Gemeinschaft, Zeit und ganz viel "Hygge"

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"In der Küche gilt das gleiche Prinzip wie an allen anderen Orten: Übernehmen Sie die Führungsrolle, schaffen Sie den Rahmen und beziehen Sie das Kind ein."

Jesper Juul ist ein altmodischer Mensch. "Ich liebe es, Gemüse zu putzen", schreibt er in seinem neuen Buch "Essen kommen". Und es quäle ihn, "dass wir so tief gesunken sind, dass es nicht mehr um die echte Qualität unserer Nahrungsmittel geht, sondern wir uns damit begnügen, Kategorien wie verhältnismäßig gesundheitsschädliche und 'sichere' Nahrungsmittel zu unterscheiden." Auch Essen ist demnach viel mehr als die bloße Aufnahme von Nahrung. Es geht um Gemeinschaft, Zeit und Fürsorge. "Gute soziale Beziehungen und gemeinsame Mahlzeiten hängen eng zusammen", ist der dänische Familientherapeut und Erfolgsautor überzeugt. Das gemeinsame Einnehmen von Mahlzeiten ist für ihn folglich ein zentraler Bestandteil des Familienlebens. "Gemeinsam essen macht Familie stark", ist Juul überzeugt.

Umso nötiger sei es, den Familientisch -ob er nun täglich oder auch nur am Wochenende zustande komme -zu entstressen und von Machtkämpfen zu befreien. "Wer Regeln und Vitaminen mehr Bedeutung beimisst als den Menschen, die das Essen zu sich nehmen, und ihrem Verhältnis untereinander, verkennt den Aspekt der Geselligkeit und seinen Einfluss auf das Gelingen einer Mahlzeit", so Juul. "Hygge" sei das große Ziel, meint der Therapeut mit Verweis auf seinen dänischen Landsmann Meik Wiking, der diesen Trendbegriff geprägt hat: Es gehe um Momente, die Geborgenheit schaffen, Bindungen stärken und dadurch glücklicher machen als es materieller Wohlstand je könnte.

Am Familientisch ist all das möglich, meint Juul in seinem Buch, das er mit zahlreichen Rezepten aus seiner Heimat bereichert hat. Wie in allen anderen Bereichen müssten die Eltern aber auch hier als Leitwölfe fungieren und Verantwortung für sich und die gesamte Familie sowie eine möglichst positive Stimmung übernehmen. Konkret heißt das, für abwechslungsreiches und gesundes Essen zu sorgen -aber nicht jeder kindlichen Lust nachzugeben. Was und wieviel die Kleinen am Ende essen, liege in ihrer Verantwortung. Beim Planen, Einkaufen und Kochen sollten sie freilich einbezogen werden -inklusive Verkosten hochwertiger und drittklassiger Lebensmittel.

"Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen!"

Das funktioniert natürlich nicht immer ohne Konflikte. Bei besonders wählerischen Kindern betont er etwa, sich nicht auf Machtkämpfe einzulassen, sondern den Sonderstandpunkt des Kindes zu akzeptieren -und dem "Abweichler" zur Not selbst die Zubereitung seines Essens in die Hand zu geben. Zwang sei jedenfalls keine Lösung. "Von einem anderen Menschen gezwungen zu werden, bestimmtes Essen zu sich zu nehmen, ist, wie zum Sex gezwungen zu werden", schreibt Juul. "Es zerstört nicht nur den Genuss und die Sinnlichkeit, sondern nimmt einem auch die Lust, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen." Ähnliches, wenn Kinder kein Gemüse essen wollen. "Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen", rät Juul, "akzeptieren Sie, dass das Kind eine Zeit lang kein Gemüse essen will, und machen Sie es nicht bei jeder Mahlzeit wieder zum Thema. Und kein Betrügen, Überreden und Belohnen!" Wichtig sei, dem Kind in freundlichem Ton klarzumachen, welchen Standpunkt man warum vertrete. Die Tatsache, dass Kinder bestimmte Dinge nicht essen wollen, sei jedenfalls "kein Anlass für einen Machtkampf", betont Juul. "Entwickelt es sich dazu, dann nur, weil die Eltern es so weit kommen lassen und deshalb können sie ihn auch beenden."

Essen kommen Familientisch -Familienglück. Von Jesper Juul. Beltz 2017.238 Seiten, geb., € 20,60.

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