Gespenster der Demokratie

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Die direkte Beteiligung des Volkes an den Entscheidungen des Staates oder der Gemeinde, ist unbestritten etwas Wertvolles. Wer dieser Tage des "Anschlusses" an Nazideutschland 1938 gedenkt und sich näher mit den letzten Tagen der Ersten Republik beschäftigt, weiß, dass Hitler vor nichts mehr Angst hatte, als vor dem letzten Versuch Schuschniggs, die Unabhängigkeit des Landes zu wahren: Vor der Volksabstimmung über die Zukunft des Landes, die, so meinen Historiker, mit einem klaren Votum gegen den Anschluss geendet hätte. Die in Protokollen festgehaltene panische Reaktion Hitlers, die Mobilmachung der Wehrmacht und der hastige Einmarsch zeigen die Macht des Volksentscheids - selbst über eine diktatorische Politik. Ein Nein der Österreicher zu Deutschland hätte alle Pläne der Nazis zunichte gemacht und ihnen jede Legitimation geraubt.

Dem Zufall ist es geschuldet, dass wir just in diesen Gedenktagen mit der Karikatur eines Plebiszits belästigt wurden, weil es die Wiener Stadtregierung so wollte. "Wien will's wissen", dümmelte es wochenlang von den Plakatwänden. Was wollten wir wissen? Sicher nicht die Antworten auf Suggestivfragen des Niveaus "Wollen Sie weiterhin gut leben?" Das hat uns eigentlich bloß erfahren lassen, was wir so gar nicht wissen wollten: Nämlich, was die Politik von der Intelligenz der Bürger hält.

Bürgerverachtung international

Die Bürgerverachtung ist beileibe nicht nur ein Wiener Phänomen. Seit Wochen werden die Italiener durch den publizistischen Kakao gezogen, weil mehr als 25 Prozent von ihnen den aufständischen Systemverweigerer Beppe Grillo wählten, der die politischen Eliten seines Landes aus ihren Ämtern treiben will.

"Send in the Clowns", unkte das Welt-Leitmedium schlechthin, der Economist, unheilschwanger und warf den Italienern vor, den Staat und den Euro zu destabilisieren. Das ist doch auffällig: Ist der bürgerliche Wähler nun dazu da, die Währungszone zu schützen, anstatt ein Parlament zu wählen? Und haben die Wähler in Hinkunft die Aufgabe so zu wählen, dass die Finanzmärkte nicht mit Risikoaufschlägen reagieren? Nein, das haben sie nicht. Nicht in Griechenland, nicht in Italien oder Spanien. Ihre Aufgabe ist nämlich per definitionem nicht das System zu erhalten sondern es zu ändern. Man nennt das Souverän.

Wider die Bankrotteure

Siehe Italien: Wer kann dort Bürgern den Wunsch verdenken, jene aus den Ämtern zu vertreiben, die das Gemeinwesen seit Jahrzehnten ruinieren. War es nicht Silvio Berlusconi, der den Staat mit einer Gesamtstaatsverschuldung von 130 Prozent übergeben hatte? Und hatten nicht alle anderen Parteien mitgemacht, weil die eigene Kasse mitbedient wurde? War es nicht der vielgelobte Mario Monti, der nach harten Einschnitten erneut begann, die Eliten mit Steuererleichterungen zu beschenken?

Ist es deshalb ein Skandal, dass die Grillini jede Regierungsbeteiligung verweigern? Nein, es ist logisch. Es handelt sich nicht um einen demokratischen Fehler, sondern um einen Erziehungsprozess der Wähler an der Politik.

Und das ist die Botschaft: Ihr Politiker dürft nicht mehr weitermachen wie bisher. Ihr vertretet die falschen Prinzipien, kümmert euch nicht um die Rechte eurer Bürger und auch nicht um die Welt, in der sie leben. Nicht einmal jetzt, wo euch das System, das ihr geschaffen habt, mit einer elenden Krise geschlagen hat, begreift ihr. Warum lernt ihr nicht? Wann, wenn nicht am Wahltag, sollen Wähler dem System, das sie regiert, antworten? Anstatt sich davor zu fürchten, könnte man sich an regierender Stelle fragen, ob es weise ist, die Bürger in eine Richtung zu zwingen, die sie nicht wollen, und die jenen Systemwechsel verunmöglicht, den Ökonomie und Gesellschaft so dringend benötigt. Es ist ein Frage des Vertrauens in einen Souverän, vor dem sich, siehe 1938, bloß Diktatoren und Wahnsinnige fürchten müssen.

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