Gefährliche Seilschaften

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Aus den Mechanismen einer kranken Finanzwirtschaft wachsen die Strategien der postfaktischen Politiker. Ein Plädoyer gegen die Illusionen der Anti-Globalisierung.

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Aus den Mechanismen einer kranken Finanzwirtschaft wachsen die Strategien der postfaktischen Politiker. Ein Plädoyer gegen die Illusionen der Anti-Globalisierung.

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Ein guter Teil der aufgeklärten Menschheit hat die vergangenen Jahre damit verbracht, die Globalisierung zu feiern oder zu kritisieren. Von den ungeheuren Reichtümern und Chancen schwärmten die einen, von den Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten die anderen. Nun hat - wie auf Kommando -eine Spezies volkstribunaler Politiker die Argumente gekapert, verdreht und sie zu einer politischen Waffe gemacht. Ihr Motto: Die Benachteiligten sind nicht mehr die armen anderen, sondern wir selbst. Und Ungleichheit ist toll, solange wir die Reichen bleiben.

Überrascht konstatieren wir nun gespaltene Gesellschaften, die sich über Zäune und Mauern definieren, welche den Populisten als Aufstiegshilfen dienen. Wir bangen um die demokratischen Verfassungen und schreiben gegen das Postfaktische an und seine Proponenten. Und dieses Postfaktische ist tatsächlich ein abgefeimter Gegner: Wenn man dem Politik-Philosophen Gary S. Schaal glauben darf, wecken die neuen Politiker bei den Wählern Gefühle, die nicht mehr in einer realen politischen Situation verankert sind. Sie gründen ihre Forderungen vielmehr auf Stimmungen, die sie selbst erzeugen und die vielfach mit Angst zu tun haben. Es muss also nichts mehr wahr sein. Weder Zuseherzahlen bei Inaugurationen, noch die Abhöraktionen Barack Obamas oder verlautbarte Terrorattentate in Schweden. Trotzdem passen sie alle in ein Bild der Gefahr und der Verrottung. Und dieses Bild wird geglaubt -unabhängig vom Inhalt.

Die neoliberal-postfaktische Freundschaft

Aber diese Entwicklung kommt nur scheinbar aus dem Nichts oder gar aus einer persönlichen Eigenschaft dieser einzelnen Politiker, heißen sie nun Trump, Erdogan oder Le Pen. Sie sind vielmehr die Folge und das politische Spiegelbild jenes ökonomischen Systems, das uns 2008 in die Finanzkrise geführt hat.

Denn das gewöhnlich als neoliberal bezeichnete System gehorcht den gleichen Mechanismen. Es gründet sein Versprechen des Reichtums auf die irrationale Erwartung, dass auf rationalen Märkten der Aufschwung kein Ende nehmen wird. Und egal, wie katastrophal das Ende 2008 aussah, vom Erfolg dieser Methode haben Politiker wie Donald Trump gelernt. Ihr Kapital ist die irreale Vision einer selbstbewussten, stolzen Nation, die sich durch einfache Gesetze herstellen ließe. Beide Illusionen gründen auf einfachsten Annahmen für eine komplexe Welt. Und beide sind vollkommen untauglich für die Wirklichkeit.

Der Niederschlag des Irrealen

Weil das so ist, schlagen beide Fiktionen trotz ihres irrealen Charakters mit einer unglaublichen Wucht auf Gesellschaft und Demokratie zurück. Die Wirtschaft wird von Krisen gequält und das Staatswesen von Gesetzen, die dem Wahn ihrer Erzeuger gehorchen.

Da nun beide Strategien eine Seilschaft bilden können, könnte man zu dem polemischen Schluss kommen: Die soziale Marktwirtschaft ist Opfer einer fiktionalen Denkart und Praxis geworden. Genauso wird nun auch die Demokratie ein Opfer einer fiktionalen Strategie und Praxis. Das Perfide daran ist, dass die angeblichen Visionäre uns vorgaukeln, sie selber seien Rationalisten mit starker Erdung im Hier und Jetzt. Das tut die neoliberale Ökonomie genauso wie der postfaktische Politiker. In Wirklichkeit haben wir es bei beiden mit Echokammern zu tun, die beständig Zirkelschlüsse produzieren: "Ich lege fest, was wahr ist, weil ich immer die Wahrheit spreche."

Ökonomisch hat das eine Krise gebracht, die eine Umverteilung des Reichtums vom Gemeinwesen Richtung Finanzindustrie brachte. Politisch bringt es nun eine Umverteilung der Macht vom Volk weg. Was tun? Vielleicht gibt es ja eine kollektive Erhellung und eine Rückkehr in eine Welt der Globalisierung, die oft auch Chaos, Ungerechtigkeit, Unsicherheit brachte. Aber sie war zumindest wirklich -und damit veränderbar.

oliver.tanzer@furche.at

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