Gekauftes Glück

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40 Prozent Arbeitslose, 80 Prozent Arme und jede Menge Findelkinder: Die Ukraine ist der neue Hoffnungsträger für kinderlose Eltern - und geschäftstüchtige Adoptionsagenturen.

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40 Prozent Arbeitslose, 80 Prozent Arme und jede Menge Findelkinder: Die Ukraine ist der neue Hoffnungsträger für kinderlose Eltern - und geschäftstüchtige Adoptionsagenturen.

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Wenn Alexander Rakocz von "den Amerikanern" erzählt, wird er ungehalten. "Die sind pervers", schimpft der gelernte Medientechniker ins Telefon, "die stellen Fotos und Videos ins Internet, und bei einem Kind mit leichter Behinderung verrechnen sie statt 16.000 nur 8.000 Dollar." Kein Wunder, meint der Deutsche schroff, dass man in der Ukraine Besucher aus den fernen USA inzwischen schief beäugt: "Die kommen einfach her und kaufen ihnen die Kinder weg!"

Nach seiner ersten Reise ins krisengeschüttelte Land habe er Ende 2001 beschlossen, mehr zu tun als nur zu jammern. Gemeinsam mit engagierten Mitarbeitern vor Ort gründete er zu Neujahr 2002 die Hilfsorganisation "Eurowacht". Vor zwei Wochen erhielt man schließlich in der Ukraine die Lizenz. Noch verfolgt "Eurowacht" unverdrossen seine großen Ziele: die Lebensumstände der Kinder in den Weisenheimen zu verbessern, Einrichtungen für hilfsbedürftige Kinder zu unterstützen - und korrupten Adoptionsagenturen endlich das Handwerk zu legen.

Schlepper und Abkassierer

Der Skandal um den norddeutschen Verein "Kinder in Not" und seine Vorsitzende Karin Schlepphorst ist Rakocz noch in bester Erinnerung. Bereits im Sommer des Vorjahres hatten deutsche Medien vom Fall eines Ehepaares berichtet, das sich sehnlichst ein Kind gewünscht, insgesamt 30.000 Mark an Schlepphorst bezahlt - und am Ende nichts erhalten hatte als finanziellen Schaden und den Spott derer, die es schon immer besser gewusst haben wollten. Voll Hoffnung hatten die beiden die Reise nach Kaliningrad angetreten, wo sie in einem Kinderheim mit elf anderen Paaren "in einer Mord und Totschlag-Stimmung" nach ihren zukünftigen Kindern suchten. Monate bangen Wartens vergingen, bis sie im staatlichen Adoptionszentrum Kaliningrad erfuhren, dass der Verein "Kinder in Not" in Russland gar nicht akkreditiert war.

Erst im März dieses Jahres machte sich ein ZDF-Redaktionsteam in der Ukraine erneut auf die Spuren der obskuren Adoptionsagentur. Fazit: Bis März 2002 konnte "Kinder in Not" mit illegalen Tricks - und sattem Gewinn - fast 40 Kinder nach Deutschland vermitteln.

"Kinder sind in der Ukraine der Exportschlager Nummer eins", bestätigt Alexander Rakocz zynisch. Kein Wunder: Rund 40 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos, 80 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Allein in der Region Charkow leben rund 5.000 Kinder auf der Straße. 90.000 sollen es landesweit sein - und die Dunkelziffer ist doppelt so hoch, weiß Felicitas Filip von der Auslandshilfe der "Caritas". Erst vor drei Jahren konnte man inmitten der trostlosen Stadt Charkow mit ihren 1,8 Millionen Einwohnern ein Zuhause für 40 Straßenkinder errichtet werden.

Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Mehrheit der Straßenkinder landet in den verwahrlosten staatlichen Heimen. Dort ist man verpflichtet, Fotos und Daten der Kinder der zentralen Adoptionsstelle in Kiew zu übermitteln. 14 Monate lang bleiben die Kinder für - höchst seltene - Adoptionen durch ukrainische Eltern "reserviert". Erst nach Ablauf dieser Frist kommen die vorwiegend aus den USA, Italien oder Deutschland angereisten adoptionswilligen Eltern zum Zug. Nach Durchsicht hunderter Fotos verbringen sie in der Folge bis zu eine Woche im Heim "ihres" Kindes. Nach vier Wochen Wartezeit und der Überweisung von 10.000 Dollar Vermittlungskosten ist das Unterfangen meist geglückt.

Der Graubereich zwischen legaler und Scheinadoption ist noch immer riesengroß. (Sylvia Trsek, UNICEF Österreich)

Internationale Kinderschutzorganisationen verfolgen dieses Treiben mit Sorge - zumal die Ukraine das Internationale "Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption" von 1993 bis heute nicht unterzeichnet hat. Hierin verpflichten sich die 45 Unterzeichnerstaaten (seit 1999 Österreich und seit März 2002 auch Deutschland) zur Einhaltung strenger Kriterien: Der Kampf gegen privat arrangierte Adoptionen gehört ebenso dazu wie die Verpflichtung, nur Heimwaisen oder solche Kinder zu Auslandsadoptionen zuzulassen, auf die ihre leiblichen Eltern in einer schriftlichen Erklärung verzichten. Schließlich dürfe auch niemand Kapital aus der Adoptionsvermittlung schlagen, heißt es in dem Papier.

Nichts desto trotz werden die hehren Ziele von der Realität oft Lügen gestraft. "Der Graubereich zwischen legaler und Scheinadoption ist noch immer riesengroß", weiß Sylvia Trsek von UNICEF Österreich. Auch hierzulande gebe es Handlungsbedarf: Noch immer warte man auf eine zentrale Vermittlungsstelle für Auslandsadoptionen. Elisabeth Lutter, Gründerin des Wiener Vereins "Eltern für Kinder", übte ebenfalls heftige Kritik: "Wir haben in Österreich ein großes Informationsdefizit. Nicht einmal die zuständigen Leute in den Bezirksjugendämtern kennen sich aus." Viele Eltern wären dadurch gezwungen, auf eigene Faust den Adoptionsdschungel zu durchforsten und in die entsprechenden Länder zu reisen. "Gerade bei einem so heiklen Gebiet bräuchte es aber Stellen, die Erfahrung haben", so Lutter.

Bis 1997 unterstützte "Eltern für Kinder" als anerkannter Jugendwohlfahrtsträger Eltern bei der Adoption von rumänischen Kindern. Auf Grund schlechter Erfahrungen mit den USA und Kanada habe Rumänien dann jedoch die internationalen Kooperationen gestoppt. Eltern für 150 Kinder hat der Verein bisher vermittelt. Kostenpunkt: 10.000 Euro pro Kind. Noch hofft Lutter, dass Rumänien - wie von vielen erwartet - ab Spätherbst wieder grünes Licht für Auslandsadoptionen geben wird. Seit zwei Jahren pflegt man deshalb auch Kontakt zu Bulgarien, das die Haager Konvention bald ratifizieren soll. Auch mit Albanien steht man in Verbindung.

"Bedarf" wäre jedenfalls gegeben, weiß die derzeitige Leiterin des Vereins, Helena Planicka: "Die Eltern rennen uns die Türen ein." Ein Blick auf die Statistik macht die Not verständlich: Meist warten ungewollt kinderlose Paare mehr als fünf Jahre auf ein österreichisches Adoptivkind. "Einer 35-Jährigen wird dann oft gesagt, dass es eigentlich schon zu spät ist", skizziert Planicka die verfahrene Situation. Anstatt endlos zu warten, wagen immer mehr Eltern den Schritt zur Auslandsadoption. Spätestens mit der Haager Konvention wurde das Procedere fixiert: Nach einer Eignungsprüfung (Home Study), die von der Jugendabteilung der jeweiligen Bezirkshauptmannschaft vorgenommen wird, können sich die Eltern an eine Vermittlungsstelle wenden. Eine im Ausland erfolgte rechtswirksame Adoption bedarf keiner ausdrücklichen Anerkennung im Inland, heißt es im Justizministerium. Freilich sorgt der Antrag auf die österreichische Staatsbürgerschaft des Kindes nicht selten für Wartezeiten.

Rumänien und Ukraine sind freilich nicht die einzigen Destinationen für Eltern auf Kindersuche: Seit Oktober 2000 vermittelt der Wiener Verein "family4you" Adoptionen von Kindern in Indien. Und "Bridge To Ethiopia", im März 2001 vom Vorarlberger Michael Zündel ins Leben gerufen, widmet sich dem Brückenschlag nach Afrika. Über 30 Familien habe man bisher unterstützt und begleitet, so Zündel; 80 Paare zeigten noch Interesse. Gegen unseriöse Mitbewerber setzen sich die Organisationen unisono zur Wehr: Man suche schließlich immer Eltern für Kinder - und nicht Kinder für Eltern.

Krisen vorprogrammiert

Nicht immer läuft die internationale Familiengründung friktionsfrei ab. "Wir haben darauf geachtet, dass von Anfang an die Wahrheit erzählt wurde," erinnert sich Elisabeth Lichtenwörther, die sich "auf Grund der furchtbaren Kinderheim-Berichte" zur Adoption zweier rumänischer Mädchen entschlossen hat. Trotz bester Vorbereitung sei der ersehnte Urlaub in Rumänien "nicht sehr glücklich" ausgefallen. Der Schock über die desolaten Verhältnisse war zu groß. "Bei Auslandsadoptionen kommt es in der Regel zu Problemen", bestätigt die deutsche Adoptions-Expertin Christine Swientek. Diese könnten gemindert werden, wenn die Eltern versuchen würden, dem Kind seine eigene Kultur positiv nahezubringen. Leider würden aber viele Eltern Rettungsfantasien - und in der Folge Dankbarkeitserwartungen entwickeln. "Mit denen kommen sie dann meistens genau dann, wenn das Kind Probleme macht."

Das Problem des Kinderhandels hält Swientek in Europa grundsätzlich für gering - ganz anders als in den USA. "Dort findet man in jeder Zeitung Anzeigen, wo sich adoptionswerbende Eltern den Müttern anbieten", erzählt sie nüchtern. "Dass sich die Frauen den Bewerber aussuchen, der ihnen das meiste zahlt, versteht sich dann von selbst."

Informationen zur Auslandsadoption bei "Eltern für Kinder" (www.efk.at), "family4you" (www.family4you.at) und "Bridge To Ethiopia" (0650-251 251-0). Caritas-Spenden: PSK 7.700.004, BLZ 60.000, Kennwort: Ukraine.

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