Geschichten der Verlorenheit

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Hajrija Hrustanovi´c lebt mit ihren beiden Kindern bereits einige Jahre in Österreich. Eines Tages, völlig unvorbereitet, holen sie angesichts aller erlittenen Verluste - ihrer großen Familie, ihres Dorfes und ihres Hauses - die Erinnerungen an ihre bosnische Kindheit und Jugend ein. Auf Bank-Kalendern schreibt sie in neun Tagen die Geschichte ihrer Verlorenheit auf. Sie ist nach Phasen tiefer Depression bereit, sich ihrem Unglück zu stellen. Ihre Niederschrift ist jetzt mit einem Vorwort von Karl-Markus Gauß, erschienen.

Erschütternd auch die Geschichte von Herrn A. Er hat sich mit seiner damals hochschwangeren Frau und den drei Kindern im Keller versteckt, um sich während der letzten Tage vor seiner Flucht aus dem Kosovo vor den serbischen Truppen zu schützen. Mit Hilfe von Schleppern gelangt er über Montenegro nach Österreich. Doch hier findet das Trauma seine Fortsetzung: Eines nachts bekommt sein jüngster Sohn keine Luft und läuft blau an im Gesicht. Man kann sich nicht erklären, warum. Das Kind überlebt. Herr A. selbst kommt morgens nur mit großer Willensanstrengung aus dem Bett. Ein Spaziergang führt zu Schweißausbrüchen, sobald ihm jemand zu nahe kommt.

Die Geschichte von Herrn A. ist im im Jahresbericht von "Aspis", dem Forschungs- und Beratungszentrum für Opfer von Gewalt an der Universität Klagenfurt, festgehalten. Sie ist nur eine von vielen biografischen Skizzen über die unglaublichen Leiden von Kriegsflüchtlingen. Cornelia Seidl-Gevers, Psychotherapeutin und Geschäftsführerin bei "Aspis" (griechisch: Schutzschild), kennt viele ähnliche Fälle. "Trauma ist eine grundsätzlich normale Antwort der Persönlichkeit auf eine extrem kränkende Erfahrung", erklärt sie.

Das Wichtigste in der Traumatherapie ist die Stabilisierung der Klienten. Freilich darf niemals außer Acht bleiben, dass Menschen in ihrer ursprünglichen Kultur Rituale und Ressourcen besitzen, die es zu heben gilt. Zudem gelten in den meisten Herkunftsländern strenge Grenzen, was Gespräche über Intimität, Sexualität und Missbrauch betrifft. "Frauen, die zu mir kommen können anfangs aufgrund von Scham- und Schuldgefühlen nicht gleich von ihrem Leid erzählen. Man muss oft einige Male Kaffee trinken, bis sie über ihre traumatischen Erlebnisse sprechen; andere Frauen beginnen sofort, von den Vergewaltigungen zu erzählen", schildert Seidl-Gevers ihre erschütternden Erfahrungen.

Es gibt allerdings unterschiedliche hilfreiche Überlebensstrategien. Klaus Ottomeyer, Obmann von "Aspis" und Professor für Sozialpsychologie an der Universität Klagenfurt, kennt viele rettende Zugänge: "Traumatisierte Migrantinnen und Migranten zeigen erstaunliche Kreativität, die Zertrümmerung ihrer Bezugs- und Lebenswelten zu verkraften. Humor ist eine wichtige Kraft, die hilft, Verfolger zu relativieren, sie als kleine Figuren in einem größeren Spiel zu sehen." Handlungsmöglichkeiten wie diese in der Psychotherapie mit traumatisierten Migrantinnen und Migranten führt Ottomeyer im neuen Buch "Überleben am Abgrund. Psychotrauma und Menschenrechte" an, das vergangenen Dienstag präsentiert wurde. Auch Trauma-Einrichtungen wie "Hemayat" (Wien) "Zebra" und "Omega" (Graz) berichten darin über ihre Tätigkeit - ebenso wie ein Mitarbeiter des Heerespsychologischen Dienstes über den Einsatz bei der Seilbahnkatastrophe in Kaprun. Die Herausforderungen in der Traumatherapie sind jedenfalls groß, weiß Ottomeyer. "Die Gefahr der offenen Verstrickung und der Über-Identifizierung besteht vor allem bei den AnfängerInnen" betont der Psychotherapeut. Wer dies nicht zu verhindern wisse, sei ungeeignet für den Job...

NICHTS IST VERGANGEN. Eine Bosnierin erzählt.

Von Hajrija Hrustanovi´c. Drava Verlag, Klagenfurt 2002. 128 S., TB, e 14

ÜBERLEBEN AM ABGRUND. Psychotrauma und Menschenrechte.

Von Klaus Ottomeyer und Karl Peltzer (Hg.). Drava Verlag, Klagenfurt 2002

368 Seiten, Paperback., e 29,50

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