Gespräch der Feinde

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Vor 50 Jahren propagierte Friedrich Heer das "Gespräch der Feinde". Sein Anliegen ist anno 2000 um nichts weniger aktuell.

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Vor 50 Jahren propagierte Friedrich Heer das "Gespräch der Feinde". Sein Anliegen ist anno 2000 um nichts weniger aktuell.

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In einer der letzten Dezemberausgaben der Furche 1949, kurz nach Erscheinen seines gleichnamigen Buches und mitten in der Anfangsphase des Kalten Krieges, trat Friedrich Heer mit der ihm eigenen Leidenschaft für das "Gespräch der Feinde" ein. Die Fragen der damaligen Zeit: Wie umgehen mit der jüngsten Geschichte, wie sich zu den ehemaligen Nazis verhalten, wie zu den Mitläufern, kurz: wie eine Gesellschaft der Feinde menschlich lebbar zu gestalten.

Dramatischer noch die andere Seite, denn es war Heer damals auch darum zu tun, mit dem Marxismus sowjetischer Prägung eine Form der Kommunikation zu entwickeln - über die erbitterten Gegnerschaften von Ost und West hinweg. Friedrich Heers Konzept (er setzte 1955 ein weiteres Buch zum Thema nach) ging - zutiefst christlich, vielleicht politisch naiv - vom Ansatz der Feindesliebe aus; das Anliegen brachte den querdenkenden Intellektuellen und katholischen Freigeist in den Geruch, ein verkappter Kommunist zu sein oder zumindest ein nützlicher Idiot der bolschewistischen Sache. Nicht zuletzt im christlich-konservativen Lager des Landes wurde solches geargwöhnt.

Das Konzept "Gespräch der Feinde" wurde von einem Miterleber des II. Weltkriegs, eben Friedrich Heer, formuliert. Das war kein Zufall: die Erinnerung an den Totalitarismus der braunen Massenmörder und an das Kriegsgrauen steckte noch in den Knochen. Ein halbes Jahrhundert später jedoch findet sich der Zeitgenosse in einer Welt wieder, in der diese Erinnerung schal wird.

Zwar ist die Geschichte über die NS-Ideologie (nicht über den Faschismus!) unumkehrbar hinweggebraust, und auch der Staatssozialismus katapultierte sich unwiederbringlich aus der Mode (trotz ewiger Nostalgiker in beiden Lagern). Das Bewußtsein, daß eine Gesellschaft immer und immer aufs Neue eines "Gesprächs der Feinde" bedarf, rettet sich hingegen nicht unbedingt ins anbrechende Jahrtausend.

Zumindest gibt es genügend Indizien dafür, daß der Idee Friedrich Heers zur Zeit wenig Resonanz beschieden wäre: Hierzulande herrschen atmosphärische Verhältnisse, die einem "kalten Krieg" durchaus entsprechen.

Es mag der Vergleich zur Ost-West-Lähmung vor vierzig, fünfzig Jahren unzulässig sein: Aber was die zwei Regierungsparteien Österreichs zur Zeit vorführen, ist alles mögliche, ganz sicher aber kein heißer Krieg (und schon gar kein Friede). Was wäre aber zu tun, um aus der Fruchtlosigkeit weniger als halbherzig geführter Gespräche herauszukommen? (Selbst wenn dieser Tage die Regierungsverhandlungen zu einer Art Ergebnis führen: Wer glaubt tatsächlich an einen politischen Aufbruch zu neuen Ufern?)

Friedrich Heer hat in seinem Modell als wichtige Voraussetzung der Feindes-Gespräche die Anerkennung des Gegensätzlichen im Anderen eingemahnt. Nicht auszudenken, würden Verhandlungspartner - und seien es zukünftige Regierungspartner - sich an derartige Maxime halten.

Als weiteres Beispiel für den Befund mag die katholische Kirche des Landes dienen: Vor nicht allzulanger Zeit schien die krisengeschüttelte Institution den Weg der Feindes-Gespräche zu beschreiten, und als im Herbst 1998 die gegensätzlichen Lager der Kirche zum Dialog kamen, also - ganz im Heer'schen Sinn - ein "Gespräch der Feinde" stattfand, wurde manche Hoffnung laut - und wieder zerstört, weil die stärkeren der "Feinde" das Gespräch im Sand (sprich: nach Rom) verlaufen ließen.

Ein drittes Beispiel zur Situation ist die Polarisierung der Gesellschaft, wie sie österreichweit seit dem letzten Wahltag evident ist. Da wächst (glaubt man den Meinungsumfragen) der Zulauf zum Rechtspopulisten des Landes weiter. Doch der Mainstream der Intellektuellen verharrt in seiner linksliberalen Position sowie in einer Fundamentalopposition. Und der Rechtspopulist benutzt das intellektuelle Österreich als Zielscheibe und Projektionsfläche seiner Attacken.

Gerade hier wäre - undenkbar! - Neues anzugehen: Wer für ein "Gespräch der Feinde" eintritt, darf vor Jörg Haider nicht haltmachen. Davon kann zur Zeit aber keine Rede sein. Ein Gespräch zwischen Haider und seinen Gegnern findet nicht statt (Überläufer ausgenommen, aber "Gespräch der Feinde" bedeutet alles andere als überzulaufen).

Die Beispiele sind - grenzenlos - weiterzudenken: Wie sehr der geschundene Kosovo, das darniederliegende Bosnien den Geist eines "Gesprächs der Feinde" benötigen, liegt auf der Hand. Und ein Blick über den Tellerrand Europas offenbart zahllose weitere Fälle.

Vielleicht gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen dem Modell Friedrich Heers und dem "Projekt Weltethos", wie es der Theologe Hans Küng propagiert: Auch letzteres ist ein - im Detail kritisierbarer - Versuch, religiöse und weltanschauliche Gegensätze in Dialog zu bringen - und zwar so, daß zumindest eine gemeinsame ethische Basis, aufgrund derer die Welt zu gestalten wäre, entsteht.

Doch zur Entwicklung eines derartigen globalen Ethos sind noch eine Menge Arbeiten nötig. Und jedenfalls sehr viele "Gespräche der Feinde".

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