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In Indien begehen verschuldete Baumwoll-Bauern massenhaft Selbstmord. Die Gründe sind bei der Gentechnik zu suchen.

Die Bauern fordern lautstark gentechnisch veränderte Saaten." Fast euphorisch kommentierte Landwirtschaftsminister Agit Singh im Frühjahr 2002 die erstmalige Zulassung genmanipulierter Baumwolle in Indien.

Tatsächlich war der Baumwollanbau in eine tiefe Krise geraten, da nach jahrzehntelanger Bewirtschaftung in Monokultur der Baumwollkapselbohrer - ein gefürchteter Schädling - überhand genommen und einen immer höheren Spritzmitteleinsatz verlangt hatte. Heilsbringerin sollte die Gentechnik sein: Pflanzen, die selbst das Gift des Bacillus-thuringiensis-Bakteriums gegen den Schädling erzeugen, würden den Spritzmittelverbrauch erheblich senken, wurde versprochen.

Suizid-Grund Gentechnik

Doch was seither passierte, gleicht für viele einem Alptraum: Bauern verschuldeten sich, um das wesentlich teurere "Bt-Saatgut" zu kaufen und mussten danach Ernteausfälle beklagen. Alleine im Jahr 2003 brachten sich nach Angaben des indischen Landwirtschaftsministeriums 17.107 Bauern meist aufgrund hoher Schuldenlast um. Seither hat die Regierungsseite zwar keine Zahlen mehr herausgegeben, regionale Zählungen lassen auf alles andere als auf einen rückläufigen Trend schließen. Wie sehr die Selbstmorde mit dem Anbau der genmanipulierten Baumwolle korrespondieren, zeigen Statistiken aus den Jahren 1993 bis 2002, als im Schnitt weniger als 10.000 Selbstmorde pro Jahr offiziell unter den Landwirten registriert wurden - trotz der bereits erwähnten, schon damals drückenden Probleme.

Freitod statt Hungertod

Kishor Tiwari führt privat Todeslisten über die Selbstmorde in Vidarbha, im Baumwollgürtel des mittelindischen Bundesstaates Maharashtra. "Sie sehen, es ist besser geworden", wird er in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zitiert. "Die Bauern verhungern nicht mehr. Sie bringen sich jetzt selbst um." Meist setzen sie mit einem Giftcocktail - Pestizide, die ihre Wirkung bei den Schädlingen tun sollten - ihrem Leben ein Ende.

Der mexikanische Wirtschaftsprofessor Alejandro Nadal meinte in einem Artikel der Tageszeitung La Jornada sogar, dass man angesichts der Ausweitung des Bt-Baumwollanbaus und der gleichzeitig gestiegenen Selbstmordrate Monsanto "als den schlimmsten Serienmörder in der Geschichte" bezeichnen könnte. Ins selbe Horn stieß die indische Alternativ-Nobelpreisträgerin, Physikerin und Bürgerrechtlerin Vandana Shiva, als sie ebenfalls im Vorjahr die zehntausenden Selbstmorde als "Genozid" brandmarkte.

Der Bundesstaat Andhra Pradesh hatte bereits vor zwei Jahren Konsequenzen gezogen: Landwirtschaftsminister Shri Raghuveera Reddy sprach "von einer völligen Missernte" auf einer Fläche von rund 10.000 Hektar und von Tausenden Bauern, die vor dem Nichts stünden. Wütende Proteste von Kleinbauern standen damals an der Tagesordnung. Eine unabhängige Studie, die fünf Prozent der Ernten aller Kleinbauern in der ersten Anbausaison der Bt-Baumwolle auswertete, war maßgeblich dafür, dass 2005 die Gentechnik-Zulassungsbehörde GEAC die Lizenz für den Anbau einiger genmanipulierter Baumwollsorten nicht verlängerte - allerdings nur für Andhra Pradesh. Die Regierung des Bundesstaates wählte ein hartes Vorgehen und verlangte von Monsanto die Entschädigung betroffener Bauern und verbot dem Konzern, weiter in Andhra Pradesh tätig zu sein. Dennoch wurde auch hier der genmanipulierte Baumwollanbau unvermindert weitergeführt - mit anderen Sorten.

Die Kosten stiegen

Die Studie eruierte weitgehend gleich bleibende Pestizidkosten bei dreimal höheren Kosten für die genmanipulierte Bt-Baumwolle. Der Nettogewinn belief sich bei Bt-Baumwolle auf 73,5 Dollar und bei gentechnikfreier Baumwolle auf 305 Dollar pro Hektar, was dem Verhältnis von 1:4 entspricht. Der nördliche Bundesstaat Uttaranchal erließ im Juni 2006 ein generelles Verbot gegen Gentechnik-Pflanzen und im selben Monat einigten sich die neun indischen Baumwoll-Bundesstaaten, gemeinsam gegen nicht tolerable Praktiken von multinationalen Konzernen wie Monsanto vorzugehen: "Wir sind nicht gegen ein Unternehmen oder gegen den technischen Fortschritt, aber die armen Bauern auszubeuten ist nicht erlaubt", verlautbarten die Landwirtschaftsminister von vier Bundesstaaten bei einer Pressekonferenz im vergangenen Jahr.

Gen-Lobby widerspricht

Für Monsanto waren die Ernteausfälle lediglich eine Folge ungünstiger Umweltfaktoren wie Dürre oder heftiger Niederschläge, denen Temperaturen um die 40 Grad Celsius folgten. Insgesamt seien in der ersten Anbausaison 2002/2003 die Erträge und Erlöse in den Bt-Feldern deutlich gestiegen, hieß es in einer Aussendung aus dem Jahr 2005. Außerdem weist die von der Gentechnikindustrie unterstützte Lobbying-Organisation ISAAA auf eine Verdreifachung des Genbaumwoll-Anbaus auf 3,8 Millionen Hektar im Vorjahr hin. Das bedeutet einen Anteil von mehr als 40 Prozent aller Baumwollflächen des Landes. Auch von deutlich gestiegenen Durchschnittserträgen ist die Rede. Von einer völlig veränderten Kultur des Anbaus spricht Glenn Stone von der Washington University in St. Louis, USA, in einer soeben veröffentlichten Studie. Anstatt sich wie bisher üblich auf eigene Erfahrungen zu verlassen, würden die Bauern diejenigen Baumwollsorten kultivieren, die die Nachbarn auch verwenden. Niemand habe angesichts einer Auswahl von Dutzenden neuer genmanipulierter Hybride noch eine Übersicht über deren Qualität. "Saatgutfirmen benennen manchmal in Ungnade gefallenes Saatgut neu und starten Marketingaktivitäten für das neue Produkt", so die Studie.

Kontamination der Äcker

Baumwolle ist bislang die einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die in Indien kommerziell freigesetzt wird. Doch Feldversuche mit Kulturpflanzen, die genmanipuliert wurden, gibt es schon lange. Das war auch der Grund, warum im Jahr 2005 vier Personen beim obersten indischen Gerichtshof eine Klage einbrachten. Die Kläger unter der Führung von Aruna Rodrigues legten dar, dass eine Freisetzung genmanipulierter Pflanzen aufgrund vielfältiger Gefahren für Gesundheit und Umwelt aus wissenschaftlicher Sicht unmöglich zu rechtfertigen sei.

Im vergangenen Jahr hat die staatliche indische Gentechnik-Zulassungsbehörde GEAC eine Reihe von Feldversuchen bewilligt - Kritiker sprechen von 150 verschiedenen genmanipulierten Pflanzenarten auf mehr als 1000 Feldern im ganzen Land. Seither steht die mögliche Totalkontamination der indischen Landwirtschaft im Raum. Zur potenziellen Gefährdung der Lebensgrundlagen komme noch die mögliche Weltherrschaft der Gentechnikkonzerne über das Saatgut und Nahrung als besondere Bedrohung hinzu - schließlich sind genmanipulierte Pflanzen wie Erfindungen patentiert, womit die Pflanze nicht mehr dem Bauern, sondern dem Konzern gehört. Einen ersten Teilerfolg konnten Rodriguez & Co. im September 2006 vor dem obersten indischen Gerichtshof bereits erzielen: Er wies die Gentechnikbehörde an, bis auf weiteres keine weiteren Freilandversuche mehr zuzulassen. Die bislang bewilligten Gentechnik-Felder waren von dieser Entscheidung nicht betroffen.

Reis im Zentrum

Besonders der versuchsweise Genreis-Anbau bereitet den Indern Kopfzerbrechen - immerhin ist Reis auch hier eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel. Am 28. Oktober verbrannten 400 Bauern in einer vom Bauernverband Bharatiya Kissan Union (BKU) organisierten Aktion ein solches Reisfeld in Rampura Village im Bundesstaat Haryana. Am 10. November folgte die Zerstörung eines Reisfeldes im Bundesstaat Tamil Nadu. Wenige Tage später forderten die führenden indischen Reisexporteure die Regierung in Neu Dehli auf, den Anbau von genmanipuliertem Reis zu verbieten.

"Indischer Reis wird in 92 Länder exportiert. Menschen kaufen indischen Reis im guten Glauben, dass es sich bei diesem Reis um eine natürliche und nicht um eine gentechnische veränderte Pflanze handelt. Wenn die Feldversuche nicht sofort gestoppt werden, können die gentechnisch veränderten Reissaaten durch Auskreuzung und Kontamination natürliche Reispflanzen zerstören", heißt es in einer Petition, die im Jänner vom Unternehmensberater Arun Shrivastava an der Spitze an den indischen Premierminister Manmohan Singh gerichtet wurde. Mit der Genmanipulation würde der seit Jahrzehnten andauernde Zerstörungsprozess der Pflanzenvielfalt in eine entscheidende Phase treten, warnt Shrivastava.

Samen sind essenziell

Für die indische Bevölkerung mit hunderten Millionen Kleinbauern sei es nach wie vor von lebenswichtiger Bedeutung, Samen der letzten Ernte für die Aussaat aufzubewahren. Sollte die Gentechnik Indien erobern, sieht Shrivastava für die Zukunft des Subkontinentes schwarz: "Dies würde die langsame, schmerzhafte Vernichtung einer der ältesten Gesellschaften dieser Welt bedeuten."

Der Autor ist freier Journalist.

Bio-Erfolge

Wohin der Weg gehen könnte, zeigt eine Studie des Forschungsinstitutes für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz: Eine von 2003 bis 2005 durchgeführte Vergleichsstudie in Indien kommt zum Ergebnis, dass der Anbau von biologischer Baumwolle die Lebensumstände der Bauernfamilien wesentlich verbessert. 60 konventionelle Baumwollproduzenten wurden mit ebenso vielen anderen verglichen, die im Auftrag der Schweizer Textilhandelsfirma Remei biologisch wirtschaften. Dank niedrigerer Produktionskosten und der ausgezahlten Bioprämie erwirtschaften die Bauernfamilien im biologischen Anbau ein um 30 bis 40 Prozent höheres Einkommen. Die durch den biologischen Anbau verbesserte Bodenfruchtbarkeit und Wasserhaltefähigkeit der Böden vermindert zusätzlich noch das Risiko eines Ertragsausfalls in Trockenperioden, heißt es in der Studie weiter.

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