Geist und Seele undercover

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Schrumpfen Seele und

Die Welt im Kopf schien plötzlich auf den Kopf gestellt. Mit Hilfe des EEGs wollten der deutsche Neurophysiologe Hans Kornhuber und sein Mitarbeiter Lüder Deecke 1964 den Zusammenhang zwischen willkürlichen Bewegungen und den Wellenmustern im Gehirn erforschen - und förderten Unglaubliches zu Tage: Bereits eine Sekunde, bevor die Versuchspersonen Hand oder Fuß bewegten, zeigten sich Regungen im Gehirn. Der "synaptic drive", das Zittern der neuronalen Schaltstellen, hatte also lange vor der tatsächlichen Handlung in freudiger Erwartung begonnen. Für die beiden Forscher war der Name des Phänomens bald gefunden: Bereitschaftspotenzial.

Die Entdeckung erregte Aufsehen, auch im fernen Kalifornien: Lange Jahre sinnierte der Neurobiologe Benjamin Libet über die erstaunlichen Kurven. Nachdem die Spanne zwischen der bewussten Entscheidung und der tatsächlichen Handlung keine Sekunde betragen konnte - sonst würden wir uns im Schneckentempo durch die Welt bewegen - formulierte Libet eine gewagte These: Das Bereitschaftspotenzial zu einer Handlung würde im Gehirn bereits einsetzen, bevor wir uns bewusst dazu entschließen. 1979 sollte eine Testreihe seine Vermutung bestätigen: Libet forderte Versuchspersonen auf, zu einem frei gewählten Zeitpunkt eine einfache Handbewegung vorzunehmen. Dabei maß er einerseits die elektrischen Aktivitäten in Hand und Gehirn, zudem wurden die Personen darauf trainiert, sich mit Hilfe einer speziellen Uhr den Zeitpunkt ihrer Entscheidung präzise zu merken. Fazit: Es vergingen über 300 Millisekunden, ehe das Bewusstsein die (unbewusste) Vorbereitung des Gehirns realisierte.

Libets Experimente lösten stürmische Debatten aus. Auch er selbst fürchtete als religiöser Mensch und Dualist um die Folgen seiner Entdeckung für das Menschenbild. Da zwischen dem bewussten Entschluss und der tatsächlichen Handlung noch ein zeitlicher Spielraum vorhanden war, verortete Libet darin Raum für den freien Willen: Dieser sei zwar nicht Initiator, wohl aber Zensor unserer Handlungen. Ein bewusstes mentales Feld könne sie ausführen lassen - oder aber stoppen.

"Den Zensor gibt es nicht", kontert Gerhard Roth und beurteilt das mentale Feld als "Hilfskonstruktion, um den freien Willen noch unterzubringen". Ob das Bereitschaftspotenzial abgebrochen oder weitergeführt werde, habe wiederum neurologische Gründe. Ins selbe Horn stößt auch der Neurowissenschafter Wolf Singer vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt: Der freie Wille, so sein Credo, sei "nichts als eine Illusion".

Anders hingegen Lüder Deecke, heute Vorstand der Wiener Universitäts-Klinik für Neurologie: Seiner Meinung nach werde das Bereitschaftspotenzial mitunter "ausgenützt, um irgendwelche vorgefassten weltanschaulichen Vorstellungen zu dokumentieren" - nämlich jene, dass der Mensch in Wirklichkeit nicht frei sei, sondern determiniert. Kritik übt Deecke nachträglich auch an Libets Methodik. Vor allem der Umstand, dass die Versuchspersonen retrospektiv ihre bewusste Entscheidung feststellen mussten, sei zu hinterfragen: "Der Zeitpunkt der Bewusstwerdung des Willensaktes ist nicht zwingend ident mit dem Zeitpunkt der tatsächlichen bewussten Entscheidung", so Deecke. Zweifellos komme ein großer Teil des Dranges zu einer Willkürbewegung aus unserem Gefühlsgehirn, dem limbischen System. Alles andere, auch die Frage nach dem freien Willen, sei jedoch eine Frage des weltanschaulichen Standorts.

Dass "Geist" und "Seele" mit dem Bereitschaftspotenzial nicht enden können, war jedenfalls für den vor fünf Jahren verstorbenen Sir John Eccles (1963 Nobelpreis für Medizin) unbestritten. Auch vor unorthodoxen Methoden scheute der überzeugte Dualist nicht zurück, um jenes "mind" zu finden, das auf den Denkapparat Gehirn Einfluss nimmt. An zwei Orten vermutete Eccles Einwirkmöglichkeiten des transzendenten Geistes: an der Scheitelmitte, wo das Bereitschaftspotenzial sein Maximum erreicht, und in den kleinen Bläschen an den Synapsen. "Das ist natürlich mit naturwissenschaftlichen Denkweisen nicht zu halten", rekapituliert Deecke, "da war Wunschdenken dahinter". Ähnliche Wünsche ortet er derzeit innerhalb der Neurowissenschaften eher selten: "Offenbar ist die Lobby, die einen Determinismus für wahrscheinlich hält, größer als jene, die an einen freien Willen des Menschen glaubt."

Durchschlagende neue Erkenntnisse stehen in diesem Bereich freilich noch aus. Auch eine folgenschwere Unvereinbarkeit macht den Hirnforschern Schwierigkeiten bei der Erforschung des Bewusstseins, konstatiert Hans Goller, Professor für Christliche Philosophie in Innsbruck: jene zwischen der Ersten-Person-Perspektive und der Dritten-Person-Perspektive. Um das Problem zu verdeutlichen, zitiert er in einem Beitrag für die Herder Korrespondenz (8/2001) Max Planck: "Von außen, objektiv betrachtet, ist unser Wille kausal gebunden; von innen, subjektiv betrachtet, ist der Wille frei."

Es wird eine der größten Herausforderungen für die interdisziplinäre Bewusstseinsforschung sein, diese beiden Ebenen - persönlich erlebte Willensfreiheit und neurobiologisches Wissen - zu versöhnen.

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