Gehirnknopf und Zauberpunkt

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Körperübungen aus der Kinesiologie sollen das gesundheitliche Wohlbefinden unterstützen. Kritiker dagegen zweifeln an ihrer Wirksamkeit.

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Körperübungen aus der Kinesiologie sollen das gesundheitliche Wohlbefinden unterstützen. Kritiker dagegen zweifeln an ihrer Wirksamkeit.

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Alternative Methoden verheißen viel: Da rubbeln Kinder an so genannten "Gehirnknöpfen" - kinesiologischen Körperpunkten an Nabel und Schlüsselbein - und das Lernen soll ihnen bei regelmäßigem Üben leichter fallen. Da massieren sie den "Zauberpunkt" auf der Innenseite des rechten Handgelenks und erwarten körperliche Stärkung. Ermöglichen Methoden des New Age ein leichteres Leben? Das Leben von Susanne Hirsch und ihrer Familie aus Kalksburg hat die Kinesiologie jedenfalls maßgeblich verändert. Zuerst wandte Hirsch die Übungen für sich selbst an, später im Lernbereich mit ihren Töchtern Petra, 10, und Andrea, 12. Nach Bedarf nahmen sie Sitzungen bei der Kinesiologin Do-Ri Amtmann in Baden in Anspruch. Zeitweise wurde täglich ein bis zwei Mal je sieben bis zehn Minuten lang geübt. Die Schulnoten ihrer Kinder verbesserten sich daraufhin drastisch. "Die Kinesiolgie setzt bei Legasthenie ein, hört jedoch dort nicht auf", erzählt Hirsch. "Meine Kinder haben dadurch gelernt, offener und sensibler zu sein, etwa im Umgang mit ihren Schulkollegen."

Was ist nun Kinesiologie? Sie ist die Wissenschaft von der Bewegung und entstand in den USA aus den Erkenntnissen der modernen westlichen Medizin, der Neurologie und der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Kinesiologie befasst sich mit den Bewegungsabläufen im Körper des Menschen und mit der Bewegung der körpereigenen Energien. Ihr Ziel ist es, den Körper wieder in "Balance" zu bringen. Das bedeutet: "Der Energiefluss des Körpers wird durch die Körperübungen wieder in Gang gesetzt", sagt die Kinesiologin Do-Ri Amtmann. "Den höheren Energiehaushalt, der durch diese Übungen entsteht, kann man durchaus mit Messgeräten nachvollziehen, etwa mit Bioresonanz an den Meridianen des Körpers." In den USA ist Kinesiologie ein Universitätsstudium und ähnelt dem Sportwissenschaftsstudium in Österreich.

Zu einfache Rezepte?

Ist also in der Kinesiologie eine gezielte Maßnahme zur Gesundheitserhaltung und Behebung von Lernschwierigkeiten zu sehen - oder nur ein Hinaufpushen mittels alternativer Methoden? Der Innsbrucker Psychologe Heinz Zangerle steht der Kinesiologie äußerst kritisch gegenüber. "Das einfache Rezept zur Beseitigung kindlicher Symptome hat Konjunktur", sagt Zangerle. "Gefragt ist, was suggeriert, störende Symptome von Kindern möglichst rasch und ohne viel elterlichen Aufwand zu beseitigen, was als ,bio' gilt und gleichzeitig geheimnisvoll-esoterisch auf die kindliche Psyche wirkt." Out dagegen seien Methoden, die sich zum meist mühsamen Erarbeiten kleiner Lernfortschritte bekennen würden. Zudem fehle es weitgehend an wissenschaftlicher Kontrolle der Wirksamkeit in der Kinesiologie. Zangerle kritisiert im besonderen den so genannten Muskeltest, dem Kennzeichen aller Kinesiologie-Systeme. Dabei verwendet der Kinesiologe einen bestimmten Muskel als Indikator, zum Beispiel am ausgestreckten Arm, und übt einen sanften Druck auf ihn aus. Berührt er eine schmerzhafte Körperzone, so wird der vorher starke Muskel nachgeben. Der Kinesiologe erhält so Informationen aus dem Körper des Klienten, die dem Verstand oft nicht zugänglich sind. "Der Muskeltest ist durch empirische Forschungsarbeiten als Diagnoseinstrument nicht belegt", lautet Zangerles Kritik. Die Wiener Allgemeinmedizinerin Veronika Königswieser mit dem Schwerpunkt Kinesiologie vertritt in dieser Frage einen anderen Standpunkt: "Der Muskeltest ist ein Frage-Antwort-Spiel zwischen den beiden Systemen Tester und Patient, wo der Körper wirklich etwas tut. Man kann das Ergebnis schlecht beeinflussen oder manipulieren". Die kinesiologische Methode sei überdies neurophysiologisch dokumentiert, meint die Ärztin: "Die Muskeln reagieren. Das ist mess- und sichtbar." Ein reiner Placebo-Effekt ist daher für sie auszuschließen. In Österreich decken Zusatzversicherungen für Komplementärmedizin im Übrigen achtzig Prozent der Kosten bei den Ärzten.

Lernmotor Harmonie Die Edu-Kinesthetik ist eine spezifische Kinesiologie-Richtung, die sich mit dem Lernen auseinandersetzt. Der Pädagoge Paul E. Dennison entwickelte sie in den 60er Jahren aus den Erkenntnissen der angewandten Kinesiologie und der aktuellen neurologischen Forschung. Mit einfachen Bewegungsübungen und der Überprüfung durch den Muskelfunktionstest sollen die körpereigenen Energien aktiviert und die beiden Gehirn- und Körperhälften in Harmonie gebracht werden. "Durch regelmäßige Übungen wird die Wahrnehmung der Schulkinder verbessert", erklärt Do-Ri Amtmann, die für eine Einzelsitzung (90 Minuten) 1.250 Schilling berechnet. "Sie können damit ihren Körper in seinem Selbstheilungsreflex selbst unterstützen." Heinz Zangerle ist auch in diesem Punkt anderer Ansicht: "Es handelt sich hier um die Reaktivierung der angestaubten Gehirnhälften-Theorien aus den 50er Jahren". Die "alten Hüte der Gehirnforschung" würden in verbal aufpolierter Diktion als neueste wissenschaftliche Erkenntnisse angepriesen.

Dennoch steigt das Interesse an der Edu-Kinesthetik, konstatiert die Wiener Kinesiologin Monika Übel-Helbig, die für eine Sitzung 900 Schilling in Rechnung stellt. "Viele Menschen haben erkannt, dass sie auch etwas für sich selbst tun können. Dafür ist die Edu-Kinesthetik eine sehr hilfreiche Methode, " meint Übel-Helbig. Auch bei Prüfungsängsten und Stresssituationen setze die Edu-Kinesthetik an. Und die "Gehirnknöpfe" warten darauf, wieder gerubbelt zu werden.

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