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Nicht jede Feststellung von Ungleichheit bedeutet schon Diskriminierung. Ein Nachtrag zur Debatte um homosexuelle Partnerschaften.

Das Anliegen, Menschen nicht zu diskriminieren, ist berechtigt. Doch ab wann handelt es sich um Diskriminierung? Jedenfalls dann, wenn ich durch unzutreffende oder unnötige Äußerungen jemanden herabsetze, wenn ich ihn oder sie durch ungerechte Behandlung benachteilige. Aber liegt auch schon eine Diskriminierung vor, wenn ich nicht alle Menschen für gleich begabt und nicht jedes Verhalten für gleich gut halte? Diese Frage wird immer drängender, wie etwa die Diskussion um die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften zeigt. Aber es gibt noch schwierigere Probleme: Wenn Anhänger des Satanismus oder von Scientology ihre Weltanschauung als Religion ausgeben und Gleichbehandlung mit jenen fordern, die an einen guten, sinngebenden Grund des Daseins glauben. Wo liegen hier die Grenzen?

Gleich-Gültigkeit

Die so genannte Postmoderne ist von einem Relativismus geprägt und lehnt allgemein gültige Maßstäbe ab (allerdings mit dem Selbstwiderspruch, dass sie als allgemein gültig lehrt, dass es nichts allgemein Gültiges gibt). Alles gilt demnach als gleich gültig und ist damit gleichgültig. Im Widerspruch dazu steht die Behauptung von allgemein verpflichtenden Werten, auf die sich nach der eben unterzeichneten "Verfassung für Europa" die Europäische Union gründet: "Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte". Wenn es sich dabei um Werte handelte, die wir Menschen willkürlich selbst festlegen, dann könnten wir sie auch abschaffen, der Einzelne für sich oder allgemein durch Mehrheitsbeschluss. Die genannten Werte gelten jedoch als Basis, über die nicht abgestimmt werden kann. Allerdings werden die Grenzen der Freiheit nicht geklärt und wie sich Freiheit und Gleichheit zueinander verhalten: Wie soll sich der einzelne Mensch in Freiheit entfalten können, wenn die Vielfalt, die Selbstbehauptung und jedes Hervorragen unter Berufung auf eine einebnende Gleichheit unterdrückt wird? Darf es dann noch eine Begabtenförderung geben oder eine Preisverleihung an hervorragende Künstler, wenn das doch notwendig eine Ungleichbehandlung, eine Hintansetzung, also eine "Diskriminierung" anderer bedeutet?

Die Lösung dieses Problems kann nur darin liegen, dass man die fundamentale Gleichheit der Menschen nicht mit einer Gleichbewertung aller Eigenschaften und Verhaltensweisen der Menschen verwechselt. Die eigentliche Gleichheit muss in einer tieferen Ebene liegen, in jener der Menschenwürde; wobei diese Würde gerade nicht ein von Menschen gesetzter Wert ist. Die Rede von dieser Menschenwürde ergibt nämlich nur dann einen Sinn, wenn damit nicht eine fiktive Größe gemeint ist, eine bloße Rechtskonstruktion, die mit Strafsanktionen durchgesetzt werden muss. Diese Menschenwürde setzt vielmehr eine Realität voraus, ein personales Selbst, das um seinetwillen wichtig ist und nie ein Mittel zum Zweck werden darf. Andernfalls wäre sie keine den Menschen vorgegebene, von ihnen zu achtende Größe, und der Mensch wäre nur die Summe seiner Merkmale, die dann als gleichwertig angesehen werden müssten. Dieses personale Selbst, ausgezeichnet durch ein unmittelbares Bewusstsein seines Seins und durch Freiheit, ist kein Gegenstand menschlichen Erkennens und Wollens, sondern liegt diesen zugrunde. Daher ist es auch kein Objekt der Naturwissenschaften. Diese setzen es vielmehr voraus.

Wenn ich diese fundamentale Würde aller Menschen beachte und ihnen mit der entsprechenden Ehrfurcht begegne, muss ich nicht alle Begabungen und Veranlagungen für gleich groß und jedes Verhalten für gleich gut halten, um niemanden zu diskriminieren. Das wäre auch faktisch undurchführbar. Es dürfte keine Auswahl unter mehreren Bewerbern mehr geben und keine Urteile gegen Rechtsbrecher. Natürlich ist es eine schwierige Gratwanderung, dabei keine falschen Maßstäbe anzuwenden, keine unzutreffenden Behauptungen aufzustellen und keine ungerechten Urteile zu fällen. Aber wenn das menschliche Leben nicht auf das unterste Niveau eingeebnet werden soll, braucht es die Anerkennung von Ungleichheit und den richtigen Umgang mit ihr, ohne dass dies von vornherein als Diskriminierung verunglimpft werden darf. Erst auf dieser Basis ist es möglich, durch gegenseitiges Ermutigen und Lernen auf eine möglichst große Gleichheit aller Menschen in ihren Fähigkeiten hinzuwirken.

Teil der Schöpfung

Von hier aus fällt einiges Licht auf die Debatte um die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften. Zuerst eine Vorbemerkung: Die ganze Diskussion hätte ein höheres, menschlicheres Niveau, wenn es allgemein um Partnerschaften ginge, unabhängig davon, ob es sich dabei um homosexuell oder heterosexuell veranlagte Menschen handelt. Dann würden nämlich diese Partnerschaften nicht nur aus der sexuellen Anziehung heraus verstanden, die allein zu wenig Grund zur Treue wäre, sondern als personale Beziehungen. Als solche haben sie grundsätzlich dieselbe Würde wie die Liebe in der Ehe, die ebenfalls nicht bloß auf der sexuellen Anziehung beruhen kann, wenn sie menschlich sein soll.

Auch wenn man homosexuelle Veranlagung nicht als ein Übel ansieht, sondern als Teil der Schöpfung annimmt, kann man - ohne zu diskriminieren - der Meinung sein, dass die heterosexuelle Veranlagung oder Begabung die größere oder umfassendere ist, und dass Partnerschaften zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts mehr zu schützen und zu fördern sind als jene zwischen Gleichgeschlechtlichen. Ein Grund dafür ist neben der Ganzheitlichkeit - die Geschlechter sind nun einmal verschieden und können voneinander lernen und aneinander reifen - auch die Möglichkeit, Kinder zu zeugen und ihnen eine familiäre Gemeinschaft zu bieten, in der sie Menschen beiderlei Geschlechts begegnen (aus diesem Grund ist auch die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare nicht gleichwertig mit jener durch Eltern verschiedenen Geschlechts).

Differenzen bleiben

Zu dem schwierigeren zweiten Problemkreis: Ohne zu diskriminieren, kann und muss man sagen, dass nicht alle Religionen - und nicht alle Lehren und Praktiken, die von bestimmten Gruppen als "Religion" ausgegeben werden - gleichwertig sind. Es ist nicht gleichgültig, ob eine Religion eine personale Sicht des Menschen vertritt oder das Selbst des Menschen nur für eine große Täuschung hält, ob sie Liebe zu allen Menschen - auch zu jenen, die nicht zu ihr gehören und als Ungläubige gelten, sogar zu den Feinden - lehrt oder nicht. Das hat gravierende Folgen für das menschliche Zusammenleben. Nicht als Religion kann gelten, wenn - wie bei Scientology - Menschen sich gottgleiche Fähigkeiten anmaßen oder - wie im Satanismus - sich mit dem Bösen identifizieren und sich so indirekt zum Gegen-Gott erklären. Wenn die Gesetzgebung hier nicht unterscheiden kann, kommt sie in des "Teufels Küche".

Es wäre daher dringend nötig, sich über den Unterschied zwischen wirklicher und vermeintlicher Diskriminierung Gedanken zu machen und einig zu werden, damit der Vorwurf der Diskriminierung nicht als Instrument verwendet werden kann, alle Differenzen einzuebnen und eine Gleichbewertung aller Verhaltensweisen zu erzwingen. Dazu braucht es allerdings allgemein anerkannte ethische Maßstäbe, eine moralische Substanz der Einzelnen und der Gesellschaft, an der es trotz der Ausarbeitung einer Verfassung auch in der Europäischen Union noch weitgehend fehlt.

Der Autor ist Universitätsdozent für Pastoraltheologie in Innsbruck und Verfasser des Buches "Welche soziale Identität braucht Europa?" (Wien 2002).

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