Screenshot Taxi Driver - <strong>„You talkin’ ­to me?“</strong><br />
In seinem Meisterwerk „Taxi Driver“ gelang Martin Scorsese die fast schon chirurgisch-präzise Sezierung „fragiler Männlichkeit“. Der jungeRobert De Niro verkörpert darin einen New Yorker Taxifahrer, dessen kompensatorische Größenfantasien in einem Amoklauf enden. - © Getty Images / Silver Screen Collection

Tabu Emotion und "toxische Männlichkeit": Wenn Verdrängung zur Gefahr wird

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Taucht die „toxische Männlichkeit“ in einer Debatte auf, brennt die Hütte. Was aber, wenn der Begriff gar kein Angriff auf Männer ist – sondern ihnen sogar nützt? Eine Analyse.

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Taucht die „toxische Männlichkeit“ in einer Debatte auf, brennt die Hütte. Was aber, wenn der Begriff gar kein Angriff auf Männer ist – sondern ihnen sogar nützt? Eine Analyse.

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Es gibt da diesen Begriff, wenn der in einer Debatte fällt, dann ist Feuer am Dach. Genau genommen ist er einer von vielen, der die Wogen auf Facebook, Twitter oder in Foren-Kommentaren hochgehen lässt. Doch nur bei wenigen dieser „Code Red“-Begriffe, dieser emotionalen Trigger-Keywords, brennt die digitale Hütte verlässlich so lichterloh, wie bei diesem einen mit dem ganz und gar ungeheuerlichen Anklang, ja mit einer pauschalen Unterstellung, verpackt in ein Hashtag-taugliches Schlagwort: „toxische Männlichkeit“. Dass die Wogen hochgehen, ist nicht überraschend. Beinhaltet die Phrase von der toxischen Maskulinität doch scheinbar gleich mehrere Anwürfe: Männer sind gefährlich. Männer sind ­Problembären, ein bisschen wie giftige Tiere. Und viele lesen da vor allem heraus: Männer sind böse.

Was aber, wenn der Begriff gar kein persönlicher Angriff, sondern einfach plakativ formuliertes Ergebnis einer Analyse ist? Was, wenn es Männern gar nicht schadet, sondern vielleicht sogar nützt, dass es ihn gibt? Was, wenn die Idee, die hinter dem Ausdruck steckt, nicht nur jungen Feministinnen, die ihn in Netz-Debatten besonders gerne verwenden, sondern auch den Männern selbst Erleichterung bringen kann?

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„Die Abwehrreaktionen gegen den Begriff der toxischen Männlichkeit beruhen oft auf einem Missverständnis“, sagt Björn Süfke im Gespräch mit der FURCHE. Süfke ist Psychologe und Autor mehrerer Sachbücher zum Thema. Männer müssten sich durch den Begriff keineswegs angegriffen fühlen – ganz im Gegenteil: „Der Begriff heißt toxische Männlichkeit, nicht toxischer Mann.“ Es gehe also nicht um „den Mann“ an sich, sondern um ein Konzept von Männlichkeit, um eine Konstruktion des „Mann-Seins“, die das Potenzial habe, nicht nur anderen, sondern auch den Männern selbst zu schaden.

Wer sich mit der „toxischen Männlichkeit“ auseinandersetzen will, muss also zunächst einmal ein gutes Stück zurückgehen. Zu Fragen über Geschlechterunterschiede, Rollenbilder und Sozialisation. Und zu Konstanten in diesen Bereichen. Dazu gehört, dass Frauen im Schnitt mehr und häufiger über ihre Emotionen sprechen und sich aktiver mit ihnen auseinandersetzen. Während Männer eher dazu neigen, gerade so genannte „schwache“ Emotionen wie Angst, Trauer oder Hilflosigkeit zu verdrängen – und innere Abwehrmechanismen dagegen zu entwickeln.

Wie Umgehen mit Emotionen wie Angst und Trauer? Die Antwort lautet in Männer- häufiger als in Frauenbiografien: Kompensation.

Warum aber ist das so? „Männer bekommen den Umgang mit Gefühlen fast abtrainiert“, sagt Süfke. Auch wenn diese Tendenz heute natürlich nicht mehr so ausgeprägt sei wie etwa vor 60 Jahren. Bevor vor allem die Frauenbewegung dazu beitrug, sowohl weibliche als auch männliche Rollenbilder zu hinterfragen. Die Ursachen dieses Geschlechter-Ungleichgewichts liegen also zu großen Teilen in Sozialisation und Übernahme von Rollenbildern: Wo über Jahrhunderte der Mann in erster Linie als Versorger auftrat und die Frau als Betreuerin der Kinder, wurden bei Männern über Generationen hinweg vor allem „harte“ soziale Kompetenzen wie Durchsetzungsfähigkeit und Wettbewerbsdenken gefördert, bei Frauen dagegen „weiche“ wie Empathie und soziale Fürsorge. In klassischen männlichen Rollenbildern galten und gelten zudem „schwache“ Gefühle wie Angst oder (emotionale) Verletzlichkeit als Tabuzonen – dokumentiert nicht zuletzt in Redensarten wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, „Männer weinen nicht“ oder „Ein echter Mann hat keine Angst“.

Weil diese Gefühle aber für alle Menschen alltägliche Begleiter sind, entstand ein heikles Dilemma: Wie umgehen mit Emotionen wie Angst und Trauer, die zwar das (Wohl-)Befinden merklich beeinträchtigen, aber oft so verdrängt sind, dass sie gar nicht als die eigentliche Emotion wahrnehmbar werden – sondern nur als starkes Unwohlsein oder dumpfe innere Leere? Die Antwort lautet in Männer- häufiger als in Frauenbiografien: Kompensation.

"You talkin' to me?"

Deshalb sind Männer etwa anfälliger für viele Suchterkrankungen, werden ungleich öfter körperlich gewalttätig, ruinieren sich ihre Gesundheit häufiger durch übermäßige Arbeit und sterben früher als Frauen. Selbst bei terroristischen Anschlägen und Amokläufen – beide weitgehend männlich dominiert – steht das Scheitern am männlichen Selbstbild oft im Hintergrund einer Ereigniskette.

Kultregisseur Martin Scorsese lieferte in seinem Meisterwerk „Taxi Driver“ eine fast schon chirurgisch-präzise Auseinandersetzung mit der „fragilen Männlichkeit“: Taxifahrer Travis Bickle, glänzend verkörpert vom jungen Robert De Niro, lebt ein frustrierendes Leben zwischen nächtlichen Autofahrten und Pornokinobesuchen, bis er seine kompensatorischen Größenfantasien in einen Amoklauf im Stundenhotel münden lässt. Unvergessen die ikonische Szene, in der De Niro, nunmehr muskulär gestählt von täglichen Kraftübungen und mit militärgrünem Parka, vor dem Spiegel steht und sich eine Begegnung herbeifantasiert. „You talkin’ to me?“, ruft er dabei seinem imaginärem Widersacher zu, „Redest du mit mir?“ Und richtet dabei seine Schusswaffe auf das Phantom. Männliches Kompensationsverhalten, festgehalten in sich einbrennenden cineastischen Bildern.

Dass männliche Kompensationsstrategien nicht nur zu fremd-, sondern auch zu selbstschädigendem Verhalten führen können, zeigen nicht nur die deutlich höheren männlichen Alkoholikerraten (fast drei Viertel der Alkoholkranken sind Männer), sondern auch die Suizidraten, die bei Männern um ein Vielfaches höher liegen als bei Frauen. In den beiden vergangenen Jahren etwa töteten sich in Österreich jeweils fast viermal so viele Männer wie Frauen. „Im Extremfall bringt einen das Konzept traditioneller Männlichkeit um“, sagt der Psychologe Süfke.

„Weichei, nicht Kriegsreporter“

Einer, der weiß, was es heißt, Suizidgedanken zu haben, heißt Holger Senzel und sitzt zum Zeitpunkt des Gesprächs mit der FURCHE gerade in seiner Korrespondentenwohnung, draußen drücken 30 Grad und eine Luftfeuchtigkeit jenseits der 80 Prozent, drinnen hört man ab und zu seinen Sohn rufen. Senzel ist gemeinsam mit seiner Frau Lena Bodewein ARD-Korrespondent für Südostasien. Seit 2016 teilt sich das Ehepaar die Stelle am Standort Singapur – und die Betreuungsaufgaben für den gemeinsamen Sohn.

Fünf Jahre zuvor, im Jahr 2011, hat Senzel ein Buch geschrieben, das nicht nur in der deutschen Medienbranche für viel Aufsehen sorgte. „Arschtritt“ heißt es, Untertitel: „Mein Weg aus der Depression zurück ins Leben.“ Und im dritten Kapitel schildert der einstige Kriegsreporter eine eindringliche Szene: „Als ich mir an diesem sonnigen Mai-Nachmittag den Lauf meines Jagdgewehres in den Mund steckte, fühlte ich mich erstmals seit Monaten wieder heiter und gelöst.“ Lange hielt die Erleichterung indes nicht an. Und Senzel erschoss sich nicht, sondern rief stattdessen eine Psychologin an, die er von früher kannte. Er begann eine Therapie, bekam Antidepressiva – und erholte sich wieder.

Aber wie war es damals so weit gekommen? „Ich war in einem desaströsen Zustand“, sagt Senzel. „Aber daran, dass ich eine Depression haben könnte, habe ich gar nicht gedacht. Depressionen waren etwas für Weicheier, nicht für Kriegsreporter.“ Nach Erscheinen des Buches seien viele Kollegen auf ihn zugekommen. „Die sagten: Ich hatte auch einmal eine Depression. Leute, von denen ich immer dachte, sie haben ein perfektes Leben, da funktioniert alles.“ Mit dem Begriff „toxische Männlichkeit“ kann Senzel indessen nicht allzu viel anfangen. „Ich glaube nicht, dass Männlichkeit an sich schlecht ist – obwohl Männer sicher mehr zur Aggression neigen.“ Die Debatte sei zu stark beherrscht von Geschlechter-Stereotypen, findet Senzel.

Verfolgt man die emotionalen Debatten rund um die „toxische Männlichkeit“ im Netz, gewinnt man häufig den Eindruck, dass sie – auch befeuert von den temporeichen Dynamiken sozialer Medien – wieder verstärkt als „Geschlechterkampf“ ausgetragen werden. Dahinter stecke die Idee, dass das Geschlechterverhältnis eine „Win-Lose-Situation“ sei, sagt Männerberater Süfke: Was gut für Frauen sei, sei schlecht für Männer, was gut für Männer sei, schlecht für Frauen. „Das mag etwa auf der Ebene von Projektfinanzierungen ja noch mitunter stimmen“, sagt der Psychologe. „Aber übertragen Sie diese Vorstellung doch mal auf eine Partnerschaft zwischen einem Mann und einer Frau: Was für einen Mann in einer Beziehung gut ist, ist immer schlecht für seine Partnerin und andersrum? Ein absurder Gedanke.“

Über die Idee eines Geschlechterkampfes gerät in den Hintergrund, dass das Hinterfragen von Rollenbildern und Geschlechter-Stereotypen nicht nur mehr Möglichkeiten und Rechte für Frauen bringen kann – sondern auch Männer zu den Profiteuren zählen können. Etwa weil ein geändertes Rollenverständnis auch Druck von ihnen nehmen kann – mit positiven Effekten auf die Gesundheit. „Es gibt“, sagt Süfke, „im Leben wie in unserer Gesellschaft eben auch Lose-Lose- und Win-Win-Situationen.“

Hilfe im Krisenfall

  • Psychiatrische Soforthilfe, 0–24 Uhr:
    01/31 330
  • Telefonseelsorge, 0–24 Uhr:
    142
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