinnober. Und heute? Konfrontiert mit einem Pager von damals würde jeder Smartphonebesitzer lauthals auflachen und das klobige Design bemäkeln.

Aber was hat das alles mit der FURCHE zu tun? Viel mehr, als man glaubt. Denn dieses unscheinbare und für manche sogar staubige Blatt hat über 70 Jahre nicht nur die Realität abgebildet, sondern ist immer auch mit in die Zukunft gereist.

Unlängst etwa besuchten wir die dahinschmelzenden Gletscher, saßen bei Klimaforschern des Jahres 2121 zu Tisch und becherten Grünen Veltliner, um mit ihnen die Lösung der Klimakrise zu feiern. Ein paar Wochen davor verschafften wir uns fiktive Inselträume oder reisten mit Schiffen zund Abenteuern über Wasserstraßen der Zukunft, und wir schwammen sogar durch den Panamakanal.

Aber beginnen wir mit dem realen Reisen aus der Frühzeit der FURCHE. Damals regierte schonungsloser Realismus. Im Juli 1970 etwa war das Wetter in Österreich derart schlecht, dass die FURCHE die Sommerferien eigentlich schon vor ihrem Beginn übel gelaunt abschrieb: "Es ist merkwürdig in diesem Jahr. An Urlaub mag man eigentlich gar nicht denken. Das hängt natürlich mit dem andauernden schlechten Wetter in diesem Frühjahr zusammen - und mit der Befürchtung, auch der Sommer könnte teilweise verregnet sein, wofür gewisse pessimistische Wetterprophezeiungen deutlich Anlass geben.

Die Badeanzüge an den Plakaten empfindet man als Hohn und es scheint, dass man heuer kaum Sommerkleider und Shorts brauchen wird, von Sandalen ganz zu schweigen.

Wer Ende Mai ein langes Wochenende dazu benützt hat, um eine Spritztour an die Adria zu unternehmen, weiß von Kälte und Regen zu berichten."

Vom Schnitzel zur Internationalen Küche

Das blieb nicht lange so, Mitte der 70er war man wesentlich besser gestimmt und wusste gar, dass der Fortschritt des Reisens vor niemandem halt machte. Mehr noch - die FURCHE ortete so etwas wie eine österreichische Kulturrevolution: "Die Sommerfrische hat ausgedient", hieß es in dicken Lettern und darunter wurde die neue Kultur des Verreisens gepriesen: "Anstatt der endlosen Kolonnen gegen Süden zu kriechen und auf dem Heimweg die teuer erkauften Früchte der Erholung zunichte zu machen, wählt man den Charterflug. Das Angebot dieser Flüge reicht vom Trip an die Adria bis zu Flügen nach Osaka um den Preis von 29.000 Schilling.

Der Österreicher verlangt nicht mehr immer und überall Wiener Hausmannskost und genießt statt dem Schnitzel die regionalen Spezialitäten."

So öffnen sich Horizonte. Auch politisch. Plötzlich wurde auch von der Reiselust der politisch anderen kommunistischen Seite berichtet. Wie halten es die Ostdeutschen mit dem Reisen? 1970 wird die "Urlaubssaison in der DDR", besprochen. Ulrich Rühmland berichtet: "Der Hang zur Ferne hat sich bei den Deutschen zwischen Elbe und Oder in den letzten Jahren ständig verstärkt. Aber 1970 stehen dem Bewohner Mittleldeutschlands nur 194.000 Ferienplätze im sozialistischen Ausland zur Verfügung.

Schließlich haben die Einwohner Mitteldeutschlands noch die Möglichkeit, zu zelten. Allerdings sind die Zeltplätze beschränkt. An der Ostseeküste muss man mindestens ein halbes Jahr vor dem Reisetermin einen Antrag an den VEB, Zeltplatzvermittlung in Stralsund, richten. Wer einen Zeltplatz zugewiesen erhält, darf dann aber als Urlauber nicht einfach die Zelte abbrechen und zu einem anderen Campingplatz weiterziehen. Der Urlaubsund Ausflugsverkehr stellt die Behörden der DDR noch immer vor schwierige Probleme."

Mitträumen im Weltraum

Doch weil wir oben von den wirklich großen Träumen gesprochen haben, und diese sechs Seiten über das Reisen mit einer Reise zum Mars enden werden: Die FURCHE zeigte da große Lernfähigkeit. Noch im April 1968 stellte ein deutscher Professor der Weltallkunde, J. Hopmann, die Frage: "Gibt es Weltraumreisen?" und antwortete selbst: "Bemannte Fahrten zum Mond sind nach allem, was wir wissen, eine Unmenschlichkeit. Unter diesen Umständen ist es verständlich, dass von dem amerikanischen Apolloprojekt, wenn überhaupt, dann nur ganz am Rande von Kongressen gesprochen wurde. Jedenfalls sind die Jahre des Sonnenfleckenmaximums 1969 bis 1971 für eine Mondreise denkbar ungeeignet."

Soviel zur Weltallkunde. Im Juli 1969 adelte die FURCHE die erfolgte Mondlandung von Apollo 11 als das "Größte Abenteuer der Menschheit". Aber es wäre nicht diese Zeitung gewesen, wenn man nicht auch dieses Ereignis mit moralischem Unterfutter begleitet hätte: "Die Weltraumfahrt, wie fast alles technische Tun des Menschen, ist sittlich neutral. Es dürften keine theologischen oder moralischen Bedenken bestehen, dass sich der Mensch in den Weltraum hinauswagt." Daran hat sich nun nichts geändert. Mit etwas Glück und Überlebenskunst wird diese Zeitung nämlich auch noch mit zum Mars fliegen. Und dann stimmt sicher noch, was 1969 wahr war: "Wir sollten den Sog der Leere nicht unterschätzen."

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