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Seine Bücher erzählen vom Jungsein in der Slowakei, seine Artikel beleuchten gesellschaftliche Entwicklungen. In Bratislava teilt Michael Hrovecky seine Beobachtungen mit der FURCHE.

Als der Eiserne Vorhang fiel, war Michal Hrovecky 13 Jahre alt. Heute ist er 35 und der zurzeit erfolgreichste Autor der Slowakei. Am Donauunfer erzählt er, warum er Protest unterstützt und was seine Generation von der nachkommenden unterscheidet.

Die Furche: In Ihrem letzen Roman "Tod auf der Donau“ ist Ihre Hauptfigur, Martin Roy, ein literarischer Übersetzer. Weil das Übersetzen zum Leben nicht reichte, heuert er als Reiseleiter auf einem Kreuzfahrtschiff an. Das Schicksal teilen viele junge Slowaken, und auch Sie haben zwei Jahre auf einem Donauschiff gearbeitet. Was verbinden Sie mit dieser Zeit?

Michal Hvorecky: Sehr harte Arbeit. Ich habe immer nebenbei gejobbt, aber die Arbeit auf dem Schiff war eine Stufe höher. Diese Art von Kapitalismus erinnerte mich an das 19. Jahrhundert. An Bord war eine Mischung von osteuropäischen Nationen, viele davon sehr gut ausgebildet. Ein Ungar hat in der Nacht tatsächlich literarische Übersetzungen gemacht. Ich bin echt froh, dass ich diesen Job nicht mehr machen muss, aber man weiß nie. Wenn es mal wieder schwierig wird mit dem Geld… Ich spüre schon eine gewisse Unsicherheit in meinem Leben.

Die Furche: Wie reagieren junge Erwachsene auf diese Unsicherheit?

Hrovecky: Die Krise hat die Slowakei überraschend und stark getroffen. Sie kam genau am Ende einer Phase der schnellen und guten Entwicklung. Der Bruch bleibt bis heute. Man fragt sich: Haben wir morgen noch unseren Job? Kommen noch Investoren, oder ist jetzt Schluss? Von dieser schwierigen Situation ist vor allem die junge Generation betroffen. Leider empfinde ich sie als sehr unpolitisch. Wenn ich in Gymnasien Lesungen halte, höre ich oft: "Politik ist das Langweiligste, was es gibt.“ Die Jungen wollen vor allem Unterhaltung. Das ist ein großer Unterschied zu meiner Generation.

Die Furche: Sie sind etwa so alt wie Ihr Protagonist Martin Roy, der sich in Ihrem Buch klar von der nachkommenden Generation distanziert. Worin unterscheiden Sie, der 1976 geboren ist, sich von jemandem, der 13 Jahre jünger ist?

Hrovecky: Das sind verschiedene Welten. Ich habe noch sehr konkrete Erinnerungen an das Regime vor der Wende. Teenager von heute bekommen nur mehr eine vermittelte Erfahrung. In meiner Kindheit war Politik allgegenwärtig. Wir haben jeden Tag mit meinen Eltern darüber gesprochen, man musste ein Doppelleben führen und wusste, dass man in der Schule etwas anderes sagen muss, als zu Hause. Auch wenn ich oft empört bin, über Dinge, die in der Politik oder der Kulturszene passieren, denke ich mir oft: Es ist jetzt viel besser als früher. Ich versuche mich selbst davon zu überzeugen, dass die heutige Situation in der Slowakei die beste ist, die wir in der Geschichte der Region haben. Die junge Generation könnte eigentlich sehr glücklich und zufrieden sein. Die EU, den Euro, die Meinungsfreiheit halten sie für selbstverständlich. Aber öffentliche Themen werden von ihnen nicht besonders stark in Anspruch genommen.

Die Furche: Trotzdem gab es im Winter diesen Jahres in der Slowakei die größten Proteste seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Unter den Demonstranten waren sehr viele junge Menschen.

Hrovecky: Darüber war ich sehr überrascht, das war etwas, womit keiner gerechnet hat. Wenn jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass 15.000 Menschen auf dem Hauptplatz stehen werden, hätte man ihn für verrückt erklärt. Über Blogs und soziale Netzwerke konnten sich die Jungen sehr schnell organisieren. Weil die Proteste von den etablierten Medien am Anfang verhöhnt wurden, sind immer mehr Menschen auf die Straße gegangen. Auch ich habe einen Text geschrieben und angekündigt, dass ich zur nächsten Demonstration komme. Darauf haben wieder andere Menschen reagiert, die sich normalerweise nicht für so etwas interessieren. Dann waren nicht mehr nur Studenten und Teenager bei den Demos, sondern auch Literaten, Politikwissenschafter und Leute aus der Kultuszene. Leider ist die Bewegung schlussendlich daran gescheitert, dass es keine klare, einheitliche Idee gab, wie die unterschiedlichen Meinungen der heterogenen Gruppe an Demonstranten für längere Zeit vereinigt werden könnten.

Die Furche: Sie haben damals geschrieben: "Die slowakische Zivilgesellschaft scheint aus dem Dornröschenschlaf erwacht zu sein.“ Ist sie wieder eingeschlafen?

Hrovecky: Wahrscheinlich. Aber es ist zu früh zu beurteilen, ob sich die ganz Jungen weiterhin für Politik interessieren werden. Es gibt eine Gruppe von jungen Menschen, die sich "Generation 89“ nennt, die in unterschiedlichen Bereichen aktiv ist. In sie lege ich die Hoffnung, dass man doch etwas unternehmen wird. An den Protesten im Winter war das Timing schlecht: Jetzt gibt es eine neue Regierung und es scheint, als wäre das Spiel vorbei. Aber ich glaube, bald wird es neue Gründe zum Protest geben. Es wird etwas geben, wofür es sich für die Jungen lohnt, zu kämpfen.

Die Furche: Was könnte dieser Anlass zum Engagement oder sogar zum Protest sein?

Hrovecky: Dem jetztigen Premierminister Robert Fico ist es bis jetzt gelungen, sich als Saubermann hinzustellen. Für mich ist das nur Fassade, hinter der sich eine Regierung verbirgt, die schon schlecht gestartet ist: In zwei wesentlichen Punkten, dem Gesundheitswesen und der Ausbildung, fährt sie einen ganz falschen Kurs. Ich glaube, Ausbildung ist das Einzige, was dieses Land retten kann.

Die Furche: Wenn man sich die Zahlen anschaut, ist die junge Generation in der Slowakei aber sehr gut ausgebildet.

Hrovecky: Alle haben einen Uni-Abschluss, die Frage ist nur: Was für einen? Wir haben in diesem kleinen Land 30 Universitäten. Bei uns meint man, einen Master oder PhD haben zu müssen, damit man eine Zukunft hat. Das ist absurd.

Die Furche: Sind die Jungen Streber?

Hrovecky: Nein, es geht ja nicht darum, was man lernt, sondern nur darum, dass man ein Diplom hat. Es herrscht ein Kampf um Titel. Aber das Land braucht nicht so viele Soziologen, Politologen und leider auch nicht so viele Film- und Theaterwissenschafter. 24 Jahre nach der Wende hat immer noch keiner den Mut, unser Schulsystem wirklich radikal zu reformieren. In andern Bereichen, bei den Steuern etwa, wurde das getan. Aber der Bildungs- und auch der Kulturbereich funktionieren noch genau so schlecht wie vor der Wende.

Die Furche: Sie haben einen zweijährigen Sohn. In was für einer Gesellschaft wird er aufwachsen?

Hrovecky: Ich fürchte, in einer sehr konsumorientierten. Wir leben immer noch in einer ersten Phase der Begeisterung für Konsum, die kein Ende nimmt. Das wird sich, glaube ich, noch verstärken.

Tod auf der Donau

Roman von Michal Hvorecky,

Tropen bei Klett-Cotta

271 S., geb., € 20,60

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