Gestorbene Zukunft

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Lange Zeit wurden Fehl- und Totgeburten tabuisiert. Erst seit wenigen Jahren erfahren verwaiste Mütter Unterstützung bei der Aufarbeitung dieses traumatischen Erlebnisses. Hilfe tut not: Immerhin jede vierte Frau erleidet zumindest einmal in ihrem Leben das ungewollte Ende einer Schwangerschaft.

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Lange Zeit wurden Fehl- und Totgeburten tabuisiert. Erst seit wenigen Jahren erfahren verwaiste Mütter Unterstützung bei der Aufarbeitung dieses traumatischen Erlebnisses. Hilfe tut not: Immerhin jede vierte Frau erleidet zumindest einmal in ihrem Leben das ungewollte Ende einer Schwangerschaft.

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Worte wie Frucht, Fötus, Abgang oder Abortus kommen bei uns nicht vor." Dafür wird von Baby, Kind und Geburt gesprochen. Nicht zuletzt wird die Frau ja Mutter - wenn auch eines toten Kindes. Für Brigitte Kolinek gehört sprachliche Sensibilität zum Beruf. Die Leiterin der Bettenstation der Abteilung für pränatale Diagnostik und Therapie am Wiener AKH hat neben kommunikativem Feingefühl vor allem eines gelernt: "Dass viele Eltern sehr schwer mit ihrer Trauer zu Recht kommen, wenn sie Das, worum sie trauern, nicht kennen." Umso wichtiger seien Erinnerungsstücke an das verlorene Kind: Fotografien, Armbändchen oder ein ausgefüllter Mutter-Kind-Pass.

Die Initiative "Point Projekt" will den Frauen auf diese Weise helfen, das Geschehene zu begreifen. Der Bedarf an Hilfe ist groß: Jede dritte (akzeptierte) Schwangerschaft endet mit einer Fehl- oder Totgeburt. Demnach erlebt jede vierte Frau zumindest einmal im Laufe ihres Lebens, dass eine Schwangerschaft nicht mit der Geburt eines lebensfähigen Kindes endet.

Was genau ist jedoch unter diesen Begriffen zu verstehen? Das österreichische Hebammengesetz von 1994 bricht Licht ins Dunkel: Ist bei einer "Leibesfrucht" auch nur ein Lebenszeichen zu erkennen (etwa Atmung, Herzschlag, Pulsation der Nabelschnur oder Muskelbewegung), spricht man von "Lebendgeburt". Ist dies nicht der Fall, unterscheidet das Gesetz je nach Geburtsgewicht zwischen "Fehlgeburt" (unter 500 Gramm) und "Totgeburt" (über 500 Gramm), wobei dieser Grenzbereich zwischen der 23. bis 25. Schwangerschaftswoche liegt.

Die meisten "Spontanabgänge" werden um die siebente Woche verzeichnet, weiß Christian Fiala, Gynäkologe am Krankenhaus Korneuburg. "Nach der zwölften Woche nimmt dann das Risiko deutlich ab." Je nach Alter ist die Fehlgeburten-Rate jedoch unterschiedlich hoch: Liegt sie bei Frauen unter 20 Jahren bei sieben Prozent, so steigert sie sich bei werdenden Müttern über 35 Jahren auf 17 Prozent. Die Gründe für Fehl- oder Totgeburten sind vielfältig und bleiben meist ungeklärt, berichtet Katherina Schuchter, Gynäkologin am Sozialmedizinischen Zentrum Ost in Wien: "Bei der Hälfte der Aborte ist eine genetische Erkrankung des Kindes ausschlaggebend." Ist bis zur 14. Schwangerschaftswoche unter Narkose das Ausschaben der Gebärmutter (Kürettage) notwendig, so wird ab der 15. Woche bis zu einem Gewicht von 500 Gramm eine Geburt eingeleitet - wiederum gefolgt von eine Kürettage, um Reste in der Gebärmutterhöhle zu entfernen. Auch die Ursachen für eine Totgeburt bleiben meist im Dunkel, jedoch können Chromosomenanomalien, Missbildungen oder eine Nabelschnurstrangulation zum Tod des Kindes führen. Auch in diesem Fall wird die Geburt künstlich eingeleitet. Symptom für den Kindestod sind vor allem fehlende Kindesbewegungen, erklärt Schuchter: "Oft kommen Frauen und sagen, sie hätten ihr Kind seit gestern nicht mehr gespürt. Das ist aber viel zu spät."

Rechtliche Folgen Die Unterscheidung zwischen Lebendgeburt mit darauffolgendem Tod, Fehl- oder Totgeburt hat für die Mutter nachhaltige Konsequenzen, steht ihr doch im Fall einer Lebendgeburt ein Wochenschutz von zwölf Wochen zu, nach einer Totgeburt dagegen nur acht Wochen. Keinen Anspruch auf Wochenschutz besitzt eine Frau nach einer Fehlgeburt (Abortus).

Änderungen ergeben sich auch für Behördengängen: Während nach dem Tod eines lebend geborenen Kindes eine Geburts- und Sterbeurkunde ausgestellt wird sowie ein Vorname gegeben werden muss, wird ein tot geborenes Kind nur im Sterbebuch verzeichnet. Die Namensgebung ist in diesem Fall freiwillig. Keinen offiziellen Namen erhält dagegen ein Kind nach einer Fehlgeburt.

Für Unmut sorgen die von Bundesland zu Bundesland verschiedenen Bestattungsordnungen. "Da kennt sich kein Mensch mehr aus", kritisiert Elisabeth Widensky von der Wiener Selbsthilfegruppe "Regenbogen". Zwar werden in Wien Totgeburten in Einzelgräbern erdbestattet sowie Fehlgeburten in den Wiener Städtischen Spitälern und dem Hanuschspital gesammelt und gemeinsam kremiert; doch ist bis heute ungeklärt, in welchen Krankenhäusern bundesweit sich diese Trennung der Fehlgeburten vom "Operationsabfall" bereits durchgesetzt hat. Eine parlamentarische Anfrage der SPÖ vom 6. April dieses Jahres erhofft sich indes eine klärende Antwort von Sozialminister Herbert Haupt.

Noch wird also vielen Eltern die Suche nach ihren toten Kindern schwer gemacht: Eine prekäre Situation, kritisiert die Psychotherapeutin Elisabeth Widensky: "Viele wissen gar nicht, wohin sie mit ihrer Trauer gehen sollen." Trost finden sie nicht nur bei Therapeuten und Selbsthilfegruppen, sondern auch in einem zum Klassiker avancierten Buch: Bereits 1991 hatte die Therapeutin Hannah Lothrop Betroffene bestärkt, sich der eigenen Trauer zu stellen, das tote Baby kennen zu lernen, es anzusehen, um von ihm Abschied nehmen zu können. "Bilder sind extrem wichtig", bekräftigt auch der Gynäkologe Christian Fiala. "Vor allem, um Phantasien zu korrigieren."

Informationen unter www.glueckloseschwangerschaft.at Gute Hoffnung - jähes Ende. Fehlgeburt, Totgeburt und Verluste in der frühen Lebenszeit. Begleitung und neue Hoffnung für Eltern. Von Hannah Lothrop. 8., akt. Aufl. Kösel-Verlag, München 2000. 364 Seiten. öS 281,-/e 20,42

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