Globale medizinische Gerechtigkeit

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Thomas Pogge, Yale-Professor und globaler Gerechtigkeitstheoretiker, war - laut Eigenbezeichnung - ein typischer "Schreibtischphilosoph". Dann entdeckte er vor vier Jahren das Thema "Globale medizinische Gerechtigkeit", entwickelte das Konzept des Health Impact Fund und engagiert sich seither für dessen konkrete politische Umsetzung.

Wenn eine Pharmafirma ein Medikament hat, das der Patient ein Leben lang einnehmen muss, dann ist das ein lukratives Geschäft. Ganz sicher wird sie dann nicht noch an einem zweiten Medikament forschen, das den Patienten auf einen Schlag heilt. Sind die Pharmaproduzenten also böse Menschen? Das System schaffe falsche Anreize, meint Thomas Pogge, Gerechtigkeitstheoretiker und Schüler von John Rawls, und schlägt ein anderes System vor, dass gewonnene Lebensjahre belohnt: Den Health Impact Fund.

Die Furche: Herr Professor Pogge, wissen Sie, wie viele Menschen leiden, weil es an entsprechenden Medikamenten fehlt?

Thomas Pogge: Das lässt sich nicht präzise sagen. Wir wissen aber, dass es 18 Millionen Todesfälle pro Jahr gibt - das sind 50.000 pro Tag -, die durch Armut bedingt sind. Ein sehr große Zahl davon ließe sich durch Medikamente vermeiden, viele aber auch durch andere Maßnahmen wie durch sauberes Trinkwasser oder Moskitonetze.

Die Furche: Das Ganze ist natürlich bedauerlich. Sie gehen nun aber so weit zu behaupten, dass es unsere Pflicht wäre zu helfen. Wie begründen Sie das?

Pogge: Zunächst: Wir Philosophen unterscheiden zwei Arten von Pflichten. Die positiven und die negativen. Die positiven sind Hilfspflichten. Wir sind angehalten, Leute vor Übeln zu bewahren. Die negativen besagen, dass wir Leute nicht schädigen sollen. Von fast allen Philosophen werden diese letzteren, die negativen Pflichten, als moralisch schwerwiegender erachtet.

Die Furche: Die Länder des Südens mit Medikamenten zu versorgen, wäre dann wohl eine schwächere, positive Pflicht?

Pogge: Nein, mein Punkt ist, dass es sich bei dieser Pflichtverletzung um eine negative handelt, weil diese Armut nur fortbesteht, weil wir ein bestimmtes Wirtschaftssystem aufrechterhalten.

Die Furche: Was meinen Sie damit genau?

Pogge: Viele von diesen rohstoffreichen, aber ganz armen Länder werden von Diktatoren beherrscht, weil wir diese ständig unterstützen. Wir akzeptieren sie als Besitzer dieser Rohstoffe, obwohl sie keinerlei demokratische Legitimität haben. Sie können sich von uns Geld leihen, das ihr Land dann zurückzahlen muss. Sie können von uns Waffen kaufen, um sich an der Macht zu halten. Es ist nicht nur Pech, dass die Leute in Afrika oft schlecht regiert werden, sondern oft auch eine Sache, bei der wir mitwirken.

Die Furche: Und daraus leiten Sie eine Pflicht ab, es anders zu machen?

Pogge: Ja, und zwar eine negative Pflicht: Wir sollen den Schaden, den wir mitverursachen, abwenden.

Die Furche: Um die medizinische Versorgung zu verbessern, schlagen Sie nun eine Strukturveränderung vor: Die Errichtung eines Health Impact Fund.

Pogge: Mit dem Health Impact Fund sollen zwei Probleme gelöst werden: Ersten fehlt es an neuen Medikamenten, die wir unbedingt brauchen. Zweitens müssen wir die Medikamente nicht nur theoretisch haben, sie müssen praktisch verfügbar sein.

Die Furche: Wie soll das gehen?

Pogge: Es gibt zwei Schienen. Erstens die Monopolschiene: Eine Firma hält für eine bestimmte Zeit ein Monopol. Wenn das Medikament für ein Dollar herstellbar wäre, kann man es noch für zehn Dollar verkaufen. Mit diesem Profit, den einem niemand streitig machen kann, lassen sich die entstandenen Kosten für Forschung und Entwicklung abdecken. Die zweite Schiene belohnt die globalen Auswirkungen eines Medikaments - den Health Impact. Die Gelder dafür kommen aus einem mit sechs Milliarden Dollar pro Jahr dotierten Fonds. Die Medikamente selbst werden von den Firmen zum niedrigsten Kostenpreis abgegeben. Der niedrigste Kostenpreis ist der niedrigste Preis, für den es sich produzieren und vertreiben ließe.

Die Furche: Und wer kommt für die Milliarden im Health Impact Fund auf?

Pogge: Die Kernfinanzierung käme von Regierungen, weil die Pharmafirmen sich so darauf verlassen können, dass sie zehn Jahre lang Geld erhalten. Die brauchen diese Garantien, weil sie sonst gar nicht anfangen, an neuen Medikamenten zu forschen.

Die Furche: Heißt das, wir sollen mit unserem Gesundheitssystem, das schon schwer belastet ist, auch noch die Gesundheitssysteme der armen Länder mitfinanzieren?

Pogge: Es sollen nicht nur die reichen, sondern auch die armen Länder daran teilnehmen. Wir arbeiten etwa eng mit Indien, China und Brasilien zusammen. Die Armen können auf einer Pro-Kopf-Basis nicht so viel beitragen. Aber jedes Land soll einen kleinen Prozentsatz seines Bruttoinlandsprodukts beisteuern - wir rechnen mit 0,03 Prozent. Es entstehen so Kosten für Österreich, aber auch Vorteile für den Steuerzahler. Sie können nun Medikamente, die beim Health Impact Fund registriert sind, auch viel billiger kaufen.

Die Furche: Ein Krebsmedikament ja, aber wozu brauchen wir ein Malariamittel?

Pogge: Bei gewissen Medikamenten gibt es vielleicht Verluste. Aber man kann es auch so sehen: Viele dieser Krankheiten, die wir bisher ignoriert haben, könnten für uns gefährlich werden. Denken Sie an Vogelgrippe, SARS oder XDR-TB (Anm. Extrem arzneimittelresistente Formen von Tuberkulose). Können wir es uns mit dem globalen Verkehr leisten, die armen Länder zu Brutstätten von exotischen Krankheiten werden zu lassen, über die wir nichts wissen und gegen die wir schutzlos sind?

Die Furche: Das Konzept steht und fällt mit der Messung des Health Impact. Dafür gibt es Geld. Doch wie misst man Gesundheit?

Pogge: Der Maßstab ist eine gut eingeführte Größe, nämlich die QALYs - Quality Adjusted Life Years. Ein Extrajahr zählt ein QALY.

Die Furche: Und wie stellt man genau fest, welchen QALY-Verlust das Medikament XY verhindert hat?

Pogge: Für die entsprechenden empirischen Daten gibt es drei Quellen. Erstens die klinischen Versuche, die jedes Medikament durchlaufen muss, um überhaupt auf den Markt zu kommen. Das gibt einen guten Anhaltspunkt dafür, wie sehr lebensverlängernd und/oder gesundheitsverbessernd Medikamente wirken. Zweitens verlangen wir, dass jede Packung mit einer Seriennummer versehen wird. So können wir Stichproben machen und schauen, wie es den Patienten vor Ort geht. Und schließlich gibt es Statistiken über globale Krankheitslasten. Wenn viele Packungen nach Uganda gegangen sind, erwarten wir auch, dass dort die Krankheit nach unten geht. Diese Infos lassen sich auch mit den Stichproben korrelieren.

Die Furche: Inwiefern könnte man die Datenerhebung manipulieren?

Pogge: Wenn man vorher weiß, wo wir Stichproben machen, kann man tricksen. Etwa indem man schaut, dass es in dem Dorf, das wir prüfen wollen, sicher keine Malaria mehr gibt. Aber solchen Betrügereien müssen wir eben vorbeugen, indem wir etwa eine Lotterie machen und vorher keiner weiß, wo wir genau hingehen werden.

Die Furche: Wie reagieren eigentlich Politiker auf Ihre Idee?

Pogge: Im Wesentlichen sehr positiv. Anfang November sprach ich auf einer Veranstaltung der SPD in Berlin. Das norwegische Außenministerium hat sich auch sehr positiv geäußert. Wir arbeiten jetzt auch eng mit den Spaniern zusammen und Ende dieser Woche bin ich in England auf drei Veranstaltungen. Jedenfalls sind die Politiker nicht so, dass sie sagen, das ist ja vollkommen lächerlich. Die sind sehr aufgeschlossen. Und natürlich gibt es ein großes Problembewusstsein dafür, dass das TRIPS-Abkommen (Anm. ein Abkommen, mit dem globale Patentrechte durchgesetzt wurden) viel Schaden angerichtet hat. Sehr vielen Leuten wurde dadurch der Zugang zu Medikamenten abgeschnitten. Deshalb will man da auch Lösungen.

Die Furche: Und was antworten die Pharmafirmen?

Pogge: Die sind hellwach. Von Pfizer wurde ich eingeladen, mit Glaxo und Merck habe ich auch gesprochen. Sie können nicht akzeptieren, dass sie ihre geistigen Eigentumsrechte an den Medikamenten aufgeben müssten. Das war meine erste Idee: Wenn ihr eure Produkte beim Health Impact Fund registrieren wollt, müsst ihr eure Eigentumsrechte aufgeben. Jede andere Firma sollte dieses Medikament auch produzieren können. Sie wollen aber die Kontrolle haben und das war ein Grund, das Ganze so zu gestalten, dass sie ihre Eigentumsrechte behalten.

Die Furche: Pharmafirmen machen ja zum Teil Milliardenumsätze. Wollen die überhaupt in den Health Impact Fund rein, wo es maximal sechs Milliarden Dollar pro Jahr zu holen gibt?

Pogge: Wenn es mit sechs Milliarden gut funktioniert, könnte man mehr hineinstecken. Dieses System könnte nämlich viel effizienter sein. Man muss es ausprobieren.

Die Furche: Es klingt wie eine schöne Utopie. Die heutige Politik ist jedoch eine der kleinen Schritte. Sehen Sie da überhaupt eine Chance für einen so großen Wurf?

Pogge: Ich sehe eine kleine Chance, die aber so viel Gutes bewirken würde in dieser Welt, dass es zwingend ist, sie wahrzunehmen. Man könnte sicherlich Millionen von Menschenleben retten und vielleicht wäre das nur ein erster Schritt für noch mehr Gutes. Die derzeitige Bankenkrise ist diesbezüglich furchtbar negativ, weil jeder jetzt mit dem Geld wieder zaudert. Aber andererseits ist es sehr positiv, weil ich glaube, dass die Magie des Markts jetzt erschüttert ist. Viele Leute glauben, dass es an der Zeit ist, neue Regelungen zu finden, die die Defizite des Markts kompensieren und die Schwachen besser schützen. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass man in dieser Krisensituation vielleicht sogar eher Erfolg haben kann.

Thomas Pogge hielt am Montag im Rahmen der Leibniz Lectures an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag über den Health Impact Fund.|

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