Gesprächsmedizin - für Arzt und Patient unverzichtbar

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Zuwendung als zentrale ärztliche Aufgabe - ein Gespräch mit dem Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), Dr. Otto Pjeta

Herr Präsident, bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen war in diesem Jahr

die Forderung nach einer Verbesserung der Gesprächskultur zwischen Arzt und Patient zu hören? Wie stehen Sie dazu?

Pjeta: Eine gute Gesprächsbasis mit dem Patient ist eine wesentliche, wenn nicht die wichtigste Säule für den Behandlungserfolg. Es kommen heute beispielsweise sehr viele Menschen mit Lifestyle-bedingten Erkrankungen zum Arzt. Der Arzt kann in diesen Fällen mit innovativen Therapien helfen, aber nur, wenn er langfristig auch eine Verhaltensänderung beim Patienten bewirkt. Das geht nur mit Überzeugung, mit einer einfühlsamen, auf den Patienten in seiner individuellen Situation gerichteten Kommunikation. Erst dann wird der Patient seinen ungesunden Lebensstil ändern. Das ärztliche Gespräch, die Kommunikation mit dem Patient, ist generell ein unverzichtbarer, zentraler Baustein im ärztlichen Alltag.

Es tauchte in Alpbach der Vorwurf auf, vielen Medizinern fehle die sprachliche Kompetenz?

Pjeta: Medizinern "Sprachlosigkeit" zu unterstellen, wie das manchmal aus der Ecke der Linguistik kommt, ist sicher übertrieben. Wir Ärzte stehen jeden Tag in intensivem Dialog mit unseren Patienten - es gibt aber natürlich auch Menschen, die eine rasche, zeiteffiziente Behandlung wünschen. Wir tun übrigens sehr viel, um die kommunikativen Kompetenzen der Ärzte ständig zu stärken. Im neuen Medizincurriculum etwa kommen die Studenten viel früher als bisher mit den Patienten in Kontakt, lernen auf sie zuzugehen, mit ihnen umzugehen. Außerdem werden von Seiten der Ärztekammer immer wieder Fortbildungen zum Thema "Kommunikation" angeboten. Generell beobachten wir ja auch einen steigenden Bedarf an Zuwendungsmedizin. Man darf nicht vergessen: Wir betreuen wesentlich mehr hochbetagte und multimorbide Menschen und auch psychisch angeschlagene Patienten in den Ordinationen und Spitälern, auf die wir intensiv und einfühlsam eingehen müssen. Das braucht Zeit, aber die Zeit haben wir oft nicht in ausreichendem Maß. Die Ausbildung ist sicher nicht das Hauptproblem.

Was ist das Hauptproblem?

Pjeta: Das ist die Tatsache, dass die Gesprächsmedizin seitens der Kassen immer noch nicht den Stellenwert hat, den sie haben sollte. Das ärztliche Gespräch wird nicht ausreichend bewertet. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass die Ärzte seitens der Kassen in ein immer festeres Korsett aus bürokratischen- und Verwaltungsaufgaben gezwängt werden, was das Zeitbudget für Gespräche mit dem Patienten natürlich enorm belastet. Im Gesundheitswesen wird das Sparen allmählich zum Maß aller Dinge. Im Gefolge dessen ersticken wir Ärzte in Bürokratie. Im Spital zum Beispiel widmen die Ärzte im Zuge des LKF-Systems mittlerweile fast ein Drittel ihrer Zeit administrativen Aufgaben wie dem Verschlüsseln von Diagnosen und Leistungen. Und in den Ordinationen tobt der Papierkrieg. Wir Ärzte haben eine hohe administrative Belastung durch die Chefarztpflicht, die für Hochbetagte und schwer Pflegebedürftige nur eine Schikane bedeutet, die abgeschafft gehört. Wir haben mehr Druck, das Ökonomiegebot einzuhalten. Wir haben mehr Fortbildungspflichten, stärkere Auflagen zur Qualitätssicherung und gehen unter in einer wahren Formularflut der Kassen. Ich bin mit dieser Entwicklung sehr unzufrieden. Wir möchten die Patienten nicht verwalten, wir möchten mit ihnen reden, sie so human wie möglich behandeln und Zeit für sie haben. Das ist auch der Grund, warum wir uns so vehement gegen das geplante E-Card-Inkasso in den Ordinationen wenden. Hier wird uns erneut eine bürokratische Zusatzlast aufgebürdet - und zwar ohne erkennbaren medizinischen Nutzen. Dagegen wehren wir uns.

Sie haben eine Boykottaktion gegen das geplante E-Card-Inkasso durch die Ärzte angekündigt ...

Pjeta: ... und dabei bleiben wir auch, wenn sich nichts ändert. Wir möchten, dass die Unternehmen das Inkasso mit der ersten Lohnverrechnung durchführen, da sie bereits über eine eingespielte Infrastruktur verfügen und die Vorgehensweise wesentlich gerechter ist, da sowohl von Kranken als auch Gesunden der Betrag abgebucht wird. Noch einmal: Was wir Ärzte brauchen, ist Entlastung, nicht zusätzliche bürokratische Belastung. Und wir brauchen auch dringend einen Ausbau im Bereich der Ordinationen, um Patienten endlich adäquat wohnortnah betreuen zu können. Ich denke da an Gruppenpraxen, neue Kooperationsformen und an eine moderne Hauskrankenbehandlung. Auch so gewinnen wir mehr Zeit für Gespräche mit den Patienten. Wir können ihre Wartezeiten verkürzen und sicherstellen, dass jeder, der aus dem Spital entlassen wird, in seinem Umfeld angemessen betreut wird.

Warum hat es diesen Ausbau im niedergelassenen Bereich noch nicht gegeben?

Pjeta: Hauptpunkt ist die Finanzierung. Es ist von Tag zu Tag mehr zu beobachten, wie unser System in eine krasse Unterfinanzierung schlittert. Der Ausgleichsfonds der Kassen, die Tabaksteueranhebung - das ist ein Fleckerlteppich von Maßnahmen, die nicht reichen, um eine nachhaltige Sanierung der defizitären Kassen zu gewährleisten. Es gibt bereits gigantische Defizitprognosen für die nächsten Jahre, und wir Ärzte befürchten, dass es zwangsläufig zu Leistungskürzungen und Rationierungen kommt, wenn diese Finanzmisere fortdauert. Die Verantwortlichen sind dringend angehalten, hier gegenzusteuern. Die Menschen sollen keine Angst haben müssen, ob sie morgen noch so gut medizinisch versorgt werden, wie heute. Deshalb brauchen wir ein nachhaltiges Finanzierungskonzept und auch eine einnahmenseitige Sanierung über eine Beitragsanpassung und die Einbeziehung wertschöpfungsbezogener Elemente. Wir Ärzte wollen Sicherheit für unsere Patienten, für deren Wohlergehen wir Sorge tragen. Und unsere Gesundheitspolitiker sollten nicht vergessen, dass sie in der Pflicht der Menschen stehen, die sie gewählt haben und die ihnen vertrauen.

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