Gegengewicht zur Globalisierung

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Es genügt nicht, über die Globalisierung und die wachsende Arbeitslosigkeit zu klagen. Gefordert sind vielfältige Initiativen zur Förderung der kleinen Einheiten. Dazu einige Anregungen.

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Es genügt nicht, über die Globalisierung und die wachsende Arbeitslosigkeit zu klagen. Gefordert sind vielfältige Initiativen zur Förderung der kleinen Einheiten. Dazu einige Anregungen.

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Es ist in der Tat nicht leicht, sich angesichts der aktuellen Lage auf wesentlichen Teilen der Arbeitsmärkte unserer mittel- und westeuropäischen Volkswirtschaften einer gewissen Dämonisierung des Kapitalismus zu enthalten. Jede Betriebsabwanderung in ein Billiglohnland beschwört unter den Betroffenen die Fratze rücksichtsloser Gewinnmaximierer, die smart über ökonomische Leichen marschieren, und eine neuere Umfrage (1996) unter der wirtschaftlich überdurchschnittlich gut informierten, traditionellerweise unternehmens- und kapitalfreundlichen Schweizer Bevölkerung ergab ein vernichtendes Urteil über die einheimische Unternehmerschaft.

Dabei ist grundsätzlich mit dem seltsamen Vorurteil aufzuräumen, es gebe insgesamt zu wenig Arbeit, den Menschen der "postindustriellen" Gesellschaft drohe demnach die Arbeit auszugehen, sodaß bei bestem Willen nicht alle sinnvoll beschäftigt werden können.

Eine solche Vorstellung kann nur entwickeln, wessen Arbeitsbegriff einseitig auf die industrielle Sachgütererzeugung für den Massenkonsum fixiert ist - ein Bereich, in welchem uns im Westen tatsächlich die Arbeit auszugehen droht.

Umso wichtiger wird es, jenen riesengroßen, in mancher Beziehung sogar wachsenden Bereich ins Auge zu fassen, wo gerade infolge der einseitigen Ausrichtung des Arbeitsinteresses auf verhältnismäßig hochbezahlte Industriearbeit (unsere "Verstaatlichte" lieferte hiefür ein herausragendes Beispiel!) seit Jahrzehnten erhebliche Vernachlässigungen um sich gegriffen haben, Vernachlässigungen, die - wenn überhaupt - nur in sehr unzulänglicher Weise sowie meist mit ausländischen (!) Arbeitskräften kompensiert worden sind.

In diesen weiten Bereich gehört paradoxerweise ein Großteil jener Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten, die im Gegensatz zur Warenproduktion durch ihre Bindung an Orte, Anlässe und Personen nicht exportierbar sind, daher ein hohes Maß an Sicherheit aufweisen und sich insofern bevorzugt als Ansatzpunkte einer gegensteuernden (kompensatorischen) Arbeitsmarktpolitik anbieten. Wir kommen auf diesen wichtigen Gesichtspunkt noch zu sprechen.

In groben Umrissen läßt sich dieser vernachlässigte Bereich etwa folgendermaßen skizzieren: * Sozialpflegerische Aufgabenbereiche (Hilfen für Haushalte, Kinder, Alte, Kranke, Behinderte u.a.), * ausbildnerische Aufgabenbereiche (die über den Schuldienst weit hinausgehen, insbesondere auch die innerbetriebliche praktische Ausbildung betreffen), * landespflegerische Aufgabenbereiche (Pflege, Sicherung, Sanierung von Böden, Landschaftsräumen, Wäldern, Ökosystemen, Wasserreserven und anderen natürlichen Ressourcen), * Aufgaben aus dem Bereich der Ressourcenschonung (Energieeinsparung, Einsatz umweltfreundlicher Alternativenergien ...), und schließlich * kulturpflegerische Aufgaben (Stadt- und Dorferneuerung, Denkmalpflege).

Die aktive Selbstgestaltung fördern Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Allen diesen Aufgabenbereichen ist gemeinsam, daß sie arbeitsintensiv sind und relativ geringe Kapitalkosten verursachen, also der weitaus größte Teil des Gesamtaufwandes als Arbeitslohn anfällt.

Absurderweise, indessen durchaus der Logik unseres vielfach verzerrten Wirtschaftssystems entsprechend, war und ist dies der Hauptgrund für die erwähnte Vernachlässigung dieser arbeitsträchtigen Bereiche: Wir können die Dynamik der Globalisierung, die ja in sich ein überaus komplexes Phänomen darstellt, weder aufhalten noch für unsere kleinstaatlichen Bedürfnisse wesentlich beeinflussen. Umso notwendiger sind kompensatorische Gegengewichte, ist die Erhaltung und Entwicklung von gegenläufigen Trends, die die Menschen gerade dort abholen, wo sie stehen, sie auf die weiterhin durchaus bestehenden Möglichkeiten aktiver Selbstgestaltung hinweisen, ihnen einen tragfähigen Rückhalt geben und dadurch Mut machen, sich ungewohnten Herausforderungen zu stellen, indem sie lokale, erneuerungsfähige Ressourcen verwendet und vielerlei Ansätze für eine Kreislaufwirtschaft bietet.

Erwerbslosigkeit am Land leichter bewältigt In der uns hier in erster Linie interessierenden Sicht des Schaffens von sinnvollen und dauerhaften Erwerbsmöglichkeiten geht es bei allem dem stets wieder um das Dabehalten oder Zurückgewinnen von Aktivitäten, die im Zuge einer immer weitergetriebenen Arbeitsteilung längst ausgegliedert worden, vielleicht sogar an das Ausland verloren gegangen sind (etwa unsere Energieversorgung!) oder in der Faszination einer falschverstandenen Auslagerung davon bedroht sind.

Die Antwort auf das Zumachen des Greißlers sollte beispielsweise nicht (nur) in der benzinfressenden, Kaufkraft aus der Region hinaustragenden Fahrt zum nächsten Supermarkt bestehen, sondern in einer Aktivierung der Potentiale der regionalen Landwirtschaftsbetriebe - sofern es sie hoffentlich noch gibt.

Damit ist die wiederzuentdeckende Bedeutung eines nach Aussage der agrarwirtschaftlichen Globalisierer zur Konzentration auf einige wenige Gunstlagen verurteilten Bauerntums für eine auf endogene Potentiale aufbauende ökologische Regionalentwicklung mit möglichst vielen Kreislaufelementen angesprochen: In allen oben aufgelisteten Möglichkeiten dezentral gesteuerter Regionalentwicklung stecken wesentliche Beschäftigungspotentiale sowohl für die bäuerliche Bevölkerung als auch für sämtliche Bewohner der ländlichen Region; freilich oft nicht in Gestalt von Vollzeit-Arbeitsplätzen, sondern als teilzeitliche Erwerbselemente im Rahmen vielfältig kombinierter Einkommensstrukturen: Die Bereitschaft und Fähigkeit zur Erwerbs- und Einkommenskombination durch Nischenstrategien ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Realisierbarkeit kleinräumiger Lösungen.

Ländliche Menschen verfügen insgesamt über mehr subjektive und objektive Potentiale, Erwerbslosigkeitsphasen zu überbrücken, als dies in der Stadt der Fall ist: Die Fähigkeit, sich auf Grund der Dringlichkeit der Lage einschränken zu können und Selbstgenügsamkeit zu leben; der Rückgriff auf zahlreiche Fertigkeiten und Fähigkeiten unterschiedlicher Art, ob als Handwerker, Gärtner, Händler oder mit formell und informell erworbenen Elementarqualifikationen, die einen für zahlreiche Zusatzarbeiten prädestinieren.

Sogar in diesem Bereich bestehen durchaus vernünftige Chancen, teilzeitliche Arbeitsplätze zu schaffen: Wenn nämlich die Alternative nicht lautet, Post- oder Busdienst mit teuren, vollamtlichen Bediensteten oder völlige Auflassung solcher Dienste, sondern diese im Nebenerwerb bedarfsbezogen weitergeführt werden; ähnliche Teilzeitlösungen sind im Bereich der Bankdienstleistungen denkbar. Übrigens werden derartige Lösungen in der Schweiz, in Skandinavien und Nordamerika längst praktiziert. In dieser Richtung könnte man sich gewiß noch mancherlei einfallen lassen.

Hiezu muß man allerdings die vielfältigen Möglichkeiten zur Stärkung regionaler Autonomie in Summe als bedeutenden Problemlösungsbeitrag erkennen, sie daher wirklich ernsthaft wollen und entsprechend zielbewußter fördern. Gerade dies scheint der großstädtischen Schlagseite ("urban bias") unserer heutigen Politik schwerzufallen. Wie lehrt man die Verantwortlichen regionales Denken?

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesanstalt für Agrarwissenschaft in Wien.

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